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    Mr. Smith geht nach Washington
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Mr. Smith geht nach Washington
    Von Andreas Staben

    Manche Filmemacher werden so stark mit einer ganz bestimmten Art von Kino verbunden, dass ihr Name zu einem Markenzeichen geworden ist, das weit über das Werk des Künstlers hinausweist. So ist bei besonders elektrisierenden Sportereignissen oft von einer Spannung wie bei Hitchcock die Rede und der Name Walt Disney ist heute fast ein Synonym für massenverträgliche Familienunterhaltung amerikanischer Prägung. Nicht ganz so stark ist hierzulande der Name Frank Capra im Bewusstsein verankert, aber dafür wurde die Weltsicht, die in den Filmen des Schöpfers von „Ist das Leben nicht schön?" zum Ausdruck kommt, in dem Adjektiv capraesk kondensiert, das es sogar in einige Wörterbücher geschafft hat. Im Deutschen ist eine solche Neuschöpfung deutlich schwieriger zu etablieren als im in dieser Hinsicht deutlich biegsameren Englischen und so hat es neben Capra und Chaplin kaum ein Filmkünstler zu ähnlichen grammatischen Ehren gebracht. Dem Begriff des Capraesken lässt sich nun in kaum einem Werk so gut auf den Grund gehen wie in „Mr. Smith geht nach Washington", denn die herausragend besetzte Politfabel über einen anständigen, einfachen Mann, der gegen alle Widerstände für seine Ideale eintritt, ist echter und unverwechselbarer Capra.

    Nach dem plötzlichen Tod eines Senators muss Gouverneur Hopper (Guy Kibbee) schnell einen Nachfolger finden. Der Medienmogul und Strippenzieher Jim Taylor (Edward Arnold) drängt ihn, einen willfährigen Ja-Sager zu nominieren, denn er sieht ein fragwürdiges, aber für ihn und andere äußerst profitables Staudammprojekt in Gefahr, über das in Kürze abgestimmt werden soll. Hopper lässt sich schließlich von seinen Kindern und vom Schicksal helfen: Er nominiert den beliebten Pfadfinderführer Jefferson Smith (James Stewart), ein politisch unbeschriebenes Blatt. Der von dem Neuling bewunderte Senatskollege Joseph Paine (Claude Rains), der einst der beste Freund von Smiths Vater war, soll den jungen Mann auf Kurs halten. Doch mit Hilfe seiner toughen Assistentin Clarissa Saunders (Jean Arthur), die den Washingtoner Klüngel satt hat, entdeckt Smith das Kalkül der Intriganten und versucht schließlich, ihre Pläne mit einer Marathonrede vor dem Senat zu durchkreuzen...

    Eigentlich wollte Frank Capra aus der unveröffentlichten Kurzgeschichte „A Gentleman from Montana" eine Fortsetzung seines Hits „Mr. Deeds geht in die Stadt" von 1936 machen. Als dessen Hauptdarsteller Gary Cooper nicht zur Verfügung stand, ging die Rolle an James Stewart und der Name des Protagonisten wurde geändert. Dennoch sind die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Filmen nicht nur im Titel unverkennbar. Sowohl Longfellow Deeds, der in einem Remake bekanntermaßen von dem großen Capra-Bewunderer Adam Sandler verkörpert wurde, als auch Jefferson Smith kommen vom Land in die Stadt, aus dem Kerngebiet traditioneller amerikanischer Wertvorstellungen in ein schnelllebiges und korrumpiertes Umfeld. Der Gerechtigkeits- und Freiheitssinn dieser Individualisten wird vom Einwanderersohn und Patrioten Capra als uramerikanische Tugend inszeniert, überdeutlich wird dies in den Montagesequenzen, in denen Smith Symbolstätten nationaler Errungenschaften wie das Lincoln Memorial und das Kapitol besucht. Wie der Filmemacher die etwas naiven Idealisten schließlich über Gier und Missgunst triumphieren lässt, macht die Filme zu Klassikern des Wohlfühlkinos, aber wer unter capraesk nur den Glaube an das Gute und einen fast schon sprichwörtlichen Optimismus versteht, der betrachtet nur eine Seite der Medaille.

    Capras Kino ist fast unerschütterlich hoffnungsvoll, aber die Realität wird nicht verdeckt. So sind viele seiner Filme gleichzeitig zeitlose Märchen und klarsichtige Zeitporträts. Bereits der frühe Tonfilm „Bankkrach in Amerika", der mitten in der Weltwirtschaftskrise entstand, war einerseits eine erstaunlich aktuell wirkende Abrechnung mit raffgierigen und herzlosen Bankern sowie andererseits eine Hymne auf die gute Tat des Einzelnen, der an das Wohl aller denkt. Im Laufe der 30er Jahre erscheint der Optimismus in Capras Filmen zunehmend gedämpft, so lässt sich „Mr. Deeds" noch als weitgehend ungetrübte Durchsetzung der Werte der Roosevelt'schen Wirtschafts- und Sozialreformen des New Deal verstehen. Aber der am Vorabend des Weltkrieges entstandene „Mr. Smith" kann schon kaum noch als Komödie gelten und Capras nächster Film „Hier ist John Doe" ist dann eine zutiefst ambivalente Auseinandersetzung mit der Macht der Medien in Zeiten des Faschismus. Selbst für Capra scheint es nur fernab der amerikanischen Wirklichkeit die Vision eines idealen Gemeinwesens zu geben, diese zeigt er uns in seinem eindrucksvollen utopischen Drama „In den Fesseln von Shangri-La".

    Dass Capra einen empfindlichen Nerv getroffen hat, zeigte sich nach der Premiere von „Mr. Smith geht nach Washington" schnell. Das politische Establishment der Hauptstadt war in Aufruhr, Politiker und Journalisten fühlten sich gleichermaßen diffamiert, schließlich wurden sie in der Mehrzahl als opportunistisch und prinzipienlos dargestellt. Und wenn die Kinder, die Smith durch die Verteilung seiner Zeitung zur Hilfe kommen wollen, von Taylors Lakaien mit Gewalt daran gehindert werden, dann ist das natürlich starker Tobak. Aber Capra deckt im Verbund mit seiner exzellenten Besetzung eine ganze Bandbreite menschlicher Stärken und Schwächen ab. Neben dem von Edward Arnold („Lebenskünstler") ohne falsche Zurückhaltung verkörperten Polit-Bully Jim Taylor, der alleine mit der Körpersprache seinen unverhohlenen Drohungen Nachdruck verleiht, gibt es als Gegenwicht eine Reihe komischer Miniaturen und die wie immer patente Jean Arthur, die schon Gary Cooper als Mr. Deeds zur Seite stand.

    Nachhaltige Wirkung und Tiefe erreicht der Film und somit letzlich auch Capras glückliches Ende vor allem durch drei Akteure, die jeder auf seine Art Meisterleistungen vollbringen. Da sind zunächst die differenzierten Porträts von Harry Carey und Claude Rains. Ohne viel Worte lässt Carey („Red River") als Senatspräsident tief in seine Seele blicken, sein Mienenspiel während der Filibuster genannten Dauerrede, mit der Smith die für ihn verhängnisvolle Beschlussfassung hinauszögern will, reflektiert einen Wandel von leichter Gereiztheit über die Störung des normalen Ablaufs über amüsiertes Beobachten zu echter Sympathie. Somit ist er eine Art emotionales Barometer, das die Dramaturgie des Films auf ebenso einfache wie geniale Weise unterstützt. Auch Claude Rains („Berüchtigt", „Lawrence von Arabien") in der komplexen Rolle eines Mannes, der nach außen hin immer noch den ehrwürdigen Senator und die Respektsperson verkörpert, sich aber längst verkauft und seine einstigen Wertvorstellungen verraten hat, vollzieht einen Wandel. Bei seinem Thomas Paine kommt er aber als Zusammenbruch, der sich durch mühsam gezähmten Selbstekel ankündigt.

    Die Einsicht Paines am Ende ist wichtig, aber „Mr. Smith" hängt vor allem von der Glaubwürdigkeit seiner Hauptfigur ab. Und da hat die Geschichte ein eindeutiges Urteil gefällt: James Stewart wird nicht nur wegen der gleichen Initialen bis heute mit Jefferson Smith identifiziert. Der aufrechte Amerikaner, die Güte in Person, das tugendhafte Vorbild – selten sind Schauspielerimage und Rollenprofil so ineinander gefallen. Das Glanzstück ist natürlich der Filibuster, in dem der zunehmend heisere Smith buchstäblich bis zur Ohnmacht für seine Überzeugungen kämpft, die auch diejenigen von James Stewart und von Frank Capra waren. So haben die beiden Freunde nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Idealen ein bis heute berührendes Denkmal gesetzt. Kein wohlfeiler Optimismus, sondern hart erkämpfte Hoffnung - das ist wahrhaft capraesk.

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