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    The Dark - Angst ist deine einzige Hoffnung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Dark - Angst ist deine einzige Hoffnung
    Von Thomas Vorwerk

    Zu den ältesten Erzählmotiven des fantastischen Films gehört der verwunschene Märchenwald, der auch im modernen Horrorfilm immer wieder Einzug findet. Dabei werden vor allem die unheimlichen Aspekte des dunklen Dickichts betont. Der einfallsreiche und recht gewalttätige Horrorfilm „The Dark“ geht jedoch etwas andere Wege und kombiniert ein romantisch verklärtes Bild des Waldes mit heftigem Splatter. Regisseur Justin P. Lange und sein Kameramann Klemens Hufnagl (der auch als Co-Regisseur fungiert) bezeugen in dieser zwar österreichischen, aber in der Wildnis Kanadas gedrehten Produktion, die auf einem gleichnamigen Kurzfilm von 2013 beruht, ihren Respekt für die Historie des Horrorfilms, setzen den düsteren Stoff zugleich aber auch äußerst zeitgemäß um.

    Der creepy wirkende Hofer (Karl Markovics, „Die Fälscher“) durchfährt ein abgelegenes Waldgebiet. Bei einem Tankwart erkundigt er sich nach dem angeblich verfluchten Ort Devil's Den, wo ein Monster sein Unwesen treiben soll. Der Tankwart warnt ihn, die Gerüchte nicht auf die leichte Schulter zu nehmen: „Das Einzige, was ich an diesen Geschichten mag – ich bin es nicht, der durch den Wald gehetzt und umgebracht wird...“ Fast zeitgleich wird im laufenden Fernseher eine Fahndungsmeldung gebracht: Hofer ist gefährlich und wird polizeilich gesucht. Für den Tankwart eine Nachricht mit unangenehmen Folgen…

    Die ersten 20 Minuten von „The Dark“ spielen mit typischen Horror-Situationen, deren Regeln immer wieder gebrochen werden. Gerade glaubt man als Zuschauer in Hofer den bösen Antagonisten zu erkennen, als der vermeintliche Täter plötzlich selbst zum Opfer wird. Attackiert wird er allerdings nicht von einem „Monster“, sondern von Mina (Nadia Alexander, „Blame - Verbotenes Verlangen“), einer offenbar untoten jungen Frau mit grausam entstelltem Gesicht, die in Hofers Auto kurz darauf den seines Augenlichts beraubten Teenager Alex (Toby Nichols, „Marvel's Iron Fist“) entdeckt.

    Zwischen der Mina und dem Alex entwickelt sich eine seltsame Freundschaft, die neben einem ähnlichen Alter und Schicksal auch darauf beruht, dass der blinde Alex dem „Monster“ Mina vorurteilslos statt mit Abscheu und Entsetzen begegnet. Ein Szenario wie aus dem Universal-Klassiker „Frankensteins Braut“ (Boris Karloff trifft auf den blinden Eremiten) oder dem Hannibal-Lecter-Vorgänger „Roter Drache“ (die blinde Emily Watson trifft auf den entstellten Killer). In solchen Momenten scheint Vergebung, Freundschaft, vielleicht sogar Liebe möglich – aber meistens enden solche Geschichten dann ja doch tragisch.

    Diese Figurenkonstellation, die ebenso an Tomas Alfredssons „So finster die Nacht“ erinnert (einsamer Junge trifft auf Vampir-Mädchen), verleiht dem Film einen völlig neuen Spin, durch den von nun an alles möglich zu sein scheint. Die beiden lernen sich zögerlich kennen, helfen und schützen sich gegenseitig. Doch Minas Bestreben, ihre menschliche Natur zurückzugewinnen, werden immer wieder zunichte gemacht, wenn Polizisten, Kopfgeldjäger und andere Störenfriede auftauchen und Mina zwingen, ihre dämonischen Fähigkeiten anzuwenden (was auch zu einem gewissen Bodycount führt). Dennoch lernt man ebenso ihre verletzlichen Seiten kennen, wenn in Flashbacks Minas traurige Vorgeschichte mit ihrem märchentypischen „bösen Stiefvater“ erzählt wird. Der eigentliche Horror um Minas Misshandlungs-Trauma wird hier nur angedeutet. Aber das reicht, um der Figur Mina eine Tiefe zu verleihen, die den Zuschauern schnell auf ihre Seite zieht. Zugleich erfährt man mehr über das Schicksal von Alex, der sich zu Beginn noch als verängstigtes Kidnapping-Opfer mit leichtem Stockholm-Syndrom erweist.

    Eine der gelungensten Szenen zeigt Mina an einem Seeufer (eine weitere „Frankenstein“-Referenz), wo sie einem fast vergessenen Hobby ihrer Kindheit frönt und der Kern ihres unverdorbenen Wesens zum Vorschein kommt. Inmitten all des Blood & Gores zeigt „The Dark“ auch zarte, poetische Momente. So wirkt das Ganze dann wie die Übersteigerung klassischer Grimm’schen Märchen, die ursprünglich schließlich auch nicht für Kinder gedacht waren: So versuchen die ungleichen Protagonisten, wie Hänsel und Gretel aus dem Wald und vor seinen Bedrohungen zu fliehen, aber statt Brotkrumen hinterlassen sie eine Spur aus Blut.

    Dabei werden nicht nur symbolhafte Kontexte geschaffen, etwa wenn Mina in ihrem Rucksack nicht nur ihre blutverschmierte Axt, sondern auch ihren alten verschlissenen Teddybären aufbewahrt. Streckenweise erweist sich „The Dark“ als wüster Genre-Mix, der seine Geschichte um Alex und Mina und die emotionale Basis ihrer Beziehung jedoch nie aus dem Fokus verliert und dabei vor allem auch immer wieder auf die klassischen Erzählelemente des Horrorfilms setzt.

    Neben der inszenatorischen und erzählerischen Eleganz (man beachte die erzählerische Klammer am Anfang und am Ende) sowie den überzeugenden Nachwuchsdarstellern fallen manche ambitionierten Ideen positiv auf: So verzichtet Regisseur Lange auf herkömmliche Filmmusik. Gerade beim Intro, das noch voller Schockmomente steckt, verbreitet das Knacksen eines einzelnen Astes manchmal mehr Schrecken als ein halbes Streichorchester à la „Psycho“. An diesen Genre-Klassiker wie auch an David Lynchs „Blue Velvet“ gibt es übrigens jeweils auch eine gelungene Referenz. Eine solche Verbundenheit mit der Geschichte des Horrorgenres hat man in letzter Zeit selten gesehen.

    Fazit: Ein fantastisches Außenseiterdrama à la Tim Burton („Edward mit den Scherenhänden“) trifft auf einen Backwood-Splatter der Marke Tobe Hooper („The Texas Chainsaw Massacre“) - ein schaurig-schönes, aber auch betont blutiges Grusel-Märchen, das mit seiner atmosphärischen Inszenierung zugleich auch eine Hommage an die Geschichte des Horrorfilms darstellt.

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