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    Kids Run
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Kids Run

    Immer auf die Schnauze

    Von Tobias Mayer

    Inzwischen hat Jannis Niewöhner den charmant-geheimnisvollen Mädchenschwarm Gideon de Villiers aus der mit „Rubinrot“ beginnenden Edelstein-Trilogie (2013 bis 2016) längst abgeschüttelt. Ähnlich wie seine Kollegen Daniel Radcliffe („Harry Potter“) und Robert Pattinson („Twilight“) spielte er im Nachgang an seine Young-Adult-Erfolge vor allem Typen, die sehr wahrscheinlich nur bei sehr wenigen Teenagerinnen als Poster über dem Bett hängen. Auch Niewöhners Hauptrolle im harschen Sozialdrama „Kids Run“ steht nun in dieser Tradition seiner rauen Parts in Filmen wie „4 Könige“ oder der Amazon-Prime-Thriller-Serie „BEAT“: Seine Figur Toni, ein Ex-Boxer und faktisch alleinerziehender Papa, der sich trotz massiver Geldprobleme um drei Kinder kümmern muss, ist trotz seiner Underdog-Position ganz sicher kein klassischer Sympathieträger – dafür ist „Kids Run“ allerdings ein klassischer deutscher Problemfilm.

    Mit dem Boxen musste Andi (Jannis Niewöhner) aufhören, nachdem er in einem Kampf besonders übel niedergeschlagen wurde. Das als Tagelöhner auf dem Bau verdiente Geld reicht allerdings hinten und vorne nicht. Auch bei der Miete ist Andi im Rückstand, weshalb der Vermieter ihn und seine drei kleinen Kinder rauszuschmeißen droht. Also leiht sich Andi, der seine Aggressionen nur schlecht unter Kontrolle halten kann, das fehlende Geld bei seiner Ex-Freundin Sonja (Lena Tronina), der Mutter seiner Baby-Tochter Fiou. Doch Sonja hat die Kohle von ihrem neuen Freund genommen, ohne ihm das zu sagen. Als der dahinterkommt, wird er gegenüber Sonja gewalttätig. Sonja legt nun Andi den Finger auf die Brust: Sie braucht das verliehene Geld in zwei Wochen zurück, andernfalls will sie ihm die Tochter wegnehmen. Andi meldet sich in seiner Verzweiflung bei einem Amateur-Boxturnier an...

    Andi muss einen Niederschlag nach dem anderen einstecken - und das sieht man ihm auch an.

    Gleich in der ersten Szene von „Kids Run“ sehen wir, warum Andi mit dem Boxen aufgehört hat - er wird im Ring richtig übel verdroschen! Und im Grunde geht es für ihn die folgenden 100 Minuten genau so weiter. Als Vertiefung der obigen Inhaltsangabe folgt jetzt eine Auswahl der Zumutungen, die Andi allein innerhalb der ersten halben Filmstunde erleidet: Er kann seine Miete nicht zahlen und hat deswegen ein sehr unangenehmes Aufeinandertreffen mit seinem Vermieter; sein vorgebrachter Wunsch nach besserer Bezahlung wird vom Vorgesetzten direkt abgeschmettert; er verliert bald darauf seinen Job und muss auch noch feststellen, dass sich das Schimmel-Problem in seiner Wohnung keineswegs gebessert hat. Regisseurin Barbara Ott, die mit „Kids Run“ ihren ersten Langfilm abliefert, verpasst ihrem Protagonisten einen Tiefschlag nach dem anderen.

    Angesichts dieser staccatoartigen Verdichtung von Problemen wirkt es, als solle dem Zuschauer regelrecht eingeprügelt werden, wie mies die Lage von Andi tatsächlich ist. Diese ausgestellte, permanente Hoffnungslosigkeit ist in „Kids Run“ vor allem deshalb ein Problem, weil dabei kaum ein Klischee über die sogenannte Unterschicht ausgelassen wird – so bewirkt die konsequente Verdichtung genau das Gegenteil: Statt Empathie für den Protagonisten und seine Situation zu schaffen, scheint zu sehr das Konzepthafte des Drehbuchs durch, der Hauptfigur möglichst viele Steine in den Weg legen zu wollen. Aber viele Probleme gleicht eben nicht automatisch Anspruch oder gar Tiefe.

    Tristesse als ästhetisches Konzept

    In „Kids Run“ wird die ganze Zeit nur das Bild eines trostlos-grauen Milieus gezeigt: Abwechselnd zu sehen sind Eindrücke aus grau-schmucklosen Stadtvierteln, schäbigen Clubs und viele, viele traurige oder wütende Gesichter. Die Erkenntnis, die sich mit dem Sozialdrama verbindet, geht darum nicht weiter als: Ist halt ziemlich scheiße, so ein Leben mit zu vielen Kindern und zu wenig Geld. Das provoziert vielleicht den mitleidigen Blick eines bürgerlichen Arthouse-Publikums – aber eine Begegnung mit den Figuren auf Augenhöhe findet kaum statt.

    Jannis Niewöhner aber spielt seinen Part dennoch vielschichtiger, als es im Skript eigentlich angelegt ist. Andi ist voll aufgestauter Aggressionen, die sich entweder Bahn brechen oder ganz nah unter der Oberfläche brodeln. Darüber liegt ein Schleier von Traurigkeit. Wahrscheinlich ist es die Melancholie eines Mannes, der weiß, was für ein mieser Vater er ist, aber daran einfach nichts ändern kann. Denn trotz ein paar Momenten, in denen Andi seine Liebe gegenüber den Kids in zärtliche Zuneigung zeigt und obwohl er seine Mühen im Film vor allem deswegen auf sich nimmt, um die Kinder zu versorgen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass er als Papa versagt. Und dann gibt‘s da noch einen sehr unangenehmen Moment mit einem Müllschacht, den wir hier nicht verraten wollen. Wie gesagt: Zumindest in Bezug auf das Sympathiepotenzial des Protagonisten geht der sich ansonsten allzu sehr an Plattenbau-Klischees entlanghangelnde „Kids Run“ Risiken ein.

    Fazit: Jannis Niewöhner ist als aggressiver, aber liebender Papa eine Wucht. Der Rest des Films ist vor allem eintönig grau.

    Wir haben „Kids Run“ im Rahmen der Berlinale gesehen, wo er als Eröffnungsfilm der Sektion Perspektive Deutsches Kino“ gezeigt wurde.

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