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    Bruised
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Bruised

    Der Netflix-Film wird von seinem eigenen Skript ausgenockt

    Von Sidney Schering

    Halle Berry zählte nach ihrer Rolle als Bond-Girl in „Stirb an einem anderen Tag“ sowie ihrem Oscargewinn für „Monster’s Ball“ zu den gefragtesten Stars Hollywoods – bis sie nach dem Megaflop „Catwoman“ aus dem Jahr 2004 in ein zwischenzeitiges Karrieretief stürzte, aus dem sie sich erst seit einigen Jahren sukzessive wieder herauskämpft: Nach der Sci-Fi-Serie „Extant“ sowie Nebenrollen in den Action-Franchises „Kingsman“ und „John Wick“ wagt Berry nun erstmals den Schritt hinter die Kamera – mit durchwachsenem Ergebnis: Das Kampfsport-Drama „Bruised“ ist schon aufgrund seines durch und durch generischen Skripts kein Triumph, aber zumindest holt Berry in ihrem Regiedebüt aus sich selbst eine weitere großartige Schauspielperformance heraus.

    Seit die MMA-Kämpferin Jackie Justice (Halle Berry) während eines Fights einfach panisch aus dem Ring geflüchtet ist, geht nicht nur ihre Karriere, sondern ihr gesamtes Leben den Bach runter. Jahre später steckt sie nun in einer unglücklichen Beziehung mit ihrem Manager Desi (Adan Canto), der sie eines Nachts ohne Vorankündigung zu einem Kampf schleppt. Dort wird sie vom engagierten Promoter Immaculate (Shamier Anderson) entdeckt, der Jackie direkt mit der Trainerin Bobbi Buddhakan Berroa (Sheila Atim) bekannt macht. Jackie soll für einen echten Comeback-Kampf fitgemacht werden – doch private Probleme etwa mit ihrem traumatisierten Sohn Manny (Danny Boyd Jr.) und ihrer suchtkranken Mutter Angel (Adriane Lenox) hemmen ihre Fähigkeit, sich aufs Training zu konzentrieren…

    Jackie Justice (Halle Berry) kämpft nicht nur für ihr Comeback im Ring - sondern muss auch alle ihre privaten Probleme in den Griff bekommen.

    Das Skript von Michelle Rosenfarb bietet eine ganze Latte an Leidensgeschichten: Eine abgehalfterte Protagonistin, die Aggressionsprobleme hat, unter Alkoholsucht leidet und ihrer kurzen Zeit im Rampenlicht nachtrauert. Ganz davon zu schweigen, dass sie im Training disziplinlos agiert und zunächst verantwortungsscheu davonrennt, als sie mit ihrem fast schon vergessenen Sohn konfrontiert wird. Der wiederum nässt sich ein und hat das Sprechen verlernt, seit sein Vater, der ihn großgezogen hat, erschossen wurde. Jackies aktueller Lebenspartner hat derweil noch größere Aggressionsstörungen als sie und findet Konflikte zudem auf beunruhigende Weise sexuell erregend – es ist also nur eine Frage der Zeit, bis er handgreiflich wird, während Jackies tablettenabhängige Mutter immer wieder Phasen hat, in denen sie völlig neben sich steht.

    Hinzu kommen zahlreiche weitere Unterschichtenklischees wie etwa die fragwürdige Ernährung in Form von Hacksteak mit zerkrümelten Chips und Ketchup. Kurzum: Es gibt kaum eine Figur in „Bruised“, die sich nicht hauptsächlich durch das Elend definiert, in dem sie lebt. Nicht einmal Protagonistin Jackie entwickelt eine Persönlichkeit, die über reine Genrekonventionen und Elendsklischees hinausreicht. Die Dialoge, die fast alle mit einer Faust-aufs-Auge-Deutlichkeit verfasst sind, intensivieren die Eindimensionalität weiter. Allein Jackies Trainerin Bobbi, die während der Trainingseinlagen zwar knallhart ist, ihren Schützling ansonst aber liebevoll antreibt, verantwortungsbewusster zu werden, bringt bereits auf dem Papier nennenswerte Nuancen mit.

    Die ruhigen Momente zeigen, was möglich gewesen wäre

    Das Drehbuch ist ganz klar das größte Problem von „Bruised“. Zugleich holt Halle Berry als Regisseurin aber das Maximum aus sich und ihren Co-Stars heraus: In ungewöhnlich langen Einstellungen erhält der Cast viel Freiraum zur schauspielerischen Entfaltung. Aufgrund des platten Skripts gibt es in den Darbietungen zwar nicht allzu viel unter der Oberfläche zu entdecken, allerdings überzeugen die Schauspieler*innen durch die Bank mit einer selbstbewusst zur Schau gestellten Intensität.

    Gerade in wortarmen Augenblicken gewinnen die Figuren daher an Plausibilität. Wenn Manny sich von einem Streit zwischen Jackie und Desi ablenkt, indem er sich geistesabwesend Abendessen macht, Bobbi und Immaculate sich mit Blicken über Jackies Trainingsfortschritte austauschen oder Angel ratlos ins Leere starrt, während sie überlegt, wo sie wichtige Unterlagen abgelegt hat: Berry holt gerade in solchen Momenten Performances aus dem Cats heraus, die die Figuren trotz des eindimensionalen Stoffes nicht wie reine Abziehbilder erscheinen lassen.

    Starke Leistung: Die britische Theaterdarstellerin Sheila Atim ist der größte Lichtblick in "Bruised".

    Die raue Kameraarbeit von Frank G. DeMarco und Joshua Reis verstärkt den niederschmetternden Eindruck einer kaputten Welt, aus der sich Jackie zu kämpfen versucht. Die ohnehin verlebten Schauplätze werden durch eine braun-gilbe Farbgebung besonders unschmeichelhaft in Szene gesetzt. Doch anders als Rosenfarbs Skript verzichtet Berry bei ihrer Inszenierung darauf, sich in dem Elend der Figuren zu suhlen: Kurze Augenblicke des Glücks wie ein glanzloser, aber entspannter Mutter-Sohn-Nachmittag gehen der Regisseurin ohne aufgesetzten Kitsch von der Hand.

    Mehr noch als Berrys Regieführung überzeugt ihre Leistung in der Hauptrolle: Sie spielt Jackie kraftvoll, vollkommen uneitel und voller Emotion, ohne je ins Overacting abzudriften. Der größte Lichtblick in „Bruised“ ist jedoch die britische Theaterdarstellerin Sheila Atim, die als Jackies Trainerin eine besonders eingängige Präsenz entwickelt: Gleichermaßen streng wie liebevoll gibt sie ihrem Schützling wie beiläufig wichtige Ratschläge, bleibt dabei aber auch mysteriöse, wenn sie immer wieder schlagartig das Thema wechselt, sobald ihr Gespräche zu privat werden. Der Magnetismus, der nach und nach zwischen Bobbi und Jackie enststeht, hätte glatt allein den Film tragen können – ist aber am Ende eben doch nur einer von zu vielen kaum entwickelten Subplots. Bleibt nur zu hoffen, dass sich Berry bei ihrer nächsten Regiearbeit eines ausgereifteren Stoffes annimmt.

    Fazit: Halle Berry in „Bruised“ als Hauptdarstellerin und Regisseurin eine gute Figur – aber muss sich letztendlich doch dem (selbst für Sportfilm-Verhältnisse) arg klischeehaften Skript geschlagen geben.

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