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    Ein Mann namens Otto
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ein Mann namens Otto

    Tom Hanks – zum Niederknien gut!

    Von Gaby Sikorski

    Er war ein Mann aus Schwarz und Weiß“, beschreibt Fredrik Backman in seinem Roman „Ein Mann namens Ove“ den Titelhelden, einen wahrhaft mürrischen Zeitgenossen. Und das ist sogar noch freundlich ausgedrückt. Ove ist ein Miesepeter wie aus dem Bilderbuch der unerfreulichen Mitbürger. Schließlich sei er ja ausschließlich von Idioten umgeben – wie soll er da auch gute Laune haben? Ein großer Reiz des Buches liegt in dem lakonischen Humor, mit dem Backman Ove und seine Welt beschreibt. Im Kern ist es dennoch eine traurige Geschichte über einen Mann, der mit dem Tod seiner Frau alles verliert, wofür es sich seiner Meinung nach zu leben lohnt. „Und sie war Farbe. All seine Farbe“, schreibt Backman über Sonja, Oves Frau. Sie ist gegangen, jetzt bezahlt er alle Rechnungen, meldet alles ab und plant seinen Selbstmord.

    Und weil diese Geschichte so traurig ist und so viel Wahrheit darin steckt, tut es gut, wenn man darüber lachen kann. Das erleichtert. Es muss ja kein schallendes Gelächter sein, kein Schenkelklopf-Gegröle oder Gepruste mit anschließender Schnappatmung. Im Ergebnis ist der Bestseller ein humorvoller Roman, der den Glauben an das Gute im Menschen befördert und Hoffnung schafft und der danach schreit, verfilmt zu werden. Trotzdem ist die schwedische Verfilmung von 2015 nur deshalb einigermaßen gut, weil der Ex-Wallander Rolf Lassgård den ollen Muffelkopp Ove spielt. Der Film ist sicher kein ganz großer Wurf, inszenatorisch eher unauffällig, ein bisschen brav, aber immerhin so gut, dass man ihn ansehen kann, ohne damit Geist und Herz zu beleidigen.

    Tom Hanks dominiert natürlich fast jeden Film, in dem er mitspielt – aber „Ein Mann namens Otto“ ist trotzdem noch mal ein besonders extremes Beispiel für eine thronende Performance des zweifachen Oscar-Gewinners.

    Warum also auch noch eine US-Verfilmung des Stoffes? In diesem Fall lautet die Antwort: wegen Tom Hanks! „Ein Mann namens Otto“ ist sein Film, er drückt ihm seinen Stempel auf und veredelt ihn. Vor allem aber gibt er dem grausigen Grantler eine Tiefe und eine Intensität, die Rolf Lassgård (leider) nicht erreicht. Tom Hanks entpuppt sich in einer grandiosen schauspielerischen Leistung – die nächste in einer schier endlosen Kette – als ideale Inkarnation des gehässigen Griesgrams. Sein Mann aus Schwarz und Weiß ist so glaubwürdig und authentisch wie die Hauswartsfrau, die zwanghaft jeden zurechtweist, oder wie der Idiot von nebenan, der sich ständig über die Kinder beschwert. Und doch ist da auch noch etwas anderes, was ihn sympathisch macht und für Mitgefühl sorgt – es ist diese Einsamkeit, diese Müdigkeit und die unterdrückte Verzweiflung, die er hinter einer stets vorbildlich gekleideten Fassade versteckt.

    Dieser Mann lässt sich nicht gehen, er verfügt über Disziplin und hat ein Ziel: sich umzubringen. Wie Tom Hanks diese Type spielt, ist in seiner ganzen unauffälligen Präsenz einfach zum Niederknien gut. Es ist sehr komisch und gleichzeitig auch irgendwie anrührend, wie sein Mund immer kleiner wird, wenn er mit anderen spricht, während die Falten zwischen seinen Augen immer steiler werden, sobald er sich aufregt, wozu es jede Menge Gelegenheiten gibt. Später, als er durch den Einfluss der neuen Nachbarn Marisol (Mariana Treviño) und Tommy (Manuel Garcia-Rulfo) gezwungenermaßen an seiner Wieder-Menschwerdung arbeitet, huscht ihm manchmal eine Art Lächeln übers Gesicht, das mehr wie eine flüchtige Erinnerung daran wirkt. Die Mundwinkel haben offenbar das Anheben verlernt, so dass er erst noch eine Weile üben muss. Kurz und gut: Es macht extrem viel Freude, Tom Hanks bei der Arbeit zuzuschauen.

    Otto statt Ove - eigentlich ein schlechtes Zeichen, aber...

    Der geänderte Titel – aus Ove wurde Otto – lässt Böses ahnen: Soll hier womöglich ein europäischer Erfolg für den US- und Weltmarkt geglättet und geplättet werden? Wird hier womöglich ein neueres Werk der Weltliteratur für viel Geld verbraten und verraten? Nö. Passiert nicht. Selbstverständlich gibt es kommerzielle Aspekte. Doch es gibt tatsächlich kaum schwerwiegende Veränderungen gegenüber dem Original. Der Film spielt jetzt in der Nähe von Pittsburgh. Aus Parvaneh und Patrick wurden Marisol und Tommy, die aus Mexiko kommen statt – wie bei Backman – aus dem Iran. Aber die schwangere Marisol mit ihrem Kugelbauch und ihrer unbekümmerten Herzlichkeit, sehr lebhaft und überzeugend gespielt von Mariana Treviño, ist hier genauso wichtig und genauso witzig wie im Buch, und ihr Mann (Manuel Garcia-Rulfo) ist genauso unfähig und ein lieber Kerl.

    Aus dem schwulen Nachbarsjungen wurde hier die Transperson Malcolm, sensibel gespielt von Mack Baida, auch das passt gut. Die Nachbarschaft, ebenfalls ein wesentlicher Aspekt sowohl im Buch als auch im Film, wird zum Spiegel der Welt, ein Mikrokosmos von Originalen und Schicksalen, die sich erst nach und nach entwickeln. Und ein liebenswertes Detail am Rande: Den jungen Otto, der in den dramaturgisch wichtigen Rückblenden zu sehen ist, spielt Truman Hanks, der jüngste Sohn von Tom Hanks, und zwar durchaus souverän. Insgesamt bewegt sich das Drehbuch, was die Atmosphäre und die Wirkung angeht, sehr dicht an der literarischen Vorlage, vielleicht sogar dichter als in der schwedischen Filmversion.

    Die Nachbarskinder zwingen den suizidgefährdeten Otto regelrecht zurück ins Lebens.

    Es ist eine unwiderstehliche Kombination aus Ruppigkeit, Humor und Zärtlichkeit, die David Magee („Life Of Pi“) hier in seinem Drehbuch zusammengetragen hat. Ähnliches gilt für den deutsch-schweizerischen Regisseur Marc Forster („Wenn Träume fliegen lernen“), der einfach weiß, dass er einen Hauptdarsteller hat, auf den er sich 100-prozentig verlassen kann – und so lässt er Tom Hanks einfach machen, der in seiner unspektakulären Art schon ganz allein für viele kleine Zwischentöne sorgt, witzige oder traurige, die jede übertriebene Rührseligkeit verhindern und, ja, den Film auch irgendwie sehr romantisch machen. Aber ohne Pathos. Dank der exzellenten Vorarbeit durch Tom Hanks, der seinen Mitspielern viel Raum lässt, kann Marc Foster den Nebenfiguren und den übrigen Handlungselementen seine volle Aufmerksamkeit schenken. Und natürlich der Katze.

    Fazit: Die atmosphärisch starke Neuverfilmung des Bestsellers von Fredrik Backman ist als Remake nicht nur gelungen, sondern überzeugt – vor allem dank Tom Hanks – sogar deutlich mehr als die schwedische Fassung von 2015. Eine wunderbare, zu Herzen gehende Dramödie, deren ruppiger Humor jeden Kitschverdacht schon im Ansatz pariert.

     

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