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    Tatort: Her mit der Marie!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Her mit der Marie!

    Die große Stunde von Inkasso-Heinzi

    Von Lars-Christian Daniels

    Seit dem Dienstantritt der mittlerweile „trockenen“ Alkoholikerin Bibi Fellner (Adele Neuhauser, die auch in unserer Netflix-Entdeckung des Jahres die Hauptrolle spielt) hat der „Tatort“ aus Österreich nicht nur einen spürbaren Qualitätssprung hingelegt, sondern darf auch regelmäßig einen mit ihr befreundeten Gast in seinen Reihen begrüßen: Der ebenso umtriebige wie sympathische Kleinkriminelle „Inkasso-Heinzi“ (Simon Schwarz), dem Fellner auch ihren kultverdächtigen Pontiac Firebird als Dienstwagen verdankt, versorgte die einst für die „Sitte“ tätige Ermittlerin bei seinen bisherigen sechs Auftritten mit wertvollen Informationen aus der Unterwelt und brachte sie damit auch regelmäßig in Schwierigkeiten. Wenngleich der Ärger mit ihrem Kollegen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) stets vorprogrammiert war, gingen die kriminellen Verstrickungen für Fellners Busenkumpel doch immer glimpflich aus: Entweder drückten die Wiener Kommissare am Ende beide Augen zu oder man konnte dem aalglatten Kiezkenner einfach nichts nachweisen. In Barbara Eders gelungenem „Tatort: Her mit der Marie!“ wird es für den heimlichen Publikumsliebling nun aber besonders eng: Inkasso-Heinzi gerät unter Mordverdacht und rückt für den Zuschauer damit so stark in den Blickpunkt wie nie zuvor.

    Auf einer unbefestigten Schotterstraße in der Nähe von Wien kommt es zu einem Raubüberfall mit Todesfolge: Pico Bello (Christopher Schärf) und Edin Gavric (Aleksandar Petrovic) haben eine Tasche mit Geld für den einflussreichen Großkriminellen Joseph „Dokta“ Fenz (Erwin Steinhauer) im Kofferraum, werden aber plötzlich von einem maskierten Unbekannten gestoppt. Es fällt ein Schuss, der Täter flüchtet mit dem Geld und Gavric kommt dabei ums Leben. Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser), die bei ihren Ermittlungen von ihrem eifrigen Assistenten Manfred „Fredo“ Schimpf (Thomas Stipsits) unterstützt werden, finden in einem nahegelegenen Waldstück nur noch verbrannte Überreste: Der von Pico herbeizitierte Marko Jukic (Johannes Krisch), der ebenfalls für den Dokta arbeitet, hat die Leiche angezündet, um möglichst wenig Spuren zu hinterlassen. Genau wie die Wiener Ermittler macht er sich gemeinsam mit Pico auf die Suche nach dem Täter, um das verlorene Geld für seinen Boss zurückzuholen. Dabei trifft er auf einen alten Freund von Fellner: die ehemalige Kiezgröße Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz)…

    Bereits der Krimititel macht deutlich: Wer mit österreichischem Dialekt und den entsprechenden Begrifflichkeiten in unserem Nachbarland fremdelt, der wird am 1068. „Tatort“ wenig Freude finden. Denn mit „Marie“ ist nicht etwa – was in einem Krimi ja durchaus auf der Hand läge – der Name einer Geisel oder eines Entführungsopfers gemeint, sondern der schnöde Mammon: „Her mit der Marie!“ heißt auf Hochdeutsch so viel wie „Geld her!“ und spielt auf die Tasche mit den Banknoten an, die den Handlangern des Doktas einleitend geraubt wird. Auch sonst ist der Dialekt für das deutsche Stammpublikum hart an der Grenze des Zumutbaren: An den Wiener Schmäh der beiden Ermittler, der die regelmäßigen Zankereien ja meist noch amüsanter macht, haben wir uns nach siebeneinhalb gemeinsamen Dienstjahren zwar gewöhnt – wenn Bibi Fellner und Inkasso-Heinzi bei einer Plauderei im Hinterhof aber nebenbei auch noch auf einem Leberkäsbrötchen herumkauen, ist selbst für das geschulte Ohr kaum noch etwas zu verstehen. Das macht die Dialoge zwar besonders authentisch – wird aber wohl wieder dafür sorgen, dass dem eigentlich so sehenswerten Austro-„Tatort“ auch diesmal wieder zahlreiche genervte Zuschauer wegbrechen.

    Dabei stehen bereits der melancholische Soundtrack (incl. Gastauftritt von Voodoo Jürgens) und die wunderbar fotografierte Eröffnungssequenz auf einer einsamen Landstraße exemplarisch dafür, dass wir es mit keinem Sonntagskrimi nach Schema F zu tun haben: Ästhetisch und dramaturgisch zwischen Roadmovie, Westerndrama, Mafiathriller und Milieukrimi verortet, inszeniert Regisseurin Barbara Eder („Thank You For Bombing“) einen sympathischen und kurzweiligen Genremix, der sich selbst nicht allzu ernst nimmt und bei dem sich die schillernden Figuren förmlich die Klinke in die Hand geben. Während der augenzwinkernd überzeichnete Elvis-Presley-Verschnitt Pico und sein Verhältnis zur neuerdings angeblich ehrlichen Haut Inkasso-Heinzi bis zum Schluss die Unbekannte und die Antriebsfeder der Geschichte bleiben, gibt der eiskalte Problembeseitiger Jukic meist den harten Hund. Der einflussreiche Dokta stiehlt ebenfalls viele Szenen – zum Beispiel dann, wenn er sich beim Verhör im Präsidium in aller Seelenruhe ein Ei pellt, das ihm seine knuffige Gattin (Maria Hofstätter) zuvor noch fix in die Lunchbox gepackt hat.

    Auch Assistent Schimpf stellt bei seinem neunten Auftritt unter Beweis, was für ein großer Gewinn er über die Jahre für den „Tatort“ aus Österreich geworden ist: So sehr sich Eisner und Fellner bei den Ermittlungen auch in die Haare kriegen – in dem herzerfrischend tatendurstigen „Fredo“ finden sie immer wieder ein gemeinsames Feindbild, über das sie sich wunderbar echauffieren können. Den „Tatort: Her mit der Marie!“ auf sein tolles Figurenensemble, die köstlichen Dialoge und die stellenweise brüllend komische Situationskomik zu reduzieren, würde dem überzeugenden Drehbuch des eingespielten Autorenduos Stefan Hafner und Thomas Weingartner („SOKO Kitzbühel“) aber nicht gerecht: Wer einfach nur einen guten Krimi sehen und miträtseln möchte, kommt ebenfalls auf seine Kosten. Zwar reduziert sich der Kreis der Verdächtigen auf eine Person, doch bleibt deren Rolle bei der Tat bis in die emotionalen Schlussminuten unklar. Dass die Auflösung nicht sonderlich knifflig ausfällt und sich im Mittelteil des Films ein paar Längen einschleichen, schmälert den guten Gesamteindruck dieser überzeugenden Wiener „Tatort“-Folge unterm Strich kaum.

    Fazit: Der Wiener „Tatort: Her mit der Marie!“ ist ein kurzweiliger und originell inszenierter Genremix mit tollen Figuren und kleineren dramaturgischen Schwächen.

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