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    Pig
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Pig
    Von Christoph Petersen

    Im Februar 2016 haben wir Mani Haghighis „A Dragon Arrives!“, einen extrem stylischen und schlichtweg saucoolen Mix aus „Chinatown“, „Der Exorzist“, „Blair Witch Project“ und einer gehörigen Portion politischer Paranoia, zum innovativsten Wettbewerbsbeitrag des Berlinale-Jahrgangs gekürt. Zwei Jahre später ist der iranische Regisseur nun erneut im Wettbewerb des bedeutendsten deutschen Festivals vertreten und erneut ist sein Film vor allem eins: verdammt cool! In „Pig“ geht es zwar vornehmlich um einen irren Serienkiller, der in Teheran reihenweise Regisseuren die Köpfe abschneidet und ihnen das Wort „Pig“ auf die Stirn ritzt, trotzdem ist der Film nicht in erster Linie ein Thriller, sondern eine ätzende Showbusiness-Farce, in der der Protagonist, ein ach so renommierter Regisseur, nach und nach als weinerliches Muttersöhnchen und sowieso ziemlicher Aufschneider entlarvt wird. „Pig“ ist so etwas wie die iranische Antwort auf Robert Altmans Hollywood-Meta-Meisterwerk „The Player“ – und zwar eine ebenso abgefahren komische wie treffend bissige.

    Hasan Kasmai (Hasan Majuni) ist Filmregisseur und offenbar überzeugter Hardrock- und Metaljünger, schließlich sieht man ihn ausschließlich in Fan-T-Shirts von AC/DC, Kiss und Rage Against The Machine rumrennen. Von seiner Ehefrau Goli (Leili Rashidi) lebt er getrennt, stattdessen hat er sich in seine Hauptdarstellerin Shiva Mohajer (Leila Hatami) verliebt, die nun aber mit einem anderen Regisseur zusammenarbeiten will, weil Hasan vor zwei Monaten auf der schwarzen Liste der Zensurbehörde gelandet ist. Deshalb kann Hasan gerade auch nur Werbespotts statt Kinofilme drehen. Aber als ob das nicht alles schon verfahren genug wäre, geht in Teheran auch noch ein blutrünstiger Killer um, der den Filmregisseuren der Stadt die Köpfe abschneidet – und Hasan kann beim besten Willen nicht verstehen, warum der Irre all diese in seinen Augen viel weniger bedeutenden Regisseure und nicht ihn als Opfer ausgewählt hat…

    Wir sehen den Protagonisten im ganzen Film nur einmal bei der Arbeit, nämlich beim Dreh eines TV-Spots für ein Insektenvernichtungsmittel, der als aufwändige Musicalnummer mit 300 als Küchenschaben kostümierten Schauspielerinnen umgesetzt werden soll, von denen sich eine auch noch als Hasans Stalkerin Annie (Parinaz Izadyar) entpuppt. Nach dem Ende der Szene ruft Hasan nur „Alles gut“, während wir mitbekommen, dass es seine Assistentin ist, die alle Fehler mitbekommen hat und für die nächste Aufnahme alles in Ordnung bringt. Kurz darauf feuert sich Hasan selbst und geht stattdessen lieber Tennisspielen. Sowieso liefert Hasan Majuni als weinerlicher Regisseur eine wunderbar entlarvende Performance, etwa wenn er sich von seiner Mutter in den Schlaf wiegen lässt, indem sie ihm immer wieder verspricht, dass der Killer als nächstes bestimmt ihn als Opfer auswählen wird. Aber nicht nur Hasan selbst, auch die ganze Branche wird entlarvt, sowohl bei einem herrlich absurden New-York-Times-Interview mit zwei iranischen Filmemachern, das von der Nachricht eines weiteren abgetrennten Kopfes jäh unterbrochen wird, als auch bei einer Sequenz am Filmset eines ebenso trashig wie prätentiös anmutenden Blockbuster-Projekts. Es gibt in „Pig“ erstaunlich viele Momente zum laut Loslachen.

    Wie schon in „A Dragon Arrives!“ lässt Haghighi auch diesmal wieder alle möglichen Genreeinflüsse mit in seine Inszenierung einfließen – da gibt es dann surreale Sequenzen, Slapstick-Splatter und kafkaeske Verhörszenen. Dabei sieht „Pig“ am Ende nicht ganz so extrem stylisch aus wie der Wüsten-Noir „A Dragon Arrives!“, aber das muss er als Komödie ja auch gar nicht. Zu Beginn wirkt es noch wie eine Zufälligkeit, dass der Film ausgerechnet mit vier nicht zur Handlung gehörenden Teenagerinnen beginnt, die sich gerade ganz angeregt über den Facebook-Post eines Jungen unterhalten, der sich offenbar von seiner Freundin getrennt hat und damit nun wieder frei wäre. Aber in der zweiten Hälfte kehrt „Pig“ zu dieser angedeuteten Thematik zurück und liefert auch noch eine gepfefferte Social-Media-Satire dazu: Da wird Hasan dank einer profilierungssüchtigen YouTuberin plötzlich von Millionen Iraner für einen Serienmörder gehalten, bevor das Spiel mit der Online-Beeinflussung im Finale endgültig auf die satirische Spitze getrieben wird – denn dann explodieren nicht nur Köpfe, es ergeben sich auch unerwartete Social-Media-Chancen, die gleich angepackt werden, selbst wenn man gerade in einer Lache aus Blut hockt. Die Massen folgen eben selbst dem ärmsten Würstchen, wenn es nur die richtigen Bilder auf Instagram postet.

    Fazit: Gallig, bissig und verdammt komisch – eine bessere Showbusiness-Farce als „Pig“ haben wir in den vergangenen Jahren auch aus Hollywood nicht zu sehen bekommen.

    Wir haben „Pig“ auf der Berlinale 2018 gesehen, wo der Film im Wettbewerb gezeigt wird.

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