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    Barfly
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Barfly
    Von Christoph Petersen

    Als er am 18. Mai 1978 in der Hamburger Markthalle eine Lesung hielt, bestand er auf einen Kühlschrank auf der Bühne, damit der Alkoholnachschub nur ja nicht abreißt. Charles Bukowski gilt bis heute als Inbegriff des saufenden Genies. Mit seiner knallhart auf den Punkt gebrachten Prosa, die sich überwiegend mit den Schmuddelseiten des Lebens beschäftigt, galt er 1986 als der meistgeklaute Autor der Welt - jeder wollte ihn lesen, aber niemand traute sich, seine Bücher auf den Ladentresen zu legen. Das Überraschende dabei: Seine Geschichten sind nur selten düster oder grimmig, sondern in der Regel absurd und urkomisch. So auch sein Drehbuch zu dem autobiographisch geprägten Säuferfilm „Barfly“, das sein Regisseur-Kumpel Barbet Schroeder kongenial auf die Leinwand brachte.

    Henry Chinaski (Mickey Rourke) ist ein Säufer wie er im Buche steht. Jeden Tag hängt er in derselben Kneipe ab, wo er sich regelmäßig im Hinterhof mit Barkeeper Eddie (Frank Stallone) blutige Schlägereien liefert. Das bürgerliche Leben stößt ihn ab, es geht ihm nicht darum, den amerikanischen Traum zu leben oder in das System zu passen. Eines Abends trifft Henry die attraktive Trinkerin Wanda (Faye Dunaway, Bonnie And Clyde, Chinatown), bei der er sofort einzieht. Doch die Liebe reicht erst mal nur bis zur nächsten Whiskyflasche. Die junge, gutsituierte Verlegerin Tully Sorenson (Alice Krige, Silent Hill), die ein Literaturmagazin herausgibt, hat unterdessen einen Privatdetektiv auf Henry angesetzt. Sie war nämlich derart von den eingesendeten Kurzgeschichten des Straßenpoeten angetan, dass sie ihn nicht nur unbedingt groß rausbringen will, sondern sich auch ein wenig in ihn verschossen hat…

    Wer mit Charles Bukowski, seiner Arbeit und seiner Art nicht vertraut ist, hätte sein Skript womöglich als herkömmliches Säuferdrama umgesetzt. Doch Barbet Schroeder (Oscarnominierung für „Die Affäre der Sunny B.“, Mord nach Plan, Das Geheimnis der Geisha) kennt den Autoren zum Glück aus dem Effeff. Schließlich hat er bereits zwei Jahre vor „Barfly“ den dreieinhalbstündigen (!) Interviewfilm „The Charles Bukowski Tapes“ gestemmt. Und so sitzt dann auch jeder Ton. Das Hollywood-typische Moralgesülze sucht man hier vergebens. Henry ist ein Penner, Säufer, Loser - und zugleich der coolste Typ unter der Sonne. Er könnte es anders haben, doch er will es gar nicht, er mag seine allabendlichen Schlägereien in seiner abgefuckten Stammkneipe. Hätte er Geld, würde er mit Stil saufen. Ganz aufzuhören kommt nicht in Frage, schließlich trinkt Henry nicht wie andere, um seinen Schmerz zu ertränken, sondern weil er es will. Ein Säuferporträt, das in der heutigen Traumfabrik wohl auch mit der Kneifzange niemand mehr anpacken würde.

    Es war das Hollywood-Comeback der vergangenen Jahre. Nach eineinhalb Jahrzehnten, in denen er seinen Körper mit Boxkämpfen, misslungenen Schönheitsoperationen und verschiedenen Süchten bis an den totalen Kollaps führte, meldete sich Mickey Rourke mit Sin City und seiner oscarnominierten Rolle in The Wrestler mehr als eindrucksvoll zurück. Doch trotz aller Comeback-Euphorie sollte nicht vergessen werden, dass der geniale Schauspieler vor seinem Absturz noch mehr zu bieten hatte. Neben seiner vielleicht stärksten Rolle in Angel Heart bewies er dies auch in „Barfly“, in dem er sich selbst in den wenigen nüchternen Momenten immer leicht nach vorne lehnt, um nicht einfach umzufallen, und ansonsten mit skalpellscharfen, staubtrockenen Bemerkungen um sich schmeißt. Als Wanda meint, es aktuell nicht vertragen zu können, sich zu verlieben, entgegnet er, sie bräuchte sich keine Sorgen machen, ihn habe sowieso noch nie jemand geliebt. Bei Rourkes Prügelkumpane Frank Stallone handelt es sich übrigens tatsächlich um den kleinen Bruder von Actionstar Sylvester (Rocky, Rambo).

    Fazit: „Barfly“ ist keines dieser Trinkerdramen, die uns den Absturz eines Süchtigen vor Augen halten. Vielmehr ist Mickey Rourkes einzigartige Tour-de-Force eine mitunter urkomische Liebeserklärung an das Saufen und den Rausch. Schließlich würde Henry seinen schäbigen Barhocker für kein Geld der Welt hergeben.

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