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    Beale Street
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Beale Street

    Barry Jenkins ist kein One-Hit-Wonder!

    Von Christoph Petersen

    Es war der größte Twist in der Geschichte der Academy Awards, als „Moonlight“ am 27. Februar 2017 mit dem Preis als Bester Film ausgezeichnet wurde, nachdem die Präsentatoren Warren Beatty und Faye Dunaway 150 Sekunden zuvor bereits den falschen Umschlag geöffnet und „La La Land“ als Gewinner verkündet hatten. Nun kann man auf die verantwortlichen Anwälte der Kanzlei PricewaterhouseCoopers schimpfen wie man will, aber wenn man mal ehrlich ist, muss man doch zugeben: Mit all dem Chaos zum Schluss war die Verleihung doch sehr viel geiler und sehr viel erinnerungswürdiger, als sie es ohne die Verwechslung gewesen wäre! Wir würden auf diesen unvergesslichen Oscar-Moment jedenfalls nur ungern verzichten wollen. Schade nur, dass in dem anschließenden (Medien-)Trubel ein wenig zu kurz gekommen ist, was für ein fantastischer Film da eigentlich gerade gewonnen hat.

    Jetzt hat „Moonlight“-Auteur Barry Jenkins mit „Beale Street“ seinen nächsten Film vorgelegt. Allerdings wird die Adaption des James-Baldwin-Romans „If Beale Street Could Talk“ trotz guter Nominierungs-Chancen als Bester Film und der Oscar-Favoritenrolle für Regina King als Beste Nebendarstellerin nicht ansatzweise solch einen riesigen Hype auslösen können wie sein Vorgänger. Mit der Qualität der Filme hat das allerdings nichts zu tun. Nur lieferte „Moonlight“ mit seiner auf drei Schauspieler aufgeteilten Hauptfigur, seiner ebenso wilden wie lyrischen Kamera sowie seinem den Zeitgeist perfekt treffenden Thema gleich eine ganze Menge Steilvorlagen, an denen man seine Begeisterung nach dem Kinobesuch aufhängen konnte. „Beale Street“ ist subtiler erzählt und zurückhaltender inszeniert, aber deshalb kein Stück weniger brillant. Und wenn sich das Drama erst einmal angeschlichen hat, macht es zugleich unglaublich glücklich und unfassbar wütend.

    Der New Yorker Stadtteil Harlem in den 1970er Jahren: Tish Rivers (KiKi Layne) hat Angst davor, ihrer Familie zu erzählen, dass sie von ihrem Freund Alonzo „Fonny“ Hunt (Stephan James) schwanger ist. Zwar reagieren ihre Eltern Joseph (Colman Domingo) und Sharon (Regina King) viel erfreuter als erwartet, aber das ändert nichts daran, dass Fonny aktuell in Untersuchungshaft sitzt, weil er eine Puerto-Ricanerin am anderen Ende der Stadt vergewaltigt haben soll. Zwar ist es ziemlich offensichtlich, dass er die Tat nicht begangen hat, aber im Kampf gegen das System müssen die Familien von Tish und Fonny trotzdem an ihre Grenzen und darüber hinaus gehen, um seine Unschuld zu beweisen... Parallel dazu wird erzählt, wie die Parfümverkäuferin Tish und der Bildhauer Fonny, die schon seit frühen Kindertagen die allerbesten Freunde sind, plötzlich ihre Liebe füreinander entdecken und sich gegen alle Widerstände eine gemeinsame Zukunft aufbauen wollen...

    Der Schriftsteller James Baldwin, dem erst vor zwei Jahren mit dem oscarnominierten „I Am Not Your Negro“ ein überragendes dokumentarisches Denkmal gesetzt wurde, war neben Martin Luther King und Malcolm X einer der zentralen Vordenker der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Neben seinen literarischen Werken begeistern vor allem seine kämpferischen Talkshow-Auftritte (auf YouTube findet man noch immer eine Menge), bei denen er seine intellektuell und sprachlich weit unterlegenden Mitdiskutanten regelmäßig unangespitzt in den Boden rammt. Es ist also kein Wunder, mit welch gestochener Brillanz die Gesellschaftskritik auch abseits des zentralen Zu-Unrecht-Eingesperrt-Plots immer wieder in „Beale Street“ hineinschwappt. Herausragend ist etwa eine mehrminütige Dialogsequenz, in der Fonnys Jugendfreund Daniel (Brian Tyree Henry) von seiner Zeit im Knast erzählt (er hat sich freiwillig zu einem Autodiebstahl bekannt, den er nicht begangen hat, um nicht wegen des Besitzes von Marihuana eingebuchtet zu werden). Jedes seiner Worte ist ein Stich in die Seele einer vermeintlich großen Nation ebenso wie in das Herz des Kinozuschauers.

    Solche Schläge in die Magengrube sind hier vor allem deshalb so wirkungsvoll, weil „Beale Street“ eben kein (zu Recht) wütendes Bürgerrechtsdrama wie „Malcolm X“ oder „Selma“ ist. Stattdessen präsentiert Barry Jenkins seine von James Baldwin vorformulierte Anklage in Form einer sanft-zärtlichen Liebesgeschichte. In vielen ähnlichen Filmen verlieben sich die Protagonisten ja überhaupt nur, damit das Publikum anschließend noch aufgebrachter sein kann, wenn ihnen schließlich eine himmelschreiende Ungerechtigkeit widerfährt. Aber die Liebe zwischen Tish und Fonny wirkt auch ohne all das, was ihnen anschließend allein aufgrund der Farbe ihrer Haut zustößt, wie etwas unendlich Wertvolles – inklusive einer der intimsten, schönsten und bestaussehenden Erste-Mal-Szenen der Filmgeschichte.

    Apropos gut aussehen: Der für „Moonlight“ oscarnominierte James Laxton („Yoga Hosers“, „Tusk“) mag seine Kamera dieses Mal nicht ansatzweise so viel herumwirbeln, aber seine Bilder sind trotzdem erneut zum Niederknien schön – solche Farben hat man außer bei dem Duo Laxton/Jenkins definitiv noch nicht gesehen. Schon die erste Einstellung, an deren Ende die Kamera von oben auf das zentrale, durch den Park schlendernde Paar herabschaut, lädt direkt dazu ein, sich in den Film und seine Protagonisten zu verlieben. In unserer Kritik zu „Moonlight“ haben wir noch geschrieben, dass der Film immer wieder „an der Grenze zur Überinszenierung vorbeischrammt“.

    Aber in dieser Hinsicht nimmt sich Jenkins dieses Mal angenehm zurück, ohne dass seine Inszenierung durch das Fehlen solcher visuellen Spielereien etwas von ihrer lyrischen Qualität einbüßen würde. Abgesehen von einigen Freeze Frames, die in schwarz-weiße Originalfotos aus den 1970ern übergehen und mit einem direkt aus dem Roman übernommenen Kommentar unterlegt sind, vertraut er ganz auf die Kraft seiner Bilder, seines Scores und vor allem seiner Darsteller. Eine sichere Wette, die sich im Fall von „Beale Street“ auch unbedingt auszahlt: Wenn die Newcomerin KiKi Layne („Captive State“) und der schon etwas erfahrenere Stephen James (Jesse Owens in „Zeit für Legenden“) nach dieser Leistung nicht zu Leinwandstars aufsteigen, dann wissen wir auch nicht.

    Fazit: Ganz einfach einer der bestgespielten, bestfotografierten, bestinszenierten und berührendsten Filme des Jahres!

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