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    Tatort: Die ewige Welle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Tatort: Die ewige Welle

    Fiasko aus München

    Von Lars-Christian Daniels

    Als Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec 2018 mal in einem Interview gefragt wurden, welche Münchner „Tatort“-Folge sie in ihren heute über 28 Dienstjahren als TV-Kommissare für die öffentlich-rechtliche Erfolgsreihe eigentlich am schwächsten fanden, fiel ihre Wahl auf einen Beitrag von 2009: Der „Tatort: Gesang der toten Dinge“ war ein ziemlich schräger Esoterik-Krimi, in dem die Filmemacher übersinnliche Phänomene mit realen Ereignissen vermischten. Ansonsten muss man lange suchen, um überhaupt mal eine wirklich missglückte Folge aus München zu finden: Zu nennen wäre etwa der „Tatort: Ein Sommernachtstraum“ von 1993 – eine überzeichnete Kombination aus sommerlichem Drogendrama und klischeebeladenem Satanistenthriller mit Shakespeare-Anleihen, die ziemlich in die Hose ging. Nun gesellt sich nach fast drei Jahrzehnten der soliden bis herausragenden Sonntagabendunterhaltung tatsächlich mal wieder ein echter Fehlschlag dazu: Andreas KleinertsTatort: Die ewige Welle“ ist eine verkorkste Kreuzung aus spannungsarmem Krimi, bittersüßer Romanze und schräger Gaunergeschichte. Aus München ist man deutlich Stärkeres gewohnt!

    Der Münchner Hauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl/in jungen Jahren: Sören Wunderlich) wird mit seinem Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) auf einen Fall angesetzt, der ihn persönlich betrifft: Nach einem Ritt auf der Eisbachwelle im Englischen Garten wird der Surflehrer Mikesch Seifert (Andreas Lust/Jonathan Müller) auf dem Heimweg von einem Junkie attackiert und lebensgefährlich verletzt. Mikesch war in den 80er Jahren eng mit Leitmayr befreundet und hatte mit ihm und der Holländerin Frida de Kuyper (Ellen ten Damme/Giulia Goldammer) einen Sommerurlaub in Portugal verbracht, ehe der Kontakt zwischen den dreien abbrach. Als Batic und Leitmayr Mikesch befragen, gibt der vor, den Täter nicht erkannt zu haben und türmt aus der Klinik. Ist Leitmayrs alter Kumpel womöglich in illegale Geschäfte mit Medikamenten verwickelt, die der Junkie stehlen wollte? Die Münchner Ermittler, die bei ihren Nachforschungen von Gerichtsmediziner Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) und Kriminalkommissar Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) unterstützt werden, hören sich im Umfeld des Flüchtigen um und treffen dabei unter anderem auf den jungen Surfer Robert Kraut (Justus Johanssen) und den kauzigen Heinrich (Michael Tregor)…

    Leitmayr und Batic bei den Isar-Surfern.

    Wer in den vergangenen Wochen den „Tatort“ geschaut hat, erlebt bei dieser Folge gleich ein doppeltes Déjà-vu: Hauptdarsteller Andreas Lust war erst Mitte März im vieldiskutierten „Tatort: Für immer und dich“ in einer Schlüsselrolle als pädophiler Entführer zu sehen und mimt hier erneut einen Kriminellen, dem die Ermittler lange Zeit vergeblich hinterherjagen. Der bis dato letzte Auftritt von Justus Johanssen im „Tatort: Das Monster von Kassel“ ist sogar erst zwei Wochen her. Für die ärgerliche TV-Terminierung können die Filmemacher wenig, doch ist auch die Liste der Schwächen im Drehbuch von Alex Buresch und Matthias Pacht lang: Größtes Manko im 1096. „Tatort“ ist das Fehlen jeglicher Spannungsmomente – der 81. Einsatz der altgedienten Ermittler aus Bayern ist vielmehr eine dieser „Tatort“-Folgen, bei denen man sich ständig dabei ertappt, wie man zwischendurch auf die Uhr schaut. Für einen packenden Sonntagskrimi fehlt es der Geschichte schlichtweg am Unterbau: Weil der Messerstecher, der Mikesch einleitend ins Krankenhaus befördert, kurz darauf an einer Überdosis stirbt, hat sich die Jagd auf den Verbrecher erledigt, bevor sie so richtig angefangen hat.

    So versuchen sich die Filmemacher – einen echten Kriminalfall gibt es ja nicht – an einer Aufarbeitung von Leitmayrs umtriebigen Jugendjahren, in denen sich der heutige Kommissar auf eine prickelnde Ménage à trois einließ und noch auf der anderen Seite des Gesetzes stand: Seine Nachforschungen im Hier und Jetzt, die eher dem eigenen Seelenfrieden und weniger dem Kampf für Recht und Ordnung dienen, werden durch sepiagefärbte Rückblenden unterbrochen, die auch das einleitende Surfer-Thema aufgreifen, das zugleich als Metapher für Mikeschs ewigen Kampf mit den Widrigkeiten des Lebens verstanden werden darf. Zugang zu dem unsympathischen Gelegenheitsverbrecher finden wir jedoch zu keinem Zeitpunkt des Films. Der im verwaschenen Retro-Look eingeflochtene, nostalgieschwangere Rückblick in die 80er Jahre hingegen bleibt blutleer, was auch daran liegt, dass ein zentraler Konflikt – eine mögliche Vaterschaft Leitmayrs – zu behauptet wirkt und nicht auserzählt wird. Wer glaubt, der Bayerische Rundfunk würde seinem Ermittler nach 28 Dienstjahren spontan ein Kind in die Geschichte schreiben lassen, ist ohnehin schief gewickelt – etwas Ähnliches ereignete sich 2017 im „Tatort: Fangschuss“, in dem Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) unverhofft seiner vermeintlichen Tochter Leila (Janina Fautz) begegnete. Hier wie dort hätte man sich den müden Handlungsschlenker sparen können.

    Schwach in allen Bereichen

    Was dem Film von Andreas Kleinert („Hedda“) letztlich das Genick bricht, sind aber nicht nur der melancholische Fokus auf Leitmayrs Jugend und die fehlende Spannung, sondern der pausenlos wechselnde Erzählton und die schwachen Nebenfiguren: „4 Blocks“-Darstellerin Genija Rykova ist in ihrer Rolle als unterkühlte Kunstsammlerin verschenkt, Ellen ten Damme spielt erfolglos gegen das Klischeehafte ihrer polyamoren Hippie-Holländerin an und Michael Tregor ist als kauziger Lebenskünstler mit eigenwilligem Faible für eine pinke Footballjacke an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. In einer launigen Gangsterkomödie hätte eine solch absurde Figur funktionieren können, hier jedoch wirkt sie spätestens bei der Flucht mit einem winzigen Fahrrad vor dem Streifenwagen völlig deplatziert. Selbst Batic und Leitmayr scheinen sich innerlich irgendwann von diesem missglückten Fall zu verabschieden, fläzen sich auf eine Wiese in München und rauchen erstmal ein Tütchen. „Tschuldigung, brauchen Sie mich noch?“, fragt sie ein Krimineller in Handschellen in einer anderen Szene, als sich die Kommissare gedankenverloren Gedichten aus Leitmayrs Feder widmen, und es wirkt fast so, als möchten sie ihm antworten: Nein, wir haben heute andere Sorgen.

    Fazit: Andreas Kleinerts „Tatort: Die ewige Welle“ ist eine der schwächsten Münchner „Tatort“-Folgen aller Zeiten.

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