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    Yesterday
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Yesterday

    Beatles zum Wohlfühlen

    Von Oliver Kube

    Unter Tierfreunden lautet die über gegenseitige Sympathie oder Antipathie meist alles entscheidende Frage: „Bist du ein Hunde- oder ein Katzenmensch?“ In Sachen Popmusik gibt es seit Dekaden dazu ein mindestens ebenso kontrovers diskutiertes Pendant. „Beatles oder Rolling Stones?“ heißt die Gewissensentscheidung, über deren Beantwortung schon mal Freundschaften oder sogar Liebesbeziehungen zerbrechen können. Doch selbst die härtesten Anhänger von Jagger, Richards & Co. würden wohl nicht wollen, dass Meilensteine wie „Help!“, „All You Need Is Love“ oder „Let It Be“ nie existiert hätten. Exakt in eine solche Welt versetzen Regisseur Danny Boyle („Trainspotting“, „Slumdog Millionär“) und Produzent/Drehbuchautor Richard Curtis („Tatsächlich... Liebe“) das Kinopublikum mit „Yesterday“. Das Ergebnis ist eine dramatisch-romantische Komödie mit natürlich jeder Menge Musik und über weite Strecken hohem Feel-Good-Faktor.

    Jack (Himesh Patel) lebt in einer Kleinstadt an der englischen Südostküste. Der 30-jährige jobbt in einem Baumarkt und träumt davon, als Singer-Songwriter groß rauszukommen. Aber nicht mal seine Familie oder Kumpels haben noch großes Vertrauen in Jacks eher mittelmäßiges musikalisches Talent. Allein Ellie (Lily James), seine beste Freundin seit Kindheitstagen, glaubt an ihn und fährt ihn voller Enthusiasmus zu seinen seltenen, dünn besuchten Gigs. Während eines mysteriösen, weltweiten, zwölf Sekunden andauernden Stromausfalls wird Jack just von einem Bus angefahren und ausgeknockt. Als er im Krankenhaus wieder zu sich kommt, wirkt zuerst alles normal. Doch bald bemerkt Jack, dass sich außer ihm niemand mehr an die Beatles zu erinnern scheint. Es ist, als habe die größte Popband aller Zeiten nie existiert. Als Jack seinen Freunden „Yesterday“ an der Gitarre vorspielt, sind die wegen „seines neuen Songs“ völlig aus dem Häuschen. So beschließt er, John Lennons und Paul McCartneys Geniestreiche als seine eigenen auszugeben… und ist bald auf dem Weg zum globalen Megastar …

    Jack wird entdeckt - von einem berühmten Singer-Songwriter...

    Richard Curtis ist ein Meister der leicht melancholischen, typisch britischen und doch mit universell verstandenem, warmherzigem Appeal versehenen Mischungen aus Komödie und Drama. Das beweisen seine Drehbücher zu Welterfolgen wie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“, „Notting Hill“ oder der „Bridget Jones“-Reihe. Dass der in Neuseeland geborene Engländer zudem eine hohe Affinität zur klassischen Popmusik hat, zeigte er mit dem wunderbaren „Radio Rock Revolution“ und zuletzt als Ideengeber für „Mamma Mia 2: Here We Go Again“. Zu jener einmal mehr funktionierenden Melange kommt in „Yesterday“ noch ein Fantasy-Element, das den Wendepunkt im Dasein der Hauptfigur bildet. Und ebenso wie in seiner auch selbst inszenierten herzzerreißenden Romanze „Alles eine Frage der Zeit“ verschwendet Drehbuchautor Curtis keine Minute auf überflüssige, weil allenfalls pseudo-wissenschaftliche Erklärungen des kuriosen Phänomens.

    Mit Danny Boyle hat Curtis zudem den richtigen Partner als Regisseur gefunden, der es versteht, die Story so temporeich umzusetzen, dass sie lange Zeit viel Spaß macht. Dazu kommt ein überzeugender Cast: Himesh Patel („The Aeronauts“) ist mit seinem unbeholfenen Charme bereits sympathisch, als er zu Beginn noch einen Loser spielt. Lily James („Baby Driver“) ist absolut glaubhaft in der Rolle des Mädchens von nebenan, das nicht ahnt, wie hübsch es ist. Dazu kommen diverse amüsante Nebenfiguren, die effektiv für das Gros der humoristischen Einlagen sorgen: Vor allem Joel Fry („Game Of Thrones“) als Rocky, Jacks liebenswert unterbelichteter Roadie, und Kate McKinnon („Bad Spies“) als seine geldgeile Managerin stechen hier heraus. Ersterer liefert herrlichen Slapstick, der schon mal an „This Is Spinal Tap“ oder den von Rhys Ifans gespielten Spike in „Notting Hill“ erinnert, während die Amerikanerin für eher trocken-sarkastische Momente zuständig ist, in denen die Musikindustrie aufs Korn genommen wird.

    Ed Sheeran zeigt Selbstironie

    Eine der größten Nebenrollen hat aber ein Star inne, der bislang nicht gerade durch überzeugende Schauspielauftritte auffiel. Als Ed Sheeran in „Game Of Thrones“ einen Mini-Cameo absolvierte, gab es dafür viel Häme, hier kann er sich dagegen mit einem selbstironischen Auftritt für weitere Jobs vor der Kamera empfehlen. Der Songwriter-Superstar fungiert zunächst als eine Art Entdecker beziehungsweise Mentor von Jack. Dann muss er allerdings frustriert feststellen, dass seine eigenen Welthits nicht einmal ansatzweise so großartig sind wie die Nummern, die der eben noch komplett unbekannte Bursche scheinbar problemlos aus dem Ärmel schüttelt und er vielleicht doch nicht der beste Songschreiber aller Zeiten ist, für den er sich hält.

    Immer wieder streut Regisseur Danny Boyle augenzwinkernde, mit viel Liebe und visuellem Einfallsreichtum ins Bild gesetzte Referenzen an die reale Historie der „Fab Four“ ein: mal als Auswüchse der schnell um sich greifenden „Jackmania“, mal in Form eines Albtraums, in dem sich die Schuldgefühle des Sängers ob seiner gigantischen Lüge manifestieren. Der Höhepunkt all dieser Sequenzen ist ein Konzert, welches das aufstrebende Pop-Idol vom Dach eines kleinen Strandhotels gibt. Die Szene erinnert natürlich an den letzten gemeinsamen Live-Auftritt von John, Paul, George und Ringo auf dem Gebäude von Apple Records; zu sehen in Michael Lindsay-Hoggs 1970er-Dokumentation „Let It Be“. Jack spielt eine krachende, fast schon punkrockige Version von „Help!“, die seine Situation perfekt widerspiegelt. Zigtausende Menschen jubeln ihm glücklich vor der Bühne und weitere Millionen vor ihren Bildschirmen zu, während er sich mit seiner innerlichen Zerrissenheit komplett allein fühlt. Ein musikalischer Hilfeschrei, den zwar die ganze Welt hört, den dennoch niemand als solchen wahrnimmt.

    Jack schreit um Hilfe...

    Patels Fähigkeit, dieses und andere Beatles-Monumente nicht einfach nur zu singen und zu spielen, sondern ihnen seinen eigenen Stempel aufzudrücken, veranlasste Boyle überhaupt erst, dem Kino-Newcomer die Hauptrolle zu geben. Beim Vorsprechen spielte der bis dahin lediglich durch seine Rolle in der UK-Seifenoper „EastEnders“ bekannte Schauspieler eine von ihm selbst arrangierte Soloversion von „Back In The USSR“. Diese findet sich sogar in nahezu unveränderter Form nun im fertigen Film – und fügt sich dabei perfekt in den musikalischen Ansatz von Danny Boyle und seinem Team ein. Denn diese zollen den legendären Beatles-Hits zwar den gebührenden Respekt, halten sich aber nicht sklavisch an die Vorlage, was im Film sogar eine Rolle spielt: Schließlich kennt Jack nicht alle Beatles-Noten und -Texte auswendig und muss sich die Lieder ohnehin zu eigen machen. Und so haben all die bekannten Hits auch im Film eine ganz eigene Note.

    Doch so stark „Yesterday“ über drei Viertel der Laufzeit ist, so stark flacht der ungewöhnliche Beatles-Film von Richard Curtis und Danny Boyle gen Ende ab. Ein Treffen von Jack mit einer besonderen Person, deren Identität wir hier aus Spoilergründen geheim halten wollen, ist einer dieser Momente, die für einen Bruch sorgen. Daran anschließend trudelt die restliche Handlung sehr antiklimaktisch aus – bis zu einem durchaus überraschenden, aber unnötig sentimentalen, arg dünnen und so enttäuschenden Finale. Hier wählen Boyle und Curtis einen einfachen Ausweg aus ihrer Geschichte, mit dem vorher existente Probleme beiseite gewischt werden. Das misslungene Ende macht „Yesterday“ natürlich nicht zu einem schlechten Film, schwächt aber den zuvor noch so dynamisch-lebendigen Leinwandspaß ab.

    Fazit: Trotz enttäuschendem Ausgang eine musikalische Feel-Good-Komödie – nicht nur für Beatles-Fans.

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