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    Tatort: Die Musik stirbt zuletzt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tatort: Die Musik stirbt zuletzt
    Von Lars-Christian Daniels

    Man könnte fast meinen, die ARD würde die für das Publikum potenziell problematischen „Tatort“-Folgen in diesem Jahr gezielt im Sommerloch versenken: Der bereits im Kino gefloppte „Tschiller: Off Duty“ wurde – zum Unmut von Hauptdarsteller Til Schweiger, der sich öffentlich über die Entscheidung echauffierte – Anfang Juli während der noch laufenden Fußball-WM ausgestrahlt und fuhr prompt die schwächste „Tatort“-Quote seit zwölf Jahren ein. Auch der stilistisch ausgefallene „Tatort: Die Musik stirbt zuletzt“ feiert nun seine TV-Premiere an einem Sonntag, an dem sich viele Zuschauer im Sommerurlaub befinden oder den Abend lieber auf der Terrasse verbringen. Zufall? Nach dem Bericht einer großen Boulevardzeitung fiel der Krimi aus der Schweiz bei einer Testvorführung sang- und klanglos bei den Zuschauern durch – und so kommt die sommerliche Terminierung vielleicht nicht ganz von ungefähr, wenngleich das SRF die angeblich so negativen Reaktionen dementierte. Auch das TV-Publikum dürfte der Film von Dany Levy („Alles auf Zucker!“) allerdings spalten: Der in nur einer Kameraeinstellung gedrehte Krimi fällt in die Kategorie „Tatort“-Experiment – überzeugt dabei aber anders als so mancher Vorgänger auf ganzer Linie.

    Im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) findet ein großes Benefiz-Konzert statt: Der reiche Unternehmer Walter Loving (Hans Hollmann) hat das argentinische Jewish Chamber Orchestra engagiert, um an diesem Abend im Gedenken an die Opfer des Holocaust Stücke von Künstlern zu spielen, die von den Nazis ermordet wurden. Loving selbst hatte einst zahlreichen Juden zur Flucht verholfen und damit das Leben gerettet. Doch seine Vergangenheit scheint nicht ganz makellos zu sein: Sein Sohn Franky (Andri Schenardi) hat mit seinem Vater ebenso eine Rechnung offen wie die Pianistin Miriam Goldstein (Teresa Harder), die während des Konzerts ein Geheimnis lüften möchte. Dann aber gibt es einen Mordanschlag: Goldsteins Bruder Vincent (Patrick Elias), der im Orchester die Klarinette spielt, wird vergiftet und ringt um sein Leben. Unter den Gästen der Gala befindet sich neben Alice Loving-Orelli (Sibylle Canonica), der Ex-Frau des Gastgebers, und Jelena Princip (Uygar Tamer), der Partnerin seines Sohnes, auch die Luzerner Hauptkommissarin Liz Ritschard (Delia Mayer). Gemeinsam mit ihrem herbeizitierten Kollegen Reto Flückiger (Stefan Gubser) fahndet sie fieberhaft nach dem Täter, der sich noch im KKL befinden muss...

    Der Zufall (oder der Programmplaner der ARD) will es, dass der Schweizer „Tatort: Die Musik stirbt zuletzt“ kurz nach der TV-Wiederholung eines meisterhaften Fernsehkrimis ausgestrahlt wird, mit dem er mehrere Gemeinsamkeiten teilt: Der herausragende Wiesbadener „Tatort: Im Schmerz geboren“ lief am Sonntag zuvor und gilt für viele Fans und Kritiker als die beste jemals produzierte Folge der Reihe. Wie in der mit dutzenden Zitaten und popkulturellen Anspielungen durchsetzten Shakespeare-Italo-Western-Oper von 2014 setzt auch Regisseur und Drehbuchautor Dani Levy, der nach dem „Tatort: Schmutziger Donnerstag“ zum zweiten Mal für Luzern am Ruder sitzt, auf das Durchbrechen der „vierten Wand“: Gleich zu Beginn des Films spricht der schnöselig-arrogante Franky Loving direkt in die Kamera zum Zuschauer und führt ihn mit markigen Worten in das turbulente Treiben ein, das diesem in den folgenden knapp 90 Minuten bevorsteht. Auch im weiteren Verlauf des Films wendet sich der arrogante Exzentriker immer wieder ans Publikum und hievt den Echtzeit-Krimi so auf eine humorvoll angehauchte Meta-Ebene: „Ende gut, alles gut – ein bisschen kürzer als andere Tatorte, aber immer noch okay“, wirft Loving zum Beispiel auf der Zielgeraden ein.

    Auch die elegant eingeflochtene Südamerika-Rückblende und die Omnipräsenz von klassischer Musik kennen wir aus „Tatort: Im Schmerz geboren“ – doch blieben bei diesem Krimi neben dem fantastischen Soundtrack, den herausragenden Schauspielern Ulrich Matthes und Ulrich Tukur vor allem die tolle Regie und das clevere Drehbuch in Erinnerung, so ist der Star im 1063. „Tatort“ nun eindeutig der Kameramann. Zum ersten Mal in der fast 50-jährigen Geschichte der ARD-Reihe entstand der Film – obwohl es hektische Verfolgungsjagden, Szenen vor großen Spiegeln und weitere Herausforderungen zu meistern gilt – komplett ohne (sichtbaren) Schnitt: Kameramann Filip Zumbrunn („Eleanor & Colette“) hat die Handlung in einer einzigen Einstellung gedreht, wie wir es zum Beispiel aus Sebastian Schippers „Victoria“, Alejandro González Iñárritus „Birdman“ oder dem Hitchcock-Klassiker „Ein Cocktail für eine Leiche“ kennen. Angesichts des Echtzeit-Charakters und des großen Live-Events im KKL ergeben sich auch Parallelen zur spektakulären Boxkampf-Sequenz in Brian De Palmas „Spiel auf Zeit“ – eine visuell außergewöhnliche und zugleich spannende Krimi-Erfahrung, wie man sie im „Tatort“ bis dato noch nie zu sehen bekommen hat.

    Rein handwerklich spielt der 14. „Tatort“ aus Luzern damit in der Champions League – doch Zuschauer, denen wackelige Handkamerabilder zu anstrengend sind oder denen der bewusste Bruch mit den üblichen Erzählmustern übel aufstößt, werden an diesem „Tatort“ wenig Freude finden. Weil die Täterfrage bis in die Schlussminuten ungeklärt bleibt und auch die Besetzung über jeden Zweifel erhaben ist, kommt das experimentierscheue Stammpublikum aber zumindest ein Stück weit auf seine Kosten: Der grandios aufspielende Hans Hollmann („Das Leben ist zu lang“) wächst in der anspruchsvollen Rolle als schwerreicher Stiftungseigner über sich hinaus und auch Sibylle Canonica („Die Braut“), die schon 2011 im Kieler „Tatort: Borowski und die Frau am Fenster“ als eiskalte Mörderin brillierte, liefert eine starke Performance ab. Ein großes Kompliment gebührt auch den vielen Nebenschauspielern und Statisten: Wie bei einer Theateraufführung wurde der „Tatort" an nur vier Abenden ohne Unterbrechung abgedreht – eine Meisterleistung an Logistik und Improvisation, von der in diesem Film (anders als in den kolossal gescheiterten Ludwigshafener „Tatort“-Experimenten „Babbeldasch“ und „Waldlust“) so gut wie nichts zu spüren ist.

    Fazit: Dany Levys vor allem handwerklich herausragender „Tatort: Die Musik stirbt zuletzt“ ist ein außergewöhnliches Krimi-Erlebnis und der bisher stärkste „Tatort“ aus Luzern.

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