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    The Hanging Sun
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Hanging Sun

    Die Hölle kurz vor dem Ende der Welt

    Von Christoph Petersen

    Seitdem der schwedische Bestseller-Garant Henning Mankell („Kommissar Wallander“) in den Neunzigern den bis heute anhaltenden Nordic-noir-Hype ausgelöst hat, liefern sich die Krimi-Autor*innen der skandinavischen Länder einen regelrechten Wettstreit, wer von ihnen den kalten, düsteren Norden Europas am trostlosesten, menschenfeindlichsten und geradeheraus abgründigsten porträtieren kann. Der Norweger Jo Nesbø („Schneemann“) ist da immer ganz vorne mit dabei – und so verwundert es auch nicht, dass sich in dem auf seinem Roman „Midnight Sun“ basierenden Sky-Original „The Hanging Sun“ nun ausgerechnet zwei Mörder*innen als die moralisch noch am wenigsten abgefuckten Figuren herausstellen.

    „Midnight Sun“ ist eigentlich das zweite Buch in Jo Nesbøs Reihe rund um den Osloser Drogen-Baron The Fisherman - der erste Roman, „Blood On Snow“, sollte unterdessen vor einigen Jahren mal das Regiedebüt von Tobey Maguire werden, aber aus dem Projekt ist dann doch nichts geworden. Weil „The Hanging Sun“ nun aber auf eigenen Beinen stehen muss, haben der bisher nur im Dokumentar-Genre und Musikvideo-Sektor tätige Regisseur Francesco Carrozzini und sein Drehbuchautor Stefano Bises („Gomorrah“) etliche Änderungen am Stoff vorgenommen, die nun vor allem auf die fast schon klaustrophobische Qualität in einem isolierten Fischerdorf spielenden Films einzahlen. Bloß spannend ist der Noir-Thriller dabei leider nur selten geraten.

    Für den Killer John (Alessandro Borghi) könnten Lea (Jessica Brown Findlay) und ihr Sohn Caleb (Raphael Vicas) der erste Schritt in Richtung Erlösung sein…

    John (Alessandro Borghi) hat für seinen Gangster-Boss-Adoptivvater (Peter Mullan) bislang stets die Drecksarbeit geleistet. Aber nun hat er genug vom ständigen Morden und flieht – erst einmal in ein winziges abgelegenes Fischerdorf ganz an der nördlichen Spitze Norwegens, wo er sich verstecken will, bis ein Paket mit Bargeld und einem Reisepass eintrifft. Doch sein Vater lässt das nicht auf sich sitzen und schickt seinen leiblichen, eh schon immer auf John eifersüchtigen Stammhalter Michael (Frederick Schmidt) hinterher, um den verlorenen Sohn zurückzuholen.

    John bezieht derweil eine im Wald gelegene Jagdhütte, die er von Lea (Jessica Brown Findlay) mietet. Die Pastoren-Tochter hat gerade ihren sie schlagenden Ehemann Aron (Sam Spruell) verloren, der eines Tages nicht mehr vom Meer zurückgekehrt ist. Dabei scheint das ganze Dorf unter der Fuchtel des strengen Gottesmannes Jacob (Charles Dance) zu stehen – aber auch wenn hier Alkohol genauso verpönt ist wie Fremde, scheint es in dieser ach so gottesfürchtigen Gemeinde mit Ausnahme von Leas Sohn Caleb (Raphael Vicas) fast nur abgrundtief schlechte Menschen zu geben…

    Verstörend intim

    In der literarischen Vorlage ist der Fisherking Kopf einer ganzen Verbrecherorganisation – in der Verfilmung heißt er einfach nur „Dad“ und auch wenn man spürt, dass er viel Macht besitzt, sieht man ihn meistens nur mit seinen Söhnen oder maximal einem Handlanger, aus dem der gewohnt brillant-diabolische Peter Mullan („Die unbarmherzigen Schwestern“) mit Leichtigkeit Johns Aufenthaltsort herauspresst. Im Roman „Midnight Sun“ ist der Protagonist ein mit Geld und Drogen geflohener Killer – in der Verfilmung ist es der Sohn, der in den Schoss des Vaters zurückkehren soll. Es ist alles viel intimer und persönlicher …

    … und das bereitet schon mal die passende Stimmung für das Porträt der nur guten Handvoll im Film vorkommenden Dorfbewohner. Hier hat sich die Pastoren-Tochter, auch im Namen Gottes, nun mal von ihrem saufenden Ehemann schlagen zu lassen – und wenn der endlich das Zeitliche segnet, entscheidet der eigene Vater, dass sie als nächstes den nicht weniger schlimmen Zwillingsbruder ihres verblichenen Gatten zu ehelichen hat. Es scheint, als sei die Hölle tatsächlich übergefroren – und nun im Norden Norwegens wieder aufgetaucht.

    Den Nebel kennt man doch…

    Die Bilder, die Francesco Carrozzini dafür findet, zeigen gefühlt denselben nasskalten Nebel, der auch schon in unzähligen anderen Nordic-noirs im Hintergrund gelauert hat. Ja, man spürt die (menschliche) Kälte und es ist durchaus atmosphärisch, aber zugleich eben auch ermüdend bekannt. Zudem zahlt hier wirklich alles – von den sich konsequent zurücknehmenden Stars Alessandro Borghi („Acht Berge“) und Jessica Brown Findlay („Downton Abbey“) bis hin zum dahinplätschernden Plot – auf die elegische Stimmung des Films ein. Die erstickt im selben Moment nur leider auch jeden Anflug von Suspense oder Spannung im Keim…

    Fazit: Francesco Carrozzini zeichnet das ganz weit oben im Norden Norwegens gelegene Fischerdorf als verschlafenen Vorhof zur Hölle – und das hat durchaus seinen abgründigen Reiz. Leider erzählt er seine Thriller-Handlung darüber hinaus aber bis hin zum bewusst unterwältigenden Finale ohne nennenswerte Spannungsspitzen.

    Wir haben „The Hanging Sun“ beim Filmfestival in Venedig gesehen, wo er außer Konkurrenz als Abschlussfilm seine Weltpremiere gefeiert hat.

     

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