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    Tatort: Goldbach
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Goldbach
    Von Lars-Christian Daniels

    Im Dezember 2015 landete der SWR einen echten PR-Coup: Kein Geringerer als Late-Night-Talker, TV-Entertainer und Schauspieler Harald Schmidt („Das Traumschiff“) sagte dem Sender für eine feste Rolle im neuen Schwarzwald-„Tatort“ zu – dem Nachfolger des abgesetzten Konstanz-„Tatort“. Ähnlich hohe Wellen schlug einst allenfalls die umstrittene Entscheidung des NDR, Til Schweiger im „Tatort“ aus Hamburg ermitteln zu lassen - und Schmidt kommentierte die ihm zugedachte Rolle als Kriminaloberrat Gernot Schöllhammer gewohnt launig: „Die Gesellschaft ist reif für ein radikal neues Lebenskonzept, einen Chef, der ein heterosexueller, katholischer Familienvater ist.“ Zwei Wochen vor dem Drehstart dann die Rolle rückwärts: Schmidt sagte sein Engagement im März 2017 „aus persönlichen Gründen“ ab. Während die Medien über zu hohe Gagenforderungen und gesundheitliche Probleme diskutierten, ging die notgedrungene Last-Minute-Neubesetzung fast unter: Schauspielerin Steffi Kühnert („Die Frau, die sich traut“) sprang ein und wird nun dauerhaft an der Seite von Eva Löbau („Blind & Hässlich“) und Hans-Jochen Wagner („Affenkönig“) im Schwarzwaldkrimi zu sehen sein. In Robert Thalheims „Tatort: Goldbach“ feiern die drei ein überzeugendes Debüt, das die Lust auf weitere Folgen aus dem Südwesten der Republik weckt.

    Die Freiburger Hauptkommissare Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) werden von ihrer Chefin Cornelia Harms (Steffi Kühnert) in das kleine Örtchen Goldbach im Schwarzwald geschickt: In der Nähe der idyllischen Siedlung wurde die elfjährige Frieda (Alexa Luna Tröndle) erschossen im Wald aufgefunden. Gezielter Mord oder tragischer Unfall? Ihre Eltern Jens (Godehard Giese) und Barbara Reutter (Victoria Mayer) stehen unter Schock. Auch die Nachbarn, mit denen sie gut befreundet sind, nimmt der Vorfall mit: Paul (Aaron Kissiov), der Sohn von Klaus (Felix Knopp) und Steffi Buchwald (Isabella Bartdorff), hatte noch mit Frieda im Wald gespielt, kehrt aber unversehrt zurück und hat angeblich nichts Außergewöhnliches mitbekommen. Verschwunden bleibt Pauls gleichaltriger Kumpel Linus (Oskar von Schönfels), der Sohn von Martin (Shenja Lacher) und Nicole Benzinger (Odine Johne). In der Nähe des Tatorts finden Tobler und Berg ein rätselhaftes Waffendepot, dessen Spur in die Firma von Stefan Pfeiffer (Christian Heller) führt. Der hält allerdings hervorragende Verbindungen in die baden-württembergische Landespolitik...

    Man kann sich ausmalen, wie viele Hebel der SWR wenige Tage vor dem Drehstart in Bewegung setzen musste, um noch eine komplett neue Figur in die Handlung einzubauen, doch die Rechnung geht auf: Dass Harald Schmidt dem Sender so kurzfristig und aus heiterem Himmel abgesagt hat, ist im Drehbuch von Bernd Lange („Requiem“, „Was bleibt“) nicht im Geringsten zu spüren. Kripochefin Harms ist bei ihrem Debüt genauso gut in die Geschichte integriert wie die beiden Kommissare, die im Vergleich zu anderen neueren „Tatort“-Ermittlern – man denke an den Dortmunder Exzentriker Peter Faber (Jörg Hartmann), den schrägen Saarbrücker Rollerfahrer Jens Stellbrink (Devid Striesow) oder den bisexuellen Berliner Draufgänger Robert Karow (Mark Waschke) – vergleichsweise unspektakulär ausfallen: Über ihr Privatleben erfahren wir nur sehr wenig, was durchaus ungewohnt für die Auftaktfolge eines neuen Teams ist. Eine kurze Aufwachszene verrät aber zumindest, dass Tobler liiert ist. Im Hinblick auf Berg, der im Präsidium schon mal zwei „Kurze“ einschenkt, bleibt diese Frage (noch) unbeantwortet – dafür irritiert der neue Kommissar immer wieder mit plötzlich eingeflochtenem Dialekt, der in dem Provinzkrimi ansonsten überraschenderweise Mangelware ist.

    Drehbuchautor Lange und Regisseur Robert Thalheim („Am Ende kommen Touristen“) arrangieren eine Kreuzung aus klassischem Whodunit und einer für „Tatort“-Verhältnisse eher ungewöhnlichen Vermisstengeschichte: Bis kurz vor Schluss darf der Zuschauer über das Schicksal des von der Bildfläche verschwundenen Linus miträtseln und für sich die Frage beantworten, was sich in den Wäldern am Rande der Siedlung wohl zugetragen hat. Welches Geheimnis trägt der schweigsame Paul mit sich herum und welche Rolle spielt dabei der zugeknöpfte Waffenhersteller und liebevolle Familienvater Pfeiffer? Zumindest eine, die wir zum Beispiel im „Tatort“ aus Hamburg, Luzern oder Wien schon dutzende Male gesehen haben: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kripochefin Harms beherzt in die Ermittlungen der Kommissare grätscht, weil Landesregierung und Wirtschaft ja verärgert werden könnten. Dieser halbherzige Ausflug in Richtung Politthriller bringt den Krimi kaum voran: Die Sendeminuten wären besser in eine etwas schärfere Figurenzeichnung im Hinblick auf die durch die Bank stark gespielten und zunehmend zerstrittenen Nachbarn investiert gewesen, die sich bald gegenseitig für die Tragödie im Wald verantwortlich machen.

    Der 1029. „Tatort“ hat aber andere Stärken und die sind nicht zuletzt ästhetischer Natur: Schon die erste Einstellung des Films – ein mehrere Sekunden langes Panorama der verschneiten Bäume, durch die plötzlich der tödliche Schuss hallt – macht deutlich, dass im neuen SWR-„Tatort“ vor allem der Schwarzwald der Star ist. Der Fokus auf dessen winterliche Natur und düstere Atmosphäre zieht sich wie ein roter Faden durch den Film und wird durch einen tollen Klangteppich gezielt verstärkt, während die Verfolgungsjagden über Stock und Stein und die Indiziensuche im Unterholz eine willkommene Abwechslung zu den Großstadtkulissen bieten, die wir in der Krimireihe sonst so häufig zu sehen bekommen (ähnlich tief in die Provinz geht es allenfalls im „Tatort“ aus Österreich oder Niedersachsen). Hier offenbart sich auch die ästhetische Nähe zu Mankell-Verfilmungen oder anderen Skandinavien-Krimis, mit denen der erste Schwarzwald-„Tatort“ im Hinblick auf die Spannung und den Gruselfaktor aber nicht ganz mithalten kann: Vor allem im Mittelteil des Films, in dem es um die Hintergründe des Waffenfundes geht („Die bestellen sich Kompakt-MGs wie Druckerpatronen!“), schleichen sich kleinere Längen in die Handlung ein.

    Fazit: Robert Thalheims „Tatort: Goldbach“ ist ein gelungenes und atmosphärisch dichtes Debüt für die neuen Schwarzwald-Ermittler, lässt aber auch noch Luft nach oben.

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