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    Miller's Crossing
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Miller's Crossing
    Von René Malgo

    1990 war ein Jahr der Gangster- und Mafiafilme. Werke wie „GoodFellas“, „Der Pate III“ und die Gangsterparodie „Dick Tracy“ suchten die Leinwände heim. Alle drei konnten sich an Oscarnominierungen und weiteren gewonnenen Awards erfreuen. Ein Gangsterfilm jedoch erhielt ob deren Erfolgen nur mangelhafte Berücksichtigung bei Publikum und Preisverleihern: „Miller's Crossing“ von den Coen-Brüdern Joel und Ethan. In Deutschland fanden nicht einmal 50.000 Besucher den Weg in die Kinos und in den USA floppte das Meisterwerk mit einem Einspiel von fünf Millionen Dollar.

    Leo (Albert Finney) ist Gangsterboss einer kleinen Stadt im Osten der USA zu Zeiten der Prohibition. Gangster Johnny Caspar (Jon Polito) fordert wegen eines Zwischenfalls den Kopf des Kleinganoven Bernie Bernbaum (John Turturro). Entgegen dem Ratschlag seines Beraters Tom Reagan (Gabriel Byrne) verweigert er Caspar diese Gefälligkeit. Leo ist nämlich mit Bernbaums Schwester Verna (Marcia Gay Harden) liiert. Damit beschwört er eine Fehde zwischen ihm und Caspar herauf. Reagan gerät in das Kreuzfeuer der beiden. Heimlich trifft er sich mit Verna, ist dem Gedanken jedoch nicht abgeneigt, Bernie aus dem Weg räumen zu lassen. Er versucht, Leo und Caspar gleichermaßen zu manipulieren, gerät an Bernbaum persönlich und muss zusehen, dass Verna von alledem nichts erfährt. Eine blutige Eskalation der Situation scheint vorprogrammiert, zumal Reagan bis zum Hals in Spielschulden steckt und die Geldeintreiber ihm auf die Fersen sind. Dass Stadtpate Leo den machthungrigen Caspar unterschätzt hat, macht die allgemeine Lage auch nicht gerade besser...

    Der Auftakt von „Miller’s Crossing“ erinnert an „Der Pate“. Im Büro des lokalen Gangsterbosses legt ein aufgebrachter Johnny Casper so seine ganz eigenen Ansichten zum Thema Charakter dar. Ihm lauschen Stadtpate Leo und Berater Tom Reagan schweigend im Hintergrund. Doch Caspar ist nicht der hilflose Italo-Amerikaner, der um eine Gefälligkeit bettelt. Sein Monolog artet in ein Streitgespräch mit Leo aus. Schließlich stürmt Caspar mit einer verkappten Kampfansage wutentbrannt aus dem Zimmer. Diese Szene sagt viel über die angehende Form des Films aus. Holzverkleidete Wände, Tapeten und Ledersessel schmücken Leos geräumiges Zimmer. Da kommt „Pate“-ähnliche Romantik auf. Der Monolog ist giftig, allerdings nicht ohne hintergründigen, typischen Coen-Humor. Diese Art von satirischer Ironie bietet schon in Ansätzen „Dick Tracy“. Das anschließende Streitgespräch legt bereits die starke Vermutung nahe, dass sich diese Geschichte blutig entwickeln wird. Die harte, desillusionierende Brutalität eines „GoodFellas“ beherrscht die Szenerie. „Der Pate III“, „Dick Tracy“ und „GoodFellas“ haben sich weitgehend auf eine Sicht bezüglich Gangster und Mafiosi festgelegt. „Miller's Crossing“ versucht alle Facetten abzudecken. Er präsentiert sich romantisch, ironisch und brutal. Jene Umschreibung mag widersprüchlich klingen, tatsächlich können sich diese verschiedenen Elemente aber ausgezeichnet ergänzen.

    Eine einfache Geschichte ist es, welche „Miller’s Crossing“ erzählt. Doch die Coen-Brüder wären nicht die Coen-Brüder, würden sie die Story nicht kompliziert anlegen und einer im Kern simplen Geschichte so neue Facetten abgewinnen. Der Film nähert sich einer konventionellen Räuberpistole auf ganz anderem Wege als sonstige Genrevertreter. Lange lässt der Gangster-Thriller nicht durchblicken, wer auf welcher Seite steht. Nach dem Abspann wird dies der Betrachter bei einigen Beteiligten immer noch nicht wissen. Diese Tatsache unterstreicht die Gewissheit, dass ein jeder nur für sich gekämpft hat. In der Welt von „Miller’s Crossing“ gibt es keinen Familienzusammenhalt, keine Loyalität, keinen Ehrencodex. Das eigene Leben ist den Protagonisten wichtig, nicht das des anderen. Deswegen wird „Miller's Crossing“ von mancher Seite Kälte und Leere vorgeworfen, denn richtige Identifikationsfiguren bietet er nicht. Hauptdarsteller Gabriel Byrne als Tom Reagan wechselt die Fronten mehr als einmal und gibt sich keineswegs Mühe, einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen. Dank seiner bemerkenswerten Performance weiß er aber die Faszination des Publikums bei sich zu halten. Er schafft es, den Zuschauer so zu manipulieren wie Tom Reagan seine Mitmenschen bearbeitet. Das macht diesen Einzelkämpfer zum interessantesten, aber auch gefährlichsten Charakter der Handlung. Wider besseren Wissens fiebert der Betrachter mit ihm mit.

    Albert Finney als selbstgefälliger Gangsterboss Leo, der im Herzen so schlecht nicht ist. Jon Polito, der den cholerischen, nicht allzu smarten Herausforderer Johnny Caspar mimt. Marcia Gay Harden, eine Femme Fatale namens Verna, welche es versteht, die harten Männer um sich herum für ihre Zwecke anzuspannen. John Turturro als der hinterlistige und feige Bernie Bernbaum: Ihre bemerkenswerten Darstellerleistungen stehen der außerordentlichen Performance von Gabriel Byrne in nichts nach. Durch Blicke, Gesten oder Worte blitzen immer wieder Menschlichkeit und Gefühle auf - etwas, das die Charaktere eigentlich verbergen wollen. Das macht den Wert von besonders guten Darstellern aus. Besonders gute Darsteller allerdings, die von einem erstklassigen Drehbuch profitieren können. Die Art, wie die Geschichte erzählt wird und die der geschriebenen Dialoge: Sie stellen eine Klasse für sich dar. Inszenatorisch kann „Miller's Crossing“ mit den ganz Großen mithalten. Dank einer edlen Fotographie und einer detailverliebten, bewusst realitätsfernen Ausstattung kommt besondere Gangsterfilmromantik auf, die einen gelungenen Kontrast zum kalten Zynismus der Geschichte bildet.

    Die mit einer FSK-18-Einstufung bedachte Brutalität hält sich im Bereich des Erträglichen. Es ist eher löblich, dass „Miller's Crossing“ nichts beschönigt und Gewalt auch bewusst als solche darstellt, ohne allzu voyeuristisch oder gar pervers zu werden. Die Brutalität von „GoodFellas“ wird jedenfalls nicht überboten und der schwarze Humor von „Miller's Crossing“ ist nicht so auffallend, als dass er zum Anlass für eine FSK 18 hätte genommen werden können. Dass die Gebrüder Coen die Sache gelegentlich mit Ironie angegangen sind, dient nur zum Guten, wird das finstere Ambiente so doch ein wenig aufgelockert und bekommt die genretypische Story insoweit auch weitere Annäherung aus einer eher ungewohnten Perspektive. Die Mischung aus Film Noir, Drama, Krimi, Gangsterfilm und ein bisschen schwarzer Komödie überzeugt und macht „Miller's Crossing“ deshalb, dank seiner Vielschichtigkeit, zu einem der besten Gangsterfilme unserer Zeit.

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