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    Betrogen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Betrogen
    Von Christopher Diekhaus

    Zwischen 1968 und 1979 drehten Regisseur Don Siegel und sein Lieblingsschauspieler Clint Eastwood fünf Filme zusammen. Der berühmteste ist ohne Frage „Dirty Harry" doch nicht immer bediente das Duo Eastwoods Macho-Image. In „Betrogen", ihrer dritten Zusammenarbeit, spielt Siegel gekonnt mit den Erwarzngshaltungen des Publikums und inszeniert Eastwood in einem spannungsgeladenen, mitunter sehr verstörenden Mix aus Romanze, Südstaatendrama und Psychothriller.

    In den Wirren des amerikanischen Bürgerkriegs findet die zwölfjährige Amy (Pamelyn Ferdin) den schwer verletzten Nordstaatler John McBurney (Clint Eastwood) und bringt ihn in ein Mädchenpensionat. Dessen strenge Leiterin Martha Farnsworth (Geraldine Page) will den feindlichen Soldaten eigentlich ausliefern, entschließt sich aber im letzten Moment, ihn gesund zu pflegen. Die Anwesenheit eines Mannes sorgt nicht nur bei den Schülerinnen für große Aufregung. Auch Farnsworth und die zurückhaltende Lehrerin Edwina (Elizabeth Hartman) finden Gefallen an dem attraktiven Soldaten. Da er mehreren Frauen gleichzeitig schöne Augen macht, kommt es bald zu dramatischen Konflikten.

    Thematisch gesehen befasst sich Siegel in „Betrogen" vor allem mit zwei Aspekten: Krieg und Sexualität. Bereits durch den stilisierten Vorspann, in dem Kriegsfotografien von Kampfgeräuschen begleitet werden, hebt der Regisseur die Bedeutung des Krieges für die Handlung, aber auch dessen grausame Seite hervor. Obwohl die ummauerte Mädchenschule wie abgeschnitten von ihrer Umgebung erscheint, bricht der Kriegsalltag immer wieder in diese scheinbar heile Welt ein.

    Eng verbunden mit dem Kriegstreiben rund um die Schule ist die Sexualität. Sowohl die Lehrerinnen als auch die Mädchen sind durch den Krieg normaler Beziehungen zu Männern beraubt und müssen ihre sexuellen Wünsche unterdrücken. Durch die Aufnahme des verletzten McBurney drängen die geheimen Bedürfnisse der weiblichen Figuren an die Oberfläche, was Siegel durch geschickten Einsatz inneren Monolog verbalisiert. Zudem deuten Rückblenden problematische Aspekte des Begehrens an. Im Fall von Martha Farnsworth wird beispielsweise mehrfach angedeutet, dass die Schulleiterin eine Liebesbeziehung zu ihrem Bruder pflegte und in McBurney nun einen möglichen Ersatz sieht.

    In dieser sexuell aufgeladenen und bedrohlichen Atmosphäre erscheint der aufgrund seiner Verletzung eingeschränkte Mann wie ein hilfloses Lustobjekt. Eine Rolle, die so gar nicht zum Image passte, das sich Eastwood vor allem durch die Darstellung von wortkargen, aber kompromisslos handelnden Helden in den Italo-Western Ende der 60er Jahre erworben hatte. Und doch ist seine Figur nicht nur bloßes Opfer der Umstände, sondern vielmehr Auslöser für die Eskalation der Spannungen. Von Anfang an treibt der handlungsunfähige Soldat mit schönen Worten und schwülstigen Liebesbekenntnissen ein berechnendes Spiel mit den vielen ihn umgebenden Frauen. Spätestens wenn McBurney auch vor einem unschuldigen Mädchen wie Amy nicht Halt macht, mutet sein verhalten nicht mehr charmant, sondern befremdlich an.

    In diesem bewussten Bruch mit Eastwoods damaliger Leinwandpersona liegt ohne Frage die Qualität des Films, sie war jedoch wohl auch für den kommerziellen Misserfolg verantwortlich. Einen körperlich gebrochenen, opportunistisch agierenden Eastwood im Kreuzfeuer weiblicher Leidenschaften wollte das Publikum offenbar nicht sehen.

    Während Siegel die Spannungen und Irritationen in der ersten Hälfte des Films langsam aufbaut und Platz für Zwischentöne und romantische Szenen lässt, entwickelt sich die Geschichte später auch optisch immer mehr in Richtung eines Psychothrillers. Durch einen Gewaltausbruch mit blutigen Folgen und die nun offen feindliche Atmosphäre, in der auch McBurney sein wahres Gesicht zeigt, wird auf perfekte Weise der Boden für das konsequent düstere Ende bereitet.

    Fazit: Mit „Betrogen" schuf Don Siegel ein Werk, das aufgrund seiner Ambivalenz, seiner gebrochenen Figuren und seiner verstörenden sexuellen Untertöne auch heute noch zu faszinieren weiß. Wer allerdings klare Figurenkonstellationen und eindeutige moralische Zuweisungen bevorzugt, wird mit diesem Film wenig anfangen können.

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