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    Die Wurzeln des Glücks
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Die Wurzeln des Glücks

    Weder koscher noch ḥalāl

    Von Oliver Kube

    In Familien kommt es ja immer wieder zu Spannungen, wenn die Kinder statt der von den Eltern in sie gesetzten Erwartungen lieber ihre eigenen Vorstellungen vom Leben realisieren wollen. Dabei würden sich viele aus solchen Situationen resultierende Probleme wohl vermeiden lassen, wenn man nur früher und offener miteinander kommunizieren würde. Das ist auch eine der zentralen Botschaften des von Autorin und Regisseurin Amanda Sthers („Madame - Nicht die feine Art“) verfassten Briefromans „Schweine züchten in Nazareth“. Da mag im Ansatz etwas dran sein. Doch ganz so simpel ist es in der Realität natürlich selten. Das zeigt auch die auf dem Buch basierende, von Sthers selbst adaptierte und als Tragikomödie inszenierte Verfilmung „Die Wurzeln des Glücks“. Die will aber insbesondere deshalb nicht funktionieren, weil sie uns zu wenig über ihre Figuren verrät und sich stattdessen vornehmlich in Plattitüden ergeht.

    Vor einigen Jahren ließ der New Yorker Kardiologe Harry Rosenmerck (James Caan) kurzerhand alles stehen und liegen, um nach Israel zu ziehen. Allerdings nicht, um im Heiligen Land eine neue Praxis zu eröffnen, sondern um dort fortan als Landwirt ausgerechnet Schweine zu züchten. Kein Wunder, dass sowohl seine muslimischen als auch seine jüdischen Nachbarn wenig Enthusiasmus für ihn und seine Farm aufbringen. Schließlich sind die sich gemütlich im Dreck suhlenden und fast schon provozierend laut grunzenden Viecher doch bekanntlich weder koscher noch ḥalāl. Vor allem Rabbi Cattan (Tom Hollander) droht an dem störrischen New Yorker zu verzweifeln. Aber das ist nichts gegen die Probleme, mit denen Harry seine Ex-Frau Monica (Rosanna Arquette) in Manhattan zurückgelassen hat. Denn die versucht nicht nur die mit Mitte 30 finanziell unverändert von Mutter und Vater abhängige Tochter Annabelle (Efrat Dor) auf den rechten Weg zu bringen. Sie will auch endlich wieder den Kontakt zu ihrem entfremdeten Schriftsteller-Sohn David (Jonathan Rhys Meyers) herstellen. Die Zeit drängt, denn Monica hat just erfahren, dass sie todkrank ist...

    Das Beste an "Die Wurzeln des Glücks": Tom Hollander und James Caan.

    Bei „Die Wurzeln des Glücks“ handelt es sich um einen typischen Ensemblefilm. Das heißt, es gibt keinen klaren Protagonisten, sondern diverse – zumindest was die Leinwandzeit angeht – halbwegs gleichwertig nebeneinanderstehende Figuren mit Handlungssträngen, die parallel ablaufen, sich aber dennoch gelegentlich überschneiden und beeinflussen. In diesem Fall fokussiert sich das Interesse des Zuschauers allerdings so schnell auf eine einzelne Episode, dass alles andere nur noch wie ablenkender Story-Ballast wirkt: Das Segment um den von „Der Pate“-Veteran James Caan verkörperten Schweinezüchter und dessen Zwist mit jedem, dem er begegnet, überstrahlt die Schicksale der übrigen Familienmitglieder nämlich völlig.

    Für den sich offenbar vor Jahren ereigneten Bruch mit seinem Sohn und Harrys Entscheidung, seine Heimat zu verlassen, wird keine schlüssige Erklärung geliefert. Okay, es hat vermutlich etwas mit Davids Homosexualität zu tun. Außerdem wurmt es Harry, dass der junge Mann nicht wie geplant Arzt geworden ist, sondern Theaterstücke schreibt. Das wirkt aber alles eher vage und widersprüchlich, schließlich wird der knorrige Harry uns doch ansonsten als so betont non-konform präsentiert. Und auch von der anderen Seite des Konflikts, nämlich dem meist zum schwülstigen Score von Grégoire Hetzel („Ein Kuss von Béatrice“) in den leeren Raum starrenden Sprössling, kommen allenfalls schwache Andeutungen.

    Stark angefangen, noch stärker nachgelassen

    Dabei gelingt der Einstieg noch recht elegant. Wir wohnen einer von Davids avantgardistisch angehauchten Tanzaufführungen bei, während seine Stimme aus dem Off einen Brief an den Vater vorliest. Dann kommt ein Schnitt und wir sehen, wie Harry am anderen Ende der Welt den Luftpostumschlag öffnet. Zusammen mit dem Finale, bei dem wiederrum Harry aus dem Off einen Brief an seinen Sohn vorliest, sind das nicht zuletzt aufgrund des gelungenen Schnitts von Nadia Ben Rachid („Auf der Suche nach Oum Kulthum“) noch die emotional gelungensten Momente des Films. Ansonsten erfahren wir einfach nicht genug Greifbares über Harry oder David, bei dem es sich ohnehin anfühlt, als hätte in Sthers zwischendurch schon fast komplett wieder vergessen.

    Noch weniger kommt zu Mutter Monica und Tochter Annabelle ans Licht. Viele Segmente plätschern immer mal wieder für diverse Minuten dahin, ohne etwas von echter Dringlichkeit zu zeigen. Das soll wohl stimmungsvoll wirken, erzeugt aber lediglich Langeweile. Speziell die eigentlich als Zentrum oder Schlüssel des gesamten Story-Gebildes fungierende Monica bleibt zu eindimensional, als dass ihr Schicksal berühren oder auch nur interessieren würde. Dass Rosanna Arquette („Pulp Fiction“) erst verzweifelt und dann entschlossen in die Ferne blickt, reicht ebenso wenig wie ihr mit Patrick Bruel („Der Vorname“) einen internationalen Star an die Seite zu stellen, dem man dann allerdings kaum etwas zu tun gibt. Entsprechend hinterlässt der Franzose in der Szenerie einen eher verlorenen Eindruck.

    Abgekoppelt in New York: Harrys Ex-Frau Monica (Rosanna Arquette).

    Deplatziert beziehungsweise forciert erscheint zudem das unglaubwürdige Auftauchen eines christlichen Priesters, gespielt vom gnadenlos überziehenden Sébastien Castro („Docteur Knock“), dem Harry und seine Schweine ebenfalls ein Dorn im Auge sind. Diese Figur wurde allzu offensichtlich nur eingebaut, um indirekt einen konstruierten Klimax im letzten Akt herbeizuführen. So ragen letztlich allein die Szenen von Caan und Hollander positiv heraus. Aber nicht etwa, weil ihre Figuren wirklich relevante Dinge tun würden, sondern weil es einfach Spaß macht, den beiden Akteuren dabei zuzusehen, wie sie miteinander virtuoses Dialog-Pingpong spielen.

    Der stets unterhaltsame Brite Tom Hollander („Bohemian Rhapsody“) ist als jüdischer Geistlicher Caans stärkster Szenenpartner im gesamten Cast. Der mit einem klapprigen Mofa oder wahlweise einem altersschwachen Volvo durch die staubige Gegend tuckernde Rabbi darf nicht nur ein paar im Vergleich zum Rest des Skripts kluge Zeilen sagen. Ausgerechnet dieser Nebenpart macht auch die glaubwürdigste Entwicklung aller Figuren durch und schließt im Laufe der Geschichte Freundschaft mit dem vom einst gemeinsamen Glauben abgefallenen Exzentriker Harry. Wem diese Handvoll Momente einer Art bittersüßen Buddy-Komödie ausreichen, der könnte mit „Die Wurzeln des Glücks“ zumindest zeitweise gut bedient sein. Alle anderen sollten sich hingegen lieber nach gehaltvollerer, weniger bruchstückhafter Unterhaltung umschauen.

    Fazit: Der Zuschauer wird in dieser Ensemble-Tragikomödie vom schwachen Drehbuch schnell im Stich gelassen. Interesse für die Figuren beziehungsweise ihr Schicksal zu entwickeln, fällt angesichts der ebenso bruchstückhaften wie vagen Erzählung schwer und ist den Aufwand letztlich auch gar nicht wert.

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