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    Guest of Honour
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Guest of Honour

    Viele Gefühle, wenig Spannung

    Von Björn Becher

    Der kanadisch-armenische Regisseur Atom Egoyan ist bekannt dafür, die Genres zu vermischen und seine Geschichten, die oft um unverarbeitete Trauer und Tragödien kreisen, in einer ineinander verschachtelten Struktur zu erzählen. Auch in „Guest Of Honour“ verbindet er Drama, Thriller und Komödie, während er kunstvoll eine Handvoll Zeitebenen miteinander verbindet und so nach und nach eine berührende Tragödie enthüllt. Gerade in den Momenten mit dem herausragenden David Thewlis zeigt sich einmal mehr, wie gut Egoyan solche Vexierspiele beherrscht. Zugleich ist „Guest Of Honour“ dann aber doch noch ein gutes Stück weit weg von der Finesse seiner besten Werke wie „Das süße Jenseits“, für den er 1998 mit Oscarnominierungen für Drehbuch und Regie bedacht wurde.

    Nach dem Tod des Gesundheitsinspektors Jim (David Thewlis) wendet sich seine Tochter Veronica (Laysla De Oliveira) an einen Priester (Luke Wilson). Schließlich war es der letzte Wunsch ihres Vaters, dass ausgerechnet dieser Priester die Trauerrede hält, obwohl Jim selbst weder Kirchgänger noch ein Mitglied der Gemeinde war. Also fängt der Gottesmann an, Veronica über ihren Vater zu befragen. Sie erzählt ihm erst von seinem Beruf, bei dem er Restaurants auf Einhaltung der Hygienevorschriften kontrollierte und dem er mit großer Gründlichkeit nachging. Aber je weiter das Gespräch voranschreitet, desto mehr verborgene Dinge kommen ans Licht – über den frühen Tod der Mutter bis hin zu einem Streich, der dafür sorgte, dass Veronica ins Gefängnis kam, der aber nicht der Grund dafür ist, warum sie selbst unbedingt ins Gefängnis wollte …

    Als Gesundheitsinspektor ist Jim in seinem Element.

    Während Atom Egoyan in „Remember“ mit Christopher Plummer noch subjektive Erinnerungen in den Vordergrund stellte, denen auch aufgrund der Demenzerkrankung der Hauptfigur nicht zu trauen war, zeigt er in den Rückblenden in „Guest Of Honour“ viele Momente und Ereignisse aus Jims Perspektive statt nur Veronicas Bericht an den Priester zu bebildern. Aber bei diesem delikaten Konstrukt verzettelt sich Egoyan immer mal wieder – zumindest was die Spannungsstruktur des Films angeht: Wenn wir immer wieder Figuren dabei zusehen, wie sie etwas herausfinden, was wir aber an anderer Stelle schon längst erfahren haben, dann bleibt der große Knall an der Stelle logischerweise aus: Einmal startet Jim sogar einen groß angelegten Erpressungsversuch gegenüber den Besitzern eines deutschen Restaurants, um etwas über seine im Gefängnis sitzende Tochter herauszubekommen. Von der Planung bis zur Ausführung ist der Zuschauer die ganze Zeit mit dabei – doch am Ende geht es nur um eine Information, die das Kinopublikum zuvor längst an einer anderen Stelle viel früher bekommen hat.

    Aber das ist am Ende wohl auch einfach eine Frage der Schwerpunktsetzung. Denn während die Wissensvorsprünge des Zuschauers hier und da auf Kosten der Spannung gehen, sorgen sie zugleich auch immer wieder für sehr dramatische und berührende Momente, weil man die wahre Tragik einer Situation oft schon vor den betroffenen Figuren durchschaut. So erzielt Egoyan gerade durch die Verschachtelung der Erzählung einen besonders starken emotionalen Effekt. So etwa bei der Antwort auf die Frage, warum Jim unbedingt wollte, dass seine Tochter genau diesen Priester mit seiner Trauerrede beauftragt. Gerade in dieser Hinsicht ist „Guest Of Honour“ immer dann besonders stark, wenn der sensationelle David Thewlis auf der Leinwand zu sehen ist. Dem unter anderem als Remus Lupin aus der „Harry Potter“-Reihe bekannten Schauspieler könnte man auch einfach nur dabei zusehen, wie er in den immer wieder eingewobenen Szenen gewissenhaft Restaurants untersucht und am Ende mit einem grünen, gelben oder roten Schein über das Schicksal der Betreiber entscheidet.

    Highlight: David Thewlis

    Wie sehr Thewlis den Film trägt, und zwar sowohl die dramatische als auch die komische Seite, macht eine exemplarische Episode rund um eine ganz besondere Restaurantkontrolle deutlich. Die von Eogyans Ehefrau Arsinée Khanjian („Ararat“) gespielte Geschäftsführerin kann die drohende Schließung in letzter Sekunde mit der Erklärung abwenden, dass die entgegen den Vorschriften noch nicht gehäuteten Kaninchen in der Küche nicht für zahlende Gäste, sondern für eine private Feier bestimmt sind. Zu der kommt der gewissenhafte Jim dann natürlich auch selbst noch mal zur Kontrolle vorbei. Wenn die Betreiberin ihre Gäste in Armenisch über den Grund seines Besuchs informiert und Jim mehr als Gag zum „Ehrengast“ des Abends erklärt, ist die Performance des perplexen Thewlis kurz unheimlich lustig. Aber eben nur kurz, denn dann setzt er zu einer Rede an, mit der Jim alle meint, nur nicht die im Raum befindlichen Partygäste – zum ersten Mal zeigt der sonst so abgeklärte Kontrolleur aufrichtige Gefühle, ein zutiefst berührender Moment und ein weiterer Beweis für Thewlis schauspielerische Meisterschaft.

    Fazit: „Guest Of Honour“ ist als Melodram mit Thriller-Anleihen zu ausrechenbar, um an Atom Egoyans besten Werke heranzukommen. Aber wie man Emotionen erzeugt, dass weiß der kanadisch-armenische Filmemacher nach wie vor – und dabei steht ihm ein herausragender David Thewlis tatkräftig zur Seite.

    Wir haben „Guest Of Honour“ bei den Filmfestspielen in Venedig gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

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