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    Die perfekte Kandidatin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die perfekte Kandidatin

    Spannende Einblicke

    Von Björn Becher

    Der Auftakt von „Die perfekte Kandidatin“ lässt Schlimmes befürchten. Da sehen wir einen schwerkranken Mann, der sich in einem saudi-arabischen Krankenhaus lieber den männlichen Pflegern als der sehr viel besser ausgebildeten Ärztin anvertraut – und seine Starrköpfigkeit beinahe mit seinem Leben bezahlt, bis er sich später im Film doch noch eines Besseren belehren lässt. Die Szene ist so überdeutlich, dass sie wie der Beginn eines didaktischen Lehrstücks anmutet. Aber der erste Eindruck täuscht zum Glück! Regisseurin Haifaa Al Mansour, die 2012 mit „Das Mädchen Wadjda“ den ersten abendfüllenden Film aus Saudi-Arabien überhaupt inszenierte, macht anschließend nämlich mit nach dem Start kaum noch erwartbarer Subtilität und jeder Menge schwungvoll-mitreißender Momente weiter.

    Dr. Maryam (Mila Alzahrani) arbeitet als Ärztin in einer kleinen, nur sehr spärlich ausgestatteten Klinik. Als sie für eine Konferenz nach Dubai fliegen will, wird ihr am Flughafen die Ausreise verwehrt. Als Frau braucht sie dafür die Erlaubnis eines männlichen Vormundes – und da ihr Vater (Khalid Abdulrhim), ein Musiker, gerade zu einer landesweiten Tournee aufgebrochen ist, kann er ihr keine ausstellen. Ihre einzige Hoffnung ist ein in einer Behörde arbeitender Cousin, der aber gerade nur Kandidaten für die kommenden Gemeinderatswahlen empfängt. Unter dem Vorwand, sich selbst bewerben zu wollen, lügt sich Maryam in sein Büro vor. Doch auch er kann ihr nicht helfen. In Maryam formt sich derweil ein anderer Gedanke: Jetzt, wo sie ohnehin schon mal auf der Wahlliste für den Gemeinderat steht, könnte sie ja auch tatsächlich kandidieren…

    Eine Ärztin hat es in Saudi-Arabien noch schwer.

    Eigentlich will Maryam mit ihrer Kandidatur nur eine Sache ändern. Zu ihrem Krankenhaus führt keine geteerte Straße, sondern nur ein matschiger Weg, auf dem Krankenwagen bei Regen regelmäßig stecken bleiben, was jeden Klinikbesuch zu einer gefährlichen Unternehmung macht. Also will sie die lange versprochene Straße im Gemeinderat durchsetzen. Aber stattdessen wird ihr Wahlkampf schnell zum Politikum: Eine Frau, die sich für ein offizielles Amt bewirbt, gab es bisher noch nicht. Die Presse berichtet über sie, die Männer runzeln die Stirn – doch Haifaa Al Mansour schlachtet die Szenerie nicht aus. Statt ein lautes politisches Plädoyer samt der typischen Elemente des Erbauungskinos zu liefern, konzentriert sie sich auf das Beobachten – gänzlich unaufgeregt.

    Damit passt sie sich ihrer Heldin an, die ihre Kampagne auch eher zögerlich und zunächst noch gar nicht voller Tatendrang startet. So entstehen viele der amüsanten kleinen Momente fast schon beiläufig – wie etwa die eher unprofessionellen Versuche von Maryam, mit ihren Schwestern Wahlwerbung zu machen: mit YouTube-Videos amerikanischer Provinz-Politclowns als Vorbild, die von den Schwestern aber für seriöse Spots gehalten werden. Haifaa Al Mansour, die nach „Das Mädchen Wadjda“ mit „Mary Shelley“ und dem Netflix-Film „Alte Zöpfe“ zwei englischsprachige Produktionen inszeniert hat, widmet den Familienszenen dabei sogar mehr Aufmerksamkeit als der eigentlichen Kampagne.

    Unterstützung durch die Familie.

    Die Diskussionen der Schwestern, die sich anfangs noch uneins sind, ob Maryam die Kandidatur wirklich durchziehen soll, sind dabei ausgesprochen lebhaft und sorgen für viele komische Momente, die dem Drama eine angenehme Leichtigkeit verleihen. Im Wahlkampf stellt die Filmemacherin dagegen immer wieder die Absurditäten heraus, die trotz erster Fortschritte mit der immer noch strikten Geschlechtertrennung in Saudi-Arabien einhergehen. Da darf Maryam als Frau ihre eigene Wahlkampfveranstaltung nicht besuchen, sondern muss per Videoschalte zu den Männern sprechen – was technisch auch prompt in die Hose geht. Das ist übrigens auch ein Verweis auf die eigene Karriere der Regisseurin. Bei ihrem Debüt „Das Mädchen Wadjda“ musste sie auch viele Szenen per Monitor und Walkie-Talkie aus der Ferne inszenieren, weil sie nicht mit der überwiegend männlichen Crew zusammen sein durfte.

    Politisch ganz sicher nicht unproblematisch

    „Die perfekte Kandidatin“ ist keine kritische Anklage an die Herrscher von oder die Verhältnisse in Saudi-Arabien. Der Film wurde (neben Geld aus Deutschland) sogar von offizieller staatlicher Seite unterstützt. Wohl auch deshalb gibt es einige Momente, die sich explizit dem aktuellen Wandel im Land widmen – und man sollte das auch durchaus im Hinterkopf behalten, wenn man sich den Film ansieht. Schließlich scheint das die Taktik zu sein: Auf der einen Seite progressiv tun (Führerscheine für Frauen), um dann auf der anderen doppelt hart zuzuschlagen (Frauenrechtlerinnen in den Knast schmeißen). Trotzdem liefert „Die perfekte Kandidatin“ spannende Perspektiven – speziell auch dann, wenn der Vater singend und die arabische Laute Out spielend mit seiner Band durchs Land zieht.

    Solche öffentlichen Konzerte sind in Saudi-Arabien erst seit kurzem erlaubt. Mit den Problemen, mit denen er dabei konfrontiert wird (muslimische Hardliner wollen die Auftritte verhindern und drohen mit Anschlägen), wird noch ein zusätzlicher Fokus gesetzt. Vor allem aber sind die daraus resultierenden schwungvollen Auftritte und Musik-Einlagen ein Highlight, tragen sie doch eine wunderbare Dynamik und Energie in „Die perfekte Kandidatin“ hinein. Für die allgemein angenehm auflockernde Musik im Film zeichnet übrigens der deutsche Erfolgskomponist Volker Bertelmann alias Hauschka verantwortlich, der für „Lion“ für den Oscar nominiert wurde.

    Fazit: Man sollte bei „Die perfekte Kandidatin“ immer mitdenken, in welchem politischen Umfeld er entstanden ist – und trotzdem ist der Film wohltuend wenig didaktisch geraten. Eine mitreißende, unaufgeregte Heldin liefert spannende neue Einblicke in eine ansonst so abgeschlossene Gesellschaft (im Wandel).

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