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    Pferde stehlen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Pferde stehlen

    Das eine Unglück zu viel

    Von Björn Becher

    Der norwegische Regisseur Hans Petter Moland hat sich in den vergangenen Jahren mit schwarzhumorigen Filmen wie „Ein Mann von Welt“ auch in Deutschland einen Namen gemacht. Seinen trockenen-sarkastischen Rachefilm „Einer nach dem anderen“ hat er kürzlich sogar in Hollywood unter dem Titel „Hard Powder“ mit Liam Neeson neu aufgelegt. Die Bestselleradaption „Pferde stehlen“ unterscheidet sich allerdings massiv von seinen bisherigen Filmen. Bei der dunklen Historiengeschichte gibt es nichts zu lachen, stattdessen müssen die Figuren zahlreiche Schicksalsschläge erleiden, die aber schon allein aufgrund ihrer Häufigkeit nach und nach an Wirkung verlieren. Weil zugleich auch die zentrale Vater-Sohn-Geschichte nicht durchweg fesselt, bleibt „Pferde stehlen“ trotz seines aufrüttelnden Themas und starker Bilder oft seltsam emotionslos.

    November, 1999: Nachdem er seine Frau bei einem Unfall verloren hat, zieht sich Rentner Trond (Stellan Skarsgård) in die norwegische Einöde zurück. Einsam verbringt er in der winterlichen Abgeschiedenheit seine Tage, bis er das erste Mal seinem schrulligen Nachbarn Lars (Bjørn Floberg) begegnet und bemerkt, dass er diesen noch von früher kennt. Er erinnert sich an einen Tag im Sommer 1948, als er mit Lars älterem Bruder Jon (Sjur Vatne Brean) Pferde stehlen ging. Jenen Sommer verbrachte der damals 15 Jahre alte Trond (nun: Jon Ranes) nur mit seinem Vater (Tobias Santelmann) beim Holzfällen in den Bergen. Nebenan wohnte die Familie von Lars, allen voran dessen schöne Mutter (Danica Curcic). Aber dann kam es zu einer Katastrophe, mit der alles begann... 

    Die Vorlage von Per Petterson, einem der erfolgreichsten und bekanntesten norwegischen Autoren, ist schon allein aufgrund ihrer verschiedenen Zeitebenen unglaublich komplex. Moland versucht in seiner Verfilmung etwas Ähnliches. Aus dem Jahr 1999 führt uns Stellan Skarsgård als Erzähler in den Juni 1948. Dort geht es im Rahmen einer kurzen Rückblende in der Rückblende zwischenzeitlich noch einmal einen weiteren Tag zurück. Und als der junge Trond von einem Familienfreund (Gard Bjørnstjerne Eidsvold) die Wahrheit über die Vergangenheit seines eigenen Vaters erfährt, landen wir schließlich auch noch im Jahr 1943. Mit dem ausgiebigen Einsatz eines Off-Erzählers versucht der auch selbst für das Drehbuch verantwortlich zeichnende Moland, seinen Rückblenden eine Struktur zu verleihen. Das gelingt aber nur bedingt, sind die Worte aus dem Off doch viel zu oft nur unnötig-weitschweifende Ausführungen.

    Durch die Zersplitterung entfaltet keine der Geschichte ihren vollen Reiz. Wie sich der alte Trond in seiner Einsamkeit einrichtet, bietet auch dank der gewohnt starken Präsenz von Hauptdarsteller Stellan Skarsgård („Captain America – The First Avenger“) einige wundervolle Momente, aber das ist eben nur ein kleiner Teil der gut zwei Stunden Laufzeit. Der kurze Ausflug in die Zeit des Widerstands gegen die Nationalsozialisten bekommt hingegen nicht einmal genug Raum, um überhaupt etwas zu entwickeln. Und die im Sommer `48 angesiedelte Geschichte im Zentrum des Films ist auch für sich schon mit Themen und Erzählungen völlig überfrachtet.

    Exemplarisch dafür steht die Schwärmerei des jungen Trond für die Mutter von Jon und Lars. Vom ersten Moment an ist - auch durch Andeutungen im Off-Kommentar - klar, dass zwischen ihr und Tronds Vater bereits was läuft. Und einen Ehemann (Pål Sverre Hagen) gibt es ja schließlich auch noch. Aber wenn sich der (eh nur hastig) aufgebaute Konflikt schließlich entlädt, ist der Knall auch sofort wieder vorbei und vergessen. Schließlich wartet bereits der nächste Schicksalsschlag für eine der Figuren...

    Wenn hier relativ zu Beginn ein kleiner Junge seinen Bruder beim Spielen mit einem geladenen Gewehr tötet, ist das natürlich ein Paukenschlag. Doch dieser Hieb in die Magengrube mitsamt den stark inszenierten Reaktionen der übrigen Familienmitglieder schadet in gewisser Hinsicht dem gesamten weiteren Film: Denn diese unter die Haut gehende Szene ist so intensiv, dass da jeder weitere Niederschlag da – so traurig er auch ist – einfach nicht mithalten kann und deshalb nicht länger die gewünschte Wirkung entfaltet. Wobei das auch an den Figuren liegt, die vieles entweder sehr gleichgültig hinnehmen oder in der Erzählung plötzlich keine Rolle mehr spielen. In der im Jahr 1948 angesiedelten zentralen Erzählung verschwindet nämlich tatsächlich einer nach dem anderen.

    Dabei schafft Moland mit seiner über weite Strecken herausragenden Inszenierung eigentlich das perfekte Setting für sein Drama. Eine Szene, in der die Väter von Trond und Lars gemeinsam gefällte Baumstämme aufschichten, sticht hier besonders heraus. Immer wieder schlagen sich ihre Tragehaken in die Stämme, hieven diese mit einer flüssigen Bewegung hoch, immer schneller folgt Bild auf Bild, Ton auf Ton, bis jedem klar ist, dass sich auch dies in einer weiteren Katastrophe entladen wird. Daneben fängt der Regisseur nicht nur die Härte und Schönheit sowohl der winterlichen wie sommerlichen Landschaften gekonnt ein, sondern arbeitet auch in diesen Momenten stark mit der Tonspur. Wiederholt werden Hintergrundgeräusche so massiv verstärkt, dass sie die Menschen fast aus dem Bild verdrängen, was die Unwirtlichkeit der Settings, ob nun in den Bergen oder in der Einöde, noch zusätzlich unterstreicht.

    Fazit: In „Pferde stehlen“ geschehen den Figuren ziemlich viele ziemlich schreckliche Dinge – aber berührend ist das trotzdem nur selten.

    Wir haben „Out Stealing Horses“ im Rahmen der Berlinale 2019 gesehen, wo der Film im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

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