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    Unsane - Ausgeliefert
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Unsane - Ausgeliefert
    Von Christoph Petersen

    Schaffen wir den Elefanten, der die Diskussion um diesen Film sicherlich zum Großteil bestimmen wird, am besten gleich zu Beginn aus dem Weg. Ja, Steven Soderbergh („Out Of Sight“, „Traffic“) hat seinen Psychiatrie-Thriller „Unsane – Ausgeliefert“ komplett auf einem iPhone gedreht – und zwar höchstpersönlich unter dem Kameramann-Synonym Peter Andrews (auch hinter dem Namen der Cutterin Mary Ann Bernard steckt in Wahrheit der Regisseur selbst). Soderbergh hat den Dreh zudem in einem Interview als eine der „befreiendsten Erfahrungen seiner Karriere“ bezeichnet und zudem prognostiziert, dass in Zukunft immer mehr Filme auf iPhones gedreht werden. Nun sieht „Unsane - Ausgeliefert“ aber – anders als etwa der ebenfalls komplett mit iPhones gefilmte „Tangerine L.A.“ – nicht gerade besonders toll aus, stattdessen erinnert er mehr an diesen leicht schmuddeligen Indie-Digitallook der 1990er, den Soderbergh auch schon in einigen seiner Nebenbei-Projekte wie „Bubble“ immer wieder hochgehalten hat. Wir wünschen uns deshalb nicht unbedingt noch mehr auf iPhone gedrehte Filme. Wovon wir uns hingegen unbedingt noch mehr wünschen, sind solche selbstbewusst und schwungvoll erzählten Genrefilme wie „Unsane - Ausgeliefert“.

    Auf der Flucht vor ihrem Stalker David Strine (Joshua Leonard) ist die Analystin Sawyer Valentini (Claire Foy) erst kürzlich in eine neue Stadt gezogen, wo sie auch einen neuen Job bei einer Bank angefangen hat. Abends sucht sie sich per Tinder Männer für eine Nacht, in deren Gesichtern sie allerdings immer wieder das ihres Stalkers erkennt, was sie verständlicherweise in eine plötzliche Panik versetzt. Sie beschließt, sich Hilfe bei einem Psychiater zu holen. Aber obwohl sie eigentlich nur gekommen ist, um ein paar Termine zu machen, vielleicht eine halbe Stunde in der Woche, wird Sawyer in der psychiatrischen Anstalt Highland Creek gleich dortbehalten. Offenbar hat sie, ohne es zu merken, eine Selbsteinweisung für 24 Stunden unterschrieben – eine Masche des Krankenhauskonzerns, um die Bettenauslastung so hoch wie möglich zu halten. Mit Anrufen bei der Polizei und ihrer Mutter versucht Sawyer, aus der Anstalt wieder rauszukommen, während ihr jedes Wort und jede Tat von Krankenschwestern und Ärzten als „verrückt“ ausgelegt wird. Und dann erkennt sie in einem der tablettenausgebenden Pfleger auch noch ihren Stalker wieder…

    „Unsane – Ausgeliefert“ steht in der Tradition von Samuel Fullers 1954er-Klassiker „Schock-Korridor“, in dem sich ein psychisch gesunder Journalist in die Psychiatrie einweisen lässt, um dort einen Mord aufzuklären (dann aber Gefahr läuft, einfach als „verrückt“ abgestempelt und dortbehalten zu werden). Auch Sawyer verhält sich eigentlich ganz normal, wenn sie sich dagegen wehrt, einfach in der Anstalt festgehalten zu werden – und doch erweckt jeder Akt der Rebellion zugleich den Anschein, mit ihr würde tatsächlich etwas nicht stimmen (wozu auch ihr sehr trockener Sinn für Humor seinen Teil beiträgt). Das ist zugleich erschreckend, aber auf eine kafkaesk-böse Art auch ziemlich komisch. In „Unsane - Ausgeliefert“ gibt es erstaunlich viel Humor und er ist immer rabenschwarz. Zugleich setzt Soderbergh hier seinen Genre-Feldzug gegen die US-amerikanische Krankenhaus- und Pharmaindustrie fort, den er mit seinem twistreichen Medikamenten-Thriller „Side Effects“ vor ein paar Jahren begonnen hat. Aber so richtig will die Kritik am auf Auslastung ausgelegten Gesundheitssystem, wo Patienten notfalls auch gegen ihren Willen und ihr Interesse einfach dortbehalten werden, am Ende nicht zünden. Dafür ist der ganze Film viel zu sehr Räuberpistole, als dass man nun diesen einen Aspekt hundertprozentig ernstnehmen könnte.

    Wir wollen keine der Wendungen vorwegnehmen, aber der Plot und der Humor werden im Verlauf des Films definitiv noch eine ganze Ecke düsterer – dabei sind einige Twists ganz schön konstruiert und weit hergeholt, aber Soderbergh weiß das selbst und erzählt seine Geschichte deshalb mit einer solch mitreißenden Verve, dass man ihm trotz der kleineren Ungereimtheiten gerne auch in die dunkleren Ecken seiner Fantasie folgt. Schließlich macht das überraschend viel Spaß, selbst wenn einem das Lachen zwischendurch auch gerne mal im Hals stecken bleibt. Einen großen Anteil daran hat auch „The Crown“-Queen Claire Foy, die trotz der Umstände nur in wenigen Szenen wie ein klassisches Opfer wirkt,  und sich ansonsten mit ihrem bitteren Sarkasmus und notfalls auch einem angespitzten Löffel sehr wohl zu wehren weiß. Soderbergh geht zwar längst nicht so weit wie S. Craig Zahler, aber ein bisschen wirkt „Unsane - Ausgeliefert“ trotzdem wie die weniger radikale, aber mindestens genauso unterhaltsame kleine Schwester von dessen Grindhouse-Reißer „Brawl In Cell Block 99“. Und dann schaut auch noch ein oscarprämierter Superstar für einen dunkelschwarzhumorigen Cameo-Auftritt als Sicherheitsberater für Stalkingopfer vorbei – und wer sich nach dessen fatalistischen Beratungstipps in seinem Leben auch nur noch einen Schritt vor die Tür wagt, der hat tatsächlich Eier aus Stahl.

    Fazit: Eine schön schwarze und schön spaßige Psychiatrie-Räuberpistole.

    Wir haben „Unsane - Ausgeliefert“ bei der Berlinale 2018 gesehen, wo der Film außer Konkurrenz im Wettbewerb gezeigt wird.

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