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    Geheimnis eines Lebens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Geheimnis eines Lebens

    Ein biederes Biopic über eine gar nicht biedere Frau

    Von Antje Wessels

    Die 1912 im südenglischen Pokesdown geborene Melita Norwood gelangte erst sehr spät in ihrem Leben zweifelhafte Berühmtheit. Nach mehr als 40 Jahren Spionagearbeit für das Innenministerium der UDSSR (NKWD), die Geheimpolizei der Sowjetunion (GPU), das sowjetische Ministerium für Staatssicherheit (MGB) sowie den sowjetischen In- und Auslandsgeheimdienst (KGB) wurde sie 1999 im Alter von 87 Jahren überführt und ging als „Super-Spionage-Oma“ (so titelte das Klatschblatt The Sun) in die Geschichte ein. Belangt wurde sie für ihre Taten nie. Nicht zuletzt, weil Norwood glaubhaft versichern konnte, dass es ihr nie darum ging, der Sowjetunion mithilfe der Zulieferung von Atomgeheimnissen Vorteile gegenüber Großbritannien zu verschaffen. Stattdessen wollte sie es der Sowjetunion lediglich ermöglichen, eine Kopie der von den Briten zu Abwehrzwecken entwickelten Atombombe zu bauen, deren Konstruktion sie als studierte Physikerin und Sekretärin beiwohnte. Ihre Hoffnung, so betonte sie bis zuletzt immer wieder: Bei gleichem Wissensstand über die Wirkungskraft der Bombe würde sie letztlich keiner je einsetzen.

    Norwood starb im Juni 2005. 14 Jahre später kommt nun ein Film über ihr Leben in die deutschen Kinos. Der Regisseur Trevor Nunn („Was ihr wollt“) hangelt sich daran mithilfe eines nachgestellten Verhörs der soeben festgenommenen Melita Norwood an den wichtigsten Stationen des ereignisreichen Spionagelebens entlang. Die ungewöhnlichen Entscheidungen der idealistischen jungen Frau sowie die Rückbesinnung der ihr Leben reflektierenden Rentnerin sind für sich genommen spannend genug für ein mitreißendes Biopic, oder sollte man zumindest meinen. Nur inszeniert Nunn „Geheimnis eines Lebens“ ebenso lethargisch wie generisch, so dass der Film ohne Weiteres locker auch als biederes Bildungsfernsehen durchgehen würde.

    Joan (Sophie Cookson) verliebt sich in den manipulativen Leo (Tom Hughes).

    Die pensionierte Wissenschaftlerin Joan Stanley (Judi Dench) muss sich ihrer Vergangenheit stellen, als sie eines Tages wegen Hochverrats festgenommen und auf eine Polizeiwache gebracht wird. An der Seite ihres ahnungslosen Sohnes Nick (Ben Miles) beginnt sie, ihr Leben als junge Physikstudentin (in den Rückblenden gespielt von Sophie Cookson) in Cambridge zu rekapitulieren. Hier verliebt sie sich in den gleichermaßen charmanten wie manipulativen Leo (Tom Hughes), der sie mit dem Kommunismus vertraut macht. Nach vielen Jahren in der kommunistischen Partei bewirbt sie sich zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs bei der britischen Regierung als Sekretärin. Max (Stephen Campbell), der Leiter eines geheimen Atomprojekts, erkennt Joans Fähigkeiten als Physikerin und weiht sie in die geheimen Pläne ein. Während sich Ost und West ein atomares Kräftemessen liefern, verlieben sich Max und Joan. Gleichzeitig wird der jungen Frau die Zerstörungsmacht der Atombomben bewusst und sie beginnt, die Pläne an die Sowjetunion weiterzugeben, damit der Feind der Briten mit der schnell voranschreitenden Entwicklung Schritt halten kann und das fragile Gleichgewicht der Kräfte erhalten bleibt…

    Obwohl das Plakat die Porträts von Judi Dench („Philomena“) und Sophie Cookson („Kingsman: The Secret Service“) gleichberechtigt nebeneinanderstellt, fällt die Leinwandzeit der Oscarpreisträgerin weitaus geringer aus als die ihrer jungen Kollegin. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass Drehbuchautorin Lindsay Shapero („The Head Hunter“) mit Rückblenden arbeitet, um die von Norwood alias Stanley geschilderten Ereignisse zu bebildern, statt ausschließlich auf die visuell nun mal weit weniger abwechslungsreiche Interviewsituation zu setzen. Aber die beiden Ebenen ergänzen sich kaum (ganz anders als im Dramaturgisch ähnlich aufgebauten „Die üblichen Verdächtigen“). Am Ende hätte man das umklammernde Verhör gar nicht gebraucht. Schließlich fungiert die gewohnt stark aufspielende Dench in diesem lediglich als Stichwortgeberin.

    Judi Dench spielt Joan nach ihrer Festnahme im hohen Alter.

    „Geheimnis eines Lebens“ sieht nicht per se schlecht aus. Aber alles an der Inszenierung ist irgendwie dröge. Kameramann Zac Nicholson („Deine Juliet“) fällt nicht viel mehr ein als den Ereignissen im diskreten Abstand zu folgen, um in den Dialogen dann ausschließlich auf spannungsarme Schuss-Gegenschuss-Sequenzen zu setzen. Bei der Ausleuchtung meinen es die Macher immer einen Tick zu gut und beim Szenenbild vermisst man ein Stückweit die Liebe zum Detail, sodass man sich ständig in einer Studiokulisse, aber nie wirklich an einem realen Ort wähnt. Dabei haben artverwandte Filme wie „The Imitation Game“ ja längst bewiesen, dass sich auch vermeintlich trockene Wissenschaftsthemen spannend veranschaulichen lassen.

    Auch nicht besser als Wikipedia

    Aber nicht nur die Inszenierung ist arg betulich, auch die Dramaturgie ist wenig kreativ. Das Skript hakt brav eine Lebensstation nach der anderen: Von der ersten großen Liebe über ihre unverhoffte Anstellung bei einem schwer geheimen Atomprojekt bis hin zur Festnahme folgt der Film dermaßen routiniert den ungeschriebenen Gesetzen des Biopics-Genres, dass man am Ende von „Geheimnis eines Lebens“ zumindest guten Gewissens ein Referat über die porträtierte Dame halten könnte. Dafür hätte aber ehrlichweise auch ein Blick auf den Wikipedia-Artikel über Melita Norwood gereicht.

    Deren Leben war aber immerhin so außergewöhnlich, dass „Geheimnis eines Lebens“ nie langweilig wird. Darüber hinaus nutzt Trevor Nunn einige besonders aufwühlende Ereignisse in Norwoods Vergangenheit, um immer mal wieder szenenweise eine thrillerähnliche Anspannung im Kinosaal zu verbreiten. Als eines Tages plötzlich eine unangekündigte Durchsuchung in Joans Arbeitsumfeld ansteht, droht die junge, von Sophie Cookson mit der genau richtigen Mischung aus Zurückhaltung und idealistischem Mut verkörperte Frau aufzufliegen. Wie es ihr gelingt, sich ausgerechnet mit einer Packung Damenbinden aus der gefährlichen Situation heraus zu manövrieren, ist nicht nur smart, sondern hat auch einen hohen symbolischen Wert. „Geheimnis eines Lebens“ erlaubt sich einige starke feministische Statements („Niemand würde uns verdächtigen. Wir sind Frauen!“). Und nicht zuletzt wurde Norwood ja vor allem deshalb über ein halbes Jahrhundert nicht enttarnt, weil man ihr zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal zutraute, physikalische Prozesse zu beurteilen, sondern höchstens, den Tee zu servieren.

    Fazit: „Geheimnis eines Lebens“ ist ein viel zu gewöhnlicher Film über eine sehr außergewöhnliche Frau.

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