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    Out Of Play - Der Weg zurück
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Out Of Play - Der Weg zurück

    Schmerzhaft nah am realen Ben Affleck

    Von Oliver Kube

    Amüsante Säufer gibt es im Kino immer wieder – von Charlie Chaplins „Lichter der Großstadt“ über „Ich glaub’ mich tritt ein Pferd“ bis hin zu „Arthur - Kein Kind von Traurigkeit“. Offenbar ist es recht einfach, mit den Missgeschicken Betrunkener für Lacher zu sorgen. Eine ernsthaftere, tatsächlich etwas über Alkoholismus und seine Auswirkungen auf den Trinker sowie seine Umgebung aussagende Leinwand-Geschichte zu präsentieren, ist ungleich schwieriger.

    Wie man dieses eher deprimierende Thema dennoch realistisch zu einem fesselnden und berührenden Werk verarbeiten kann, zeigen Klassiker wie Billy Wilders „Das verlorene Wochenende“, „Tage des Weines und der Rosen“ von Blake Edwards oder Mike Nichols‘ „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Aber es gibt natürlich auch nicht ganz so alte Genre-Highlights wie „Leaving Las Vegas - Liebe bis in den Tod“ oder den achtfach oscarnominierten „A Star Is Born“. Zu ihnen gesellt sich nun das auf interessante Weise mit Sportfilm-Elementen angereicherte Alkoholiker-Drama „Out Of Play - Der Weg zurück“ von „The Accountant“-Regisseur Gavin O’Connor. In der Hauptrolle brilliert Ben Affleck mit einer seiner besten Leistungen – offensichtlich inspiriert von eigenen Erfahrungen.

    Jack Cunningham (Ben Affleck) trinkt locker zwei Dutzend Dosen Bier - an einem einzigen Abend!

    Zu seinen High-School-Zeiten war Jack Cunningham (Ben Affleck) noch der Star des lokalen Jugend-Basketball-Teams, die großen Universitäten lockten mit hochdotierten Stipendien. Aus damals für den Rest der Welt unerfindlichen Gründen lehnte Jack allerdings sämtliche Offerten ab und wurde stattdessen Bauarbeiter. Jahre später haust er, verlassen von seiner Frau (Janina Gavankar), in einer schäbigen Wohnung und hat sich ganz dem Alkohol und seinem Selbstmitleid ergeben. Da erhält er einen überraschenden Anruf von seinem alten Direktor, der ihn als Coach für die erschreckend schwache Basketball-Mannschaft seiner Schule verpflichten will.

    Widerwillig nimmt Jack den Job an. Mit seinem Know-how und ungeahntem Ehrgeiz schafft er es tatsächlich, die eigentlich zu kleinen, zu untalentierten und zu rebellischen Jungen zu einem Team mit Chancen zu formen. Nebenbei scheint er seinen extremen Alkoholkonsum zumindest in den Griff zu bekommen. Doch dann holen ihn die Geister der Vergangenheit wieder ein. Ein Vorfall im Bekanntenkreis führt Jack vor Augen, weshalb sein Leben einst in eine gnadenlose Abwärtsspirale geriet - und er sucht erneut Trost am Boden der Flasche...

    20 Bierdosen – an einem Abend

    Wenn er am Spielfeldrand steht und sein Team instruiert, flucht der Coach ziemlich deftig und in einer Tour. Eine Angewohnheit, die bei seinen mit Priesterkragen auf der Tribüne sitzenden Vorgesetzten an der streng katholischen Schule natürlich nicht gerade gut ankommt. Doch Jack hat viel schwerwiegendere Probleme. Er ist ein Säufer. Und zwar einer von der schlimmsten Sorte. Einer, der nicht mehr funktioniert, wenn er nicht zumindest einen gewissen Promille-Pegel beibehalten kann. Das lässt uns Regisseur Gavin O’Connor nie vergessen. Mit Ausnahme einer gewissen Strecke in der Mitte des Films fehlt der Alkohol in so gut wie keiner Szene. Gelegentlich übernimmt er gar die Hauptrolle. So in einer von Cutter David Rosenbloom („Insider“) exzellent, mit zunehmender Laufzeit immer erratischer geschnittenen Collage. In ihr entscheidet sich Jack im Laufe eines für uns zeitgerafften Abends, an dem er insgesamt 20 Dosen Bier wegtrinkt (ja, wir haben mitgezählt!), den Job anzunehmen.

    Er trinkt vor, während und nach der Arbeit auf der Baustelle oder später in der Sporthalle. Eine Bierdose oder Schnapsflasche begleitet ihn ins Bett, ans Steuer seines Autos und unter die Dusche. Spricht ihn seine ihn liebende, mittlerweile aber zu Recht schwer genervte Schwester Beth (Michaela Watkins, „Brittany Runs A Marathon“) darauf an, wird er aggressiv. Es ist das klassische Verhalten eines Menschen in dieser Situation und Ben Affleck wirkt komplett authentisch dabei. Eben wie jemand, der genau so etwas schon erlebt hat...

    Es bleibt lange fraglich, ob der Basketball Jack in seiner Situation wirklich helfen kann...

    Der „Gone Girl“-Star ist so überzeugend, so glaubhaft, dass er den Zuschauer bereits früh im Film seine private Identität und all seine vorherigen Rollen vergessen lässt. Wir sehen nur noch Jack Cunningham. Man hat das Gefühl, Affleck identifiziere sich komplett mit seinem Part. Mit Jacks Wünschen und Gefühlen, vor allem mit seinen Fehlern und der Machtlosigkeit ihnen gegenüber. In einem lesenswerten Interview mit der New York Times spricht der Schauspieler schonungslos offen darüber, wie er sich - nach der weitläufig publizierten Trennung von seiner Frau Jennifer Garner - selbst der Trinkerei ergab. Die Arbeit an „Out Of Play - Der Weg zurück“ sei dann eine Art Therapie für ihn gewesen. Affleck hat sich anscheinend - physisch wie psychisch - mit voller Wucht in die Rolle geworfen. Das Ergebnis ist seine beste Leistung seit Jahren (vielleicht sogar sein beste überhaupt).

    Janina Gavankar („True Blood“) als besorgte Ex-Frau und der den engagierten Assistenztrainer gebende Komiker Al Madrigal („Night School“) tragen gekonnt dazu bei, uns Jacks Verfassung zu verdeutlichen. Ebenso wie die oft nah an den Mimen herangehenden, dabei immer leicht körnig und rau wirkenden Bilder von Kameramann Eduard Grau („Der verlorene Sohn“). Mit geschickter Verwendung von wechselnder Fokussierung und teilweise den Blick blockierenden Objekten illustrieren die Einstellungen die Distanz des Protagonisten zu seiner Umgebung. Kaum weniger effektiv ist der mit aufreizend langsamen, intensiven Molltönen untermalende, dabei eine gedämpft-gedrückte Stimmung erzeugende Score von „Foxcatcher“-Komponist Rob Simonsen.

    Kein klassischer Sportfilm

    Basketball ist ein wichtiger Teil der von Drehbuchautor Brad Ingelsby („Auge um Auge“) klug konstruierten Story. Trotzdem handelt es sich nicht primär um einen klassischen Sportfilm wie etwa „Gegen jede Regel“, „Freiwurf“ oder O’Connors eigenen „Miracle - Das Wunder von Lake Placid“. Sicherlich gibt es ein paar Parallelen. Denn auch hier müssen Underdog-Athleten ihre vermeintlichen Schwächen überwinden, sie sogar nutzen, um letztlich als Sieger vom Feld gehen zu können. Die Szenen, in denen Affleck seine Schützlinge zunächst recht brutal niedermacht, um sie anschließend umso stärker wiederaufzurichten, sind durchaus ergreifend und inspirierend.

    „Out Of Play - Der Weg zurück“ ist aber dennoch viel mehr ein Charakter-Drama. Ein berührendes und angenehm unkitschiges dazu, weil es keine einfachen Antworten, keine platten Lösungen wie „Sei stark, dann wird alles gut“ oder gar „Glaub‘ an Gott, dann glaubt er an dich!“ anzubieten versucht, sondern lange (sehr lange!) sehr düster bleibt. Erst ganz am Ende, wenn sich der Abspann schon klar ankündigt, gibt es einen Hoffnungsschimmer. Der ist allerdings so strahlend hell, so befreiend, dass es sich für das Publikum lohnt, mit der Hauptfigur all die sich zuvor auftuenden tiefen Täler und dunklen Momente gemeinsam zu durchschreiten.

    Fazit: Ben Afflecks mit enormer emotionaler Tiefe begeisternde Performance ist das Prunkstück eines berührend realistischen Trinker-Dramas.

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