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    The Villainess
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Villainess
    Von Michael Meyns

    Action, wie man sie noch nie gesehen hat!“, „Action, die nie langweilig ist!“ und schließlich „Geschlechtslose, kraftvolle Action!“ Diese marktschreierischen Slogans finden sich im Presseheft des koreanischen Actionkrachers „The Villainess“, der außer Konkurrenz im Wettbewerb von Cannes 2017 präsentiert wurde. Das einseitige Hervorheben der Kämpfe, Verfolgungen und Schießereien lässt ebenso wie die Information, dass von insgesamt 70 Drehtagen satte 63 (!) für die Actionszenen draufgingen, nicht unbedingt mehr erwarten als eine exzessive Stilübung des Regisseurs Jeong Byeong-gil („Action Boys“). Und tatsächlich verbringt  Hauptdarstellerin Kim Ok-vin („Durst“) die etwas langen 129 Minuten des Films hauptsächlich damit, sich ganzen Hundertschaften von Gegnern in ausgiebigen Auseinandersetzungen entgegenzustellen, während nebenbei eine melodramatische, schwer zu durchschauende Handlung abläuft. Als dramaturgisch ausgewogen oder ausgefeilt kann man „The Villainess“ also wahrlich nicht bezeichnen, doch die visuellen Qualitäten der überaus einfallsreichen Inszenierung sind dafür umso bemerkenswerter.

    Am Ende eines exzessiven Rachefeldzuges sieht sich Sook-hee (Kim Ok-vin) von einer Garde Polizisten umstellt und verhaftet. Normalerweise würde sie für immer im Gefängnis verschwinden, doch ihre besonderen Fähigkeiten machen die Direktorin des südkoreanischen Geheimdienstes auf XX aufmerksam. Sook-hee bekommt ein Angebot: Wenn sie sich für zehn Jahre dem Dienst verpflichtet, wird sie danach frei sein. Sie soll als Schläferagentin ein bürgerliches Leben führen und bei Bedarf geheime Aufträge ausführen. Notgedrungen nimmt Sook-hee die Offerte an, zumal sie in Gefangenschaft ein Kind bekommen hat. Sie richtet sich in einem halbwegs normalen Leben ein und will sogar heiraten, doch am Tag ihrer Hochzeit bekommt sie einen Mordauftrag, der sie tief in die Abgründe ihrer dunklen Vergangenheit blicken lässt.

    Schon in der ersten Sequenz, in der sich die Heldin Sook-hee in bester Egoshooter-Manier durch verwinkelte Raume und Flure kämpft und dabei Dutzenden Gegnern mit Pistolen, Messern und allem, was sie sonst noch in die Finger kriegt, den Garaus macht, zeigen sich die Ambitionen von Jeong Byeong-gil. Schon fünf Jahre vor „The Villainess“ hatte er mit dem Polizeifilm „Confession Of Murder“ ein Genrehighlight abgeliefert, das weniger durch seine eher simple Geschichte als durch den besonderen Stilwillen seines Regisseurs getragen wurde. Dort führt der Koreaner nun an und treibt seine Inszenierung auf die blutige, überbordend-exzessive Spitze.

    Die Kamera von Park Jung-hun scheint hier schwerelos zu sein, sie umtanzt die Figuren in den Actionszenen und selbst in „ruhigeren“ Momenten förmlich. Die Gesetze der Physik gelten für sie nicht: Nach Belieben fährt sie durch Wände, Decken und Fensterscheiben. Das alles gibt dem Film eine enorme Dynamik, erzeugt aber bisweilen auch Konfusion, denn Jeong ist nicht sonderlich daran interessiert, räumlich kohärente Actionszenen zu kreieren, vielmehr sprengt er nach Lust und Laune die Dimensionen. Er und seine Mitarbeiter - vor allem sein Kampfchoreograf Kwon Gui-duck („The Wailing“) ist hier zu nennen – wollen neue Maßstäbe setzen. So lassen sie Sook-hee beispielsweise nie im klassischen Zweikampf Eins-gegen-Eins antreten, sondern stets mehrere, meist ganze Gruppen von Widersachern auf sie.

    Die entfesselte Inszenierung beschert uns einige atemberaubende Actionsequenzen. Sie sind die wesentliche Stärke von „The Villainess“, aber unter der virtuosen Oberfläche schlägt ein melodramatisches Herz. Jeong spinnt ein kompliziertes, oft kaum zu durchschauendes Geflecht aus Betrug und Verrat, springt immer wieder in die Vergangenheit zurück, enthüllt nach und nach die Figurenkonstellationen, die von Doppelagenten und verschleierten Identitäten geprägt sind. Wenn sich Sook-hee am Ende nach einem weiteren schweißtreibenden und blutigen Actionexzess von Polizeikräften umringt sieht, erinnert das unweigerlich an den Beginn des Films, als sie noch etwas jünger, aber ebenso verloren war. Wie für seine Kamera sind Raum und Zeit auch für den Erzähler Jeong keine Hindernisse: Wenn Anfang und Ende, Vergangenheit und Zukunft aber zusammenfallen, dann drohen  Orientierung und Sinn verloren zu gehen – und so mündet „The Villainess“ in eine fast nihilistische Düsternis.

    Fazit: Inhaltlich bewegt sich Jeong Byeong-gil in seinem Thriller „The Villainess“ zwar in eher konventionellen Bahnen, doch stilistisch ist sein Epos von bemerkenswerter Originalität. Die ebenso exzessiven wie einfallsreichen Actionszenen dürften das Herz aller Freunde des asiatischen Genrekinos höher schlagen lassen.

    Wir haben „The Villainess“ bei den 70. Filmfestspielen in Cannes 2017 gesehen, wo er außer Konkurrenz als Midnight Movie gezeigt wird.

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