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    Wer wir sind und wer wir waren
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Wer wir sind und wer wir waren

    (Die letzten) Szenen einer Ehe

    Von Oliver Kube

    So geht es wohl etlichen Eheleuten: Nachdem der Nachwuchs erst einmal aus dem Elternhaus ausgezogen ist, leben Mann und Frau mehr und mehr nur noch nebeneinander her. Das läuft so lange gut, bis einer von beiden jemand anderen trifft, bei dem er/sie sich wieder so fühlt wie zu Beginn der nun wohl unaufhaltsam auf ihr Ende zusteuernden Beziehung.

    Von solch einem Ende einer Ehe erzählt auch der für seine Drehbücher zu „Gladiator“ und „Shadowlands“ oscarnominierte Autor und Regisseur William Nicholson: „Wer wir sind und wer wir waren“ ist eine Adaption seines eigenen, vom Leben seiner Eltern inspirierten Theaterstücks. Im Vergleich zu deutlich schärfer beobachteten und emotional tiefergreifenden Trennungsfilmen wie „Marriage Story“ oder „Kramer gegen Kramer“ wird das spürbar seichtere Beziehungs- und Charakterdrama aber bestimmt sehr viel kürzer in den Gedanken des Publikums herumspuken.

    Wirklich was zu sagen haben sich Grace und Edward schon lange nichts mehr.

    Grace (Annette Bening) und ihr kurz vor der Pensionierung stehender Ehemann Edward (Bill Nighy) führen ein bescheidenes, aber nicht unkomfortables Leben im malerischen Städtchen Seaford an der mit den charakteristischen weißen Kreideklippen versehenen Südküste Englands. Sein gemütliches Häuschen ist der Lebensmittelpunkt des Paares, dem nur noch eine Woche bis zum Erreichen des 29. Hochzeitstages fehlt. Kleine Zankereien gehören ebenso zum Ehealltag wie Graces Liebe zur klassischen Poesie sowie Edwards Ehrgeiz, als Geschichtslehrer möglichst jeden geschichtsbezogenen Wikipedia-Artikel penibel zu korrigieren.

    Die obligatorische Tasse Tee wird dabei aber schon längst nicht mehr gemeinsam getrunken. Grace empfindet ihr Eheleben trotzdem als glücklich. Allein der nach London gezogene Sohn Jamie (Josh O'Connor) fehlt ihr sehr. Umso mehr freut sie sich, als der sich überraschend zu einem Wochenendbesuch ankündigt. Ahnt sie doch nicht, dass Jamie von Edward gebeten wurde, zu kommen. Der Filius soll den Schock abfedern, wenn er Grace eröffnet, dass er sie für eine andere verlassen wird...

    Das Theaterhafte bleibt

    Nicholson beginnt seine zweite Kino-Regiearbeit nach der Romanze „Verborgenes Feuer“ von 1997 mit einer Flashbackszene, die etwa 20 Jahre vor der eigentlichen Handlung spielt: Wir sehen Jamie als Kind (Joe Citro) und hören sein erwachsenes Alter Ego dazu per Voiceover erzählen, er habe damals viel Zeit am rauen, bestimmt deshalb so herrlich menschenleeren Strand verbracht. Während er herumtollte, hätte seine Mutter (ebenfalls Anne Benning; allerdings jünger geschminkt) auf einem Felsen gesessen und gedankenverloren auf das Meer geblickt. Worüber sie nachdachte, was sie fühlte und sie bewegte, darüber habe er, der glücklich in den Pfützen herumspringende Knirps, sich keine Gedanken gemacht. Warum auch? „Das fragt man sich als Kind einfach nicht“, sagt der erwachsene Jamie.

    Die nachdenklich sanfte Eröffnung, die es im hierzulande unter dem Titel „Rückzug aus Moskau“ aufgeführten Theaterstück so nicht gibt, ist nur eine von diversen Veränderungen, um den Bühnenstoff auf möglichst elegante Weise leinwandtauglich zu machen. Trotzdem wirken einige Szenen, etwa wenn Edward seiner nichtsahnenden Gattin nicht nur das Frühstück, sondern zudem seinen Abgang aus dem gemeinsamen Leben servieren will, schon aufgrund räumlichen Beschränkung auf die Küche, in der die Vorlage eben zu großen Teilen spielt, doch sehr theaterhaft.

    Sohn Jamie wurde extra herbeigerufen, um den Trennungs-Schock seiner Mutter abzufedern.

    Ansonsten arbeitet Nicholson viel und effektiv mithilfe von Standortverlegungen. Ein Mutter-Sohn-Gespräch, das in der Vorlage ebenfalls im Haus der Familie stattfindet, wird auf die beeindruckende Klippenkante Seaford Head verlegt. Eine andere Szene endet nicht damit, dass der vom hier fast schon erstaunlich zurückgenommen, dennoch einmal mehr gewohnt exzellent agierenden Bill Nighy („Tatsächlich... Liebe“) gespielte Edward das Haus verlässt. Die Kamera folgt ihm stattdessen bis auf die Straße, geht eine Weile mit ihm mit, bis er, zwei Ecken weiter, in einen auf ihn wartenden Kleinwagen steigt und davonfährt.

    Fans der einmaligen, rauen Schönheit der englischen Südküste werden an „Wer wir sind und wer wir waren“ sicher Spaß haben. East-Sussex sah selten attraktiver aus als in den Aufnahmen von Kamerafrau Anna Valdez-Hanks („Line of Duty - Cops unter Verdacht“). Trotzdem fühlt sich das alles nicht nach einem vom dortigen Tourismusbüro gesponserten Werbeclip an. Nicht nur der Strand und die Steilküste, auch das Dorf sowie das Haus des Paares wirken nie künstlich aufgehübscht, sondern jederzeit authentisch.

    Am Ende gibt es doch noch richtig und falsch

    Auf welche Seite sich der Zuschauer schlägt oder ob er gar neutral bleibt, wird von Nicholson lange Zeit jedem selbst überlassen. Beide Positionen werden gezeigt, die Befindlichkeiten und Wünsche beider Ehepartner erscheinen durchaus legitim. Zwar verbringen wir insgesamt mehr Zeit mit der erst verzweifelten, später kämpferischen Grace, erkennen dabei allerdings auch, wie und weshalb Edward zu seinem Entschluss gekommen ist. Leider hält der Filmemacher diese Überparteilichkeit dann aber nicht bis zum Ende durch. Seine Auflösung der Story fällt arg platt und gleichzeitig zu wertend, zu nachtragend aus. So werden viele ambivalente Gedanken und Emotionen des Zuschauers während der 101 Minuten im Nachhinein als nichtig oder gar falsch abgetan.

    Schon auf der Bühne war der Stoff kein tiefschwarzes, pessimistisches Ehedrama wie etwa August Strindbergs „Totentanz“. So gibt es immer wieder leichte Melancholie und diverse zumindest ansatzweise amüsante Momente. Für erstere ist meist der von der drohenden Trennung seiner Eltern schockierte Sohn zuständig. Der von Josh O'Connor („Emma.“) mit nahezu durchgehend traurig-verwirrtem Gesicht dargestellte Jamie tut sich offenbar in Sachen Liebe und Beziehungen selbst ziemlich schwer. Nun muss er realisieren, dass die von ihm als ideal angesehene Ehe seiner Eltern genau das eigentlich nie gewesen ist. Er soll die Identifikationsfigur für das Publikum sein, ist aber wenig mehr als eine eintönig-trübselige Trantüte.

    Geschichtslehrer Edward hat sich kurz vor der Pensionierung noch mal frisch verliebt.

    Der da schon besser funktionierende feine Humor findet sich größtenteils in Gesten und kleinen Nebensächlichkeiten. Etwa in der Art, wie Edward zu Beginn routiniert immer dann in die Küche flüchtet, um einen Tee für das Paar zuzubereiten, wenn die in einer Tour stichelnde und ihn herausfordernde Grace gar nicht bemerkt, was sie da anrichtet.

    Das Ende gerät dann schließlich arg weichgespült. Zudem tendiert der Filmemacher dazu, immer wieder seine Cleverness durchschimmern lassen zu wollen, was dann aber eher gequält und konstruiert anmutet – etwa in dem Moment, in dem wir endlich die von Grace schon scherzhaft für erfunden erklärte neue Freundin von Edward (Sally Rogers) das erste Mal zu Gesicht bekommen.

    Fazit: Der Schlussakkord einer jahrzehntelangen Beziehung als leichte Unterhaltung? Annette Benning und Bill Nighy geben sich merklich Mühe, diese Aufgabe zu stemmen, werden aber von einem schon zwischendurch schwächelnden und sich am Ende selbst verratenden Skript im Stich gelassen.

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