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    Gelobt sei Gott
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Gelobt sei Gott

    Die Unverfrorenheit der katholischen Kirche

    Von Carsten Baumgardt

    Gott sei Dank.“ Wie konnte eine solche Floskel, noch dazu aus dem Mund eines Geistlichen, eine derartige Brisanz entwickeln? Gesagt hat sie Kardinal Philippe Barbarin 2016 im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen gegen den französischen Priester Bernard Preynat. Dabei ist es der Bezug, der diese nur scheinbar harmlose Aussage so toxisch macht. „Gott sei Dank seien die Taten bereits verjährt“, hat er da nämlich gesagt. Zu Recht hat das für einen Sturm der Entrüstung gesorgt. Der Lyoneser Pater soll zwischen 1986 und 1991 in mehr als 80 Fällen gegenüber minderjährigen Kindern sexuell übergriffig geworden sein, was die französische Kirche offenbar vertuschen oder zumindest unter den Teppich kehren wollte. Francois Ozon stellt sich in seinem eindringlichen Missbrauchs-Drama „Gelobt sei Gott“ auf die Seite der Opfer und formuliert eine ruhige und doch mitreißende filmische Anklage, die keinen Raum für zwei Meinungen lässt. Die verstörten Missbrauchsopfer erwachen Jahrzehnte nach den Taten langsam aus ihren Traumata und formieren sich zum Widerstand, der zur Lawine wird.

    Lyon: Im Juni 2014 will der Banker Alexandre (Melvil Poupaud) nach Jahrzehnten der seelischen Pein verhindern, dass etwas Ähnliches auch anderen Kindern zustößt. Er selbst wurde zwischen 1983 und 1986 von dem Pater Bernard Preynat (Bernard Verley) unter anderem während einer Pfadfinder-Freizeit sexuell missbraucht. Der fünffache Familienvater und immer noch streng gläubige Katholik will eine Aussprache mit der Diözese und ist entsetzt, dass der zuständige Kardinal Philippe Barbarin (Francois Marthouret) zwar Verständnis für sein Leid äußert, aber nichts Konkretes gegen Preynat unternehmen will, der zudem in seinem Amt immer noch Kontakt zu Kindern hat. Bei einer Begegnung gibt Preynat seine Taten zwar zu, ringt sich aber nicht zu seiner Entschuldigung durch, weil er sich als Pädophiliekranker ebenfalls als Opfer sieht. Obwohl sein Fall längst verjährt ist, erstattet Alexandre Anzeige bei der Polizei und macht sich auf die Suche nach weiteren Missbrauchsopfern von Preynat – und wird schnell fündig. Besonders Francois (Denis Ménochet) und der Arzt Gilles (Eric Caravaca) sind angestachelt, Preynat endlich zur Verantwortung zu ziehen. Sie gründen den Selbsthilfeverein „La Parole Libérée“ (dt.: „Das befreite Wort“), der Opfern Gehör verschafft und die Anklage gegen Preynat forciert…

    Angesichts der im Film geschilderten defensiven Verweigerungshaltung der katholischen Kirche, wirkt es fast wie eine Bestätigung (oder bittere Ironie), dass der französische Anwalt Frédéric Doyez aktuell versucht, den für den 20. Februar 2019 geplanten Kinostart in Frankreich juristisch zu verhindern. Es handle sich um eine Vorverurteilung von Bernard Preynat, die nicht zu akzeptieren sei. Denn der Prozess gegen den Geistlichen wegen seiner pädophilen Übergriffe beginnt erst am 7. März 2019. Dabei sind die Taten selbst unstrittig, die hat Preynat immer, auch schon vor Jahrzehnten, immer frei heraus zugegeben. Der Knackpunkt ist vielmehr das zögerlich-mauernde Verhalten der katholischen Kirche, das hier an den Pranger gestellt wird. Die Kirche und ihre verantwortlichen Vertreter vermitteln zunächst den Eindruck, Verständnis für die Opfer zu haben, nur um dann die Konsequenzen zu scheuen, wie der Teufel das Weihwasser. In diesen Widerspruch bohrt Francois Ozon („8 Frauen“, „Jung & schön“) in seinem Film unnachgiebig herum.

    Der Regisseur und Autor lässt die Wucht seiner betont prozeduralen Erzählung dabei ganz langsam entfalten – ein wenig wirkt der Film so wie die französische Antwort auf „Spotlight“, nur das hier keine Journalisten, sondern die Opfer selbst die Sache in die Hand nehmen. Ozon, sonst oft für seine melodramatisch oder gar opernhaft überhöhten Filme bekannt, bleibt diesmal durch und durch sachlich. Statt auf große Gesten setzt er auf exakte Recherche – immer wieder werden die genauen Daten eingeblendet, ein beachtlicher Teil des Films ist mit aus dem Off vorgelesenen E-Mails unterlegt, die in ihrer Schrecklichkeit so unerhört höflich formuliert sind, dass man brechen möchte. Oder laut lachen, was in der Berlinale-Pressevorführung gleich öfter vorgekommen ist – die Antworten der Kirche sind mitunter eine solche zuvorkommend formulierte Unverfrorenheit, dass das Lachen einfach kurz aus einem herausbricht, bevor es einem im Halse stecken bleibt. Lediglich die sehr kurzen Rückblenden zu einem Zeltlager vor fast 30 Jahren sieht in seiner Farbgebung und mit den Pfadfinderkostümen aus wie „typisch Ozon“.

    Die vermeintliche Hauptfigur Alexandre ist ein fromm-spröder Banker, der seinen beharrlichen Feldzug im Guten startet und trotz der Mauer des Schweigens, auf die er trifft, nie die Fassung verliert, weil er immer noch in seinem Glauben ruht. Um seinem Film Dynamik zu verleihen, nutzt Ozon einen geschickten inszenatorischen Kunstgriff, denn er wechselt seine Protagonisten wie in einem Episodenfilm aus, ohne dass es sich je unnatürlich oder gar forciert anfühlen würde. So bietet er mit dem impulsiven Francois und später mit dem hochintelligenten, aber psychisch äußerst labilen Emmanuel (Swann Arlaud) zwei weitere Hauptfiguren auf, die wie nach einer Staffelübergabe jeweils ihren Teil der 137 Minuten tragen, ohne dass dabei je Leerlauf entsteht. Dieser Schachzug ist auch erzählerisch sinnvoll, weil es keinen wehrhaften Antagonisten gibt. Die Sachlage ist eindeutig und so besteht der eigentliche Konflikt eben darin, wie verschiedenen die einzelnen Opfer mit der Sache umgehen.

    Es ist der stilsicheren, diesmal angemessen zurückhaltenden Regie Ozons zu verdanken, dass aus „Gelobt sei Gott“ kein seichtes Erweckungsdrama oder eine klischeetriefend-reißerische Anklage wird, sondern eine feine Studie über missbrauchte Seelen, die alle ganz unterschiedlich auf die Pein reagieren und sie verarbeiten – oder es zumindest versuchen. Welche Auswirkungen haben die Fälle auf die Betroffenen und vor allem auf ihre Familien? Wie sieht die Unterstützung durch die Eltern aus? Damals und heute. Gefährdet ein Outing als Missbrauchsopfer die Stellung in der Gesellschaft? Wie viel Verantwortung trägt die katholische Kirche? Das sind die Themen von „Gelobt sei Gott“ und die Antworten sind individuell unterschiedlich – das zeigt Ozon in seinem Film durch die verschiedenen Blickwinkel der unterschiedlichen Protagonisten.

    Argumente für das Verhalten der Kirche? Gibt es nicht. Keine. Gar nicht. Das macht „Gelobt sei Gott“ einseitig, ja. Eine Anklage? Unbedingt. Aber erste Folgen der Initiative gibt es bereits. Ein neues Gesetz verlängert die Verjährungsfristen für sexuelle Straftaten. Und nicht nur Preynat wurde angeklagt, sondern auch eine Handvoll seiner Vorgesetzten, weil sie Jahrzehntelang nicht oder nicht genug unternommen haben – und das ist für viele der Opfer fast noch wichtiger, denn es geht nur in zweiter Linie um den einzelnen Pädophilen, sondern zuallererst um das System, das solche Straftaten auch über lange Zeiträume ermöglicht, deckt und vertuscht.

    Fazit: Francois Ozons „Gelobt sei Gott“ ist ein stark recherchiertes, betont sachliches und gerade deshalb so aufrüttelndes Opfer-Plädoyer, das sich gegen (Frankreichs) Katholische Kirche wendet, die zu lange zu Missbrauchsfällen innerhalb der Institution öffentlich geschwiegen und so den Missbrauch weiterer Opfer billigend in Kauf genommen hat.

    Wir haben „Gelobt sei Gott“ im Rahmen der Berlinale 2019 gesehen, wo der Film im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

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