Mein Konto
    Das Badehaus
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Das Badehaus
    Von Martin Thoma

    Einfachheit ist schön. Zu viel Einfachheit ist manchmal zu schön. „Das Badehaus“ erzählt eine sehr einfache Geschichte: Da Ming (Pu Cunxin) ist - als Vertreter des „neuen“ China - in der ökonomisch aufstrebenden Region um Shenzhen dabei, Karriere zu machen. Er kehrt zu seinem Geburtsort in Peking zurück, weil er fälschlicherweise annimmt, sein Vater sei gestorben. Aber Master Liu (ZhuXu) scheint sich bester Gesundheit zu erfreuen. Wie eh und je betreibt er ein traditionelles Badehaus und kümmert sich um seinen geistig behinderten jüngeren Sohn Er Ming (Jiang Wu), der dort im Rahmen seiner Möglichkeiten mithilft. In einem ohnehin rückständigen Viertel ist dieses Badehaus der rückständigste Ort. Es wird fast nur noch von alten Männern und von einer Handvoll hoffnungsloser Außenseiter besucht. Da Ming würde am liebsten auf dem Absatz kehrt machen, aber es kommt natürlich anders. Er nähert sich wieder seiner Familie an, lernt Weisheit und Menschlichkeit ihres beinahe vormodernen Lebenswandels und das Badehaus als einen Zufluchtsort mit fast utopischen Zügen kennen. Am Ende ist Da Ming ein anderer Mensch geworden. Der Staat dagegen hat es noch nicht begriffen: Gleich das ganze rückständige Viertel wird komplett abgerissen, über gewachsene Strukturen und die Bedürfnisse der vermeintlich Schwachen mit technokratischer Rücksichtslosigkeit hinweggegangen.

    Regisseur Zhang Yangs Tragikomödie ist bewusst einfach gestaltet. Viele chinesische Filme, die keine staatliche Propaganda sind – also wenige chinesische Filme – werden mit ausländischem Geld für internationale Filmfestivals produziert. Für die Regisseure eine Möglichkeit, künstlerisch frei zu arbeiten, für das chinesische Publikum leider verloren, da im eigenen Land verboten. Zhang Yang, der mit seinem Debütfilm „Spicy Love Soup“ den ersten Box-Office-Hit eines chinesischen Independentfilms in China schaffte und der unabhängige Verleih Imar Film Co. wollen auf den chinesischen Markt. Sie wollen Filme für ein möglichst breites Publikum in China drehen, die keine Propaganda sind, sondern durchaus in dem Maß, in dem es die Zensur zulässt, versuchen kritisch zu sein. „Das Badehaus“ ist ein Musterbeispiel für diese Art Film, das ironischerweise auch gerade beim Publikum auf den internationalen Festivals, für die es eigentlich nicht in erster Linie bestimmt war, großen Anklang fand.

    Es menschelt aber auch ziemlich heftig: Master Liu ist ein lieber Opa wie aus dem Bilderbuch, nur dass die Stelle des umsorgten Enkelkindes von seinem geistig behinderten Sohn Er Ming eingenommen wird. Er Ming wiederum hat ganz klischeehaft die menschliche Wärme und die Fähigkeit mit seiner kindlichen Freude auch andere mitzureißen, die seinem großen Bruder, dem kühlen Verstandesmenschen, völlig abgehen. Zu einfach, zu schön, keine Frage. Aber dieser Film ist vor allen Dingen viel zu gut, als dass einen das abschrecken sollte, zumal es wirklich keinen Augenblick in die Nähe von Kitsch gerät.

    Man muss sich schon mit einer angestrengt überkritischen Haltung ins Kino setzen, um nach dem - zugegeben nicht gerade subtilen - Auftakt des Films nicht mitgerissen zu werden. Minutiös wird da vor Augen geführt, wie eine futuristische, offensichtlich an Autowaschanlagen angelehnte Duschanlage den gestressten Großstadtmenschen in kürzester Zeit porentief reinigen könnte, und dann bruchlos in Master Lius Badehaus geschnitten, wo die Alten ganze Tage damit verbringen extrem scharf gemachte Grillen wie in einem Hahnenkampf aufeinander zu hetzen, während sie sich zwischendurch massieren lassen. Das Geräusch massierender Hände wird zum Soundtrack und Master Lius Badehaus ist sofort als eine Art letztes Refugium der Menschlichkeit in einer streng durchrationalisierten Welt etabliert. Überhaupt ist es ein musikalischer Ort, denn böse Menschen haben keine Lieder und unter der Dusche wird ja bekanntlich am liebsten gesungen - in diesem Film allerdings mit einer mehr als außergewöhnlichen Inbrunst. Die „Sole-Mio“-Gesangsdarbietung eines der Badegäste ist ziemlich komisch, auch wenn sie am Ende etwas überstrapaziert wird und für eine Schlusspointe herhalten muss, die nicht wirklich zündet.

    Die beste komödiantische Wirkung erzielt der Film, wenn er Master Liu und Er Ming so modernen Erfindungen wie Drehtüren und – natürlich besonders absurd – elektrischen Massagegeräten ausliefert. Denn sie können mit diesen Dingen nichts anfangen, die Dinge umgekehrt mit ihnen schon. Das erinnert in seinen besten Momenten sogar an die Filme des großen Komikers Jacques Tati. Nicht dass Zhang Yang ihm das Wasser reichen könnte, aber sehr gute Unterhaltung ist es allemal.

    Herausragend ist die Kameraarbeit von Zhang Jian und Bi Er: Eine großartige Landschaft großartig in Szene zu setzen, geht oft genug daneben. Hier - in einem erzählerischen Exkurs in Master Lius Vergangenheit, der das logische Gegenstück zur Vision der futuristischen Duschanlage zu Beginn des Films bildet – gelingt es umwerfend. Noch größeres Können zeigt sich allerdings darin, wie lebendig das alte Badehaus gefilmt ist. Das in morbid schönen Bildern eingefangene Gebäude hat vom lecken Glasdach bis zur reparaturbedürftigen Neonleuchtreklame, vom gewaltigen alten Rohrsystem bis zur Saalbeleuchtung, bei der man jede Lampe einzeln ausknipsen muss, so viel Charakter, dass es zum eigentlichen Helden des Films wird. Da reicht dann das Klicken beim Umdrehen der Holzplättchen auf einer alten Anzeigetafel, immer dann wenn das Badehaus geöffnet wird, oder eine kleine Bewegung auf der dampfenden Wasseroberfläche und wohl jeder Zuschauer hat einen kurzen Moment völlig vergessen, dass er sich nicht wirklich dort, sondern im Kino befindet. Das schaffen nur wenige Filme. Einfach schön!

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top