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    Synchronic
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Synchronic

    Low Budget, High Concept

    Von Oliver Kube

    Zwischen Drehbuchautor Justin Benson und Kameramann Aaron Moorhead entstand vor einigen Jahren nicht nur eine enge Freundschaft, die beiden haben sich auch gleich noch zum gegenwärtig wohl faszinierendsten Regie-Duo des Independent-Genrekinos zusammengeschlossen: Ihr fünfter gemeinsamer Langfilm, das originell konzipierte Sci-Fi-Drama „Synchronic“, steht dabei in einer Linie mit den schon ähnlich vielschichtigen, philosophisch angehauchten und visuell ambitionierten Benson/Moorhead-Produktionen „Spring – Love Is A Monster“ und „The Endless“.

    Bei ihrer Arbeit am Skript zu „Synchronic“ hatte das Duo die Motivation, gegen den rosaroten Blick auf die Vergangenheit in Robert Zemeckis' populärem Zeitreise-Klassiker „Zurück in die Zukunft“ aufzubegehren: „Dort ist die alte Zeit immer spaßig und irgendwie romantisch verklärt. Alle waren happy und hatten einen hohen Lebensstandard. In der Realität traf das natürlich längst nicht zu“, gab Benson etwa in einem Interview mit dem Austin Chronicle anlässlich der US-Premiere zu Protokoll. „Wer nicht exakt wie Michael J. Fox aussieht, für den wären die 1950er auch längst nicht so eine tolle Ära, um dort mal hinzureisen…“ Aber das ist nicht das einzige Zeitreiseklischee, das Benson und Moorhead mit „Synchronic“ überzeugend auf den Kopf stellen.

    Die Helden von "Synchronic".

    Die besten Freunde Steve (Anthony Mackie) und Dennis (Jamie Dornan) arbeiten als Notfallsanitäter in New Orleans – und zu dem extrem belastenden Job kommen auch noch private Probleme: Bei dem von einem One-Night-Stand zum nächsten springenden Steve wurde kürzlich ein tödlicher Hirntumor diagnostiziert, während Dennis Ärger mit seiner schwangeren Frau Tara (Katie Aselton) und seiner rebellierenden Teenagertochter Brianna (Ally Ioannides) hat. Ausgerechnet da erschüttert eine neue Designerdroge namens Synchronic die Stadt und fordert immer mehr, teilweise grausam zugerichtete Opfer.

    Manche der Leichen sind komplett verbrannt, andere von historischen Schwertern durchbohrt oder von längst ausgestorben geglaubten Schlangen gebissen worden. Steve will die sich in Richtung einer Epidemie ausweitende Situation nicht einfach hinnehmen. Er macht den Shop ausfindig, der die Pillen anbietet, und kauft den kompletten Bestand auf. Als er von Dennis erfährt, dass sein Patenkind Brianna ebenfalls Synchronic konsumiert habe und nun spurlos verschwunden sei, schwört er sich, das Mädchen wiederzufinden – koste es, was es wolle. In seiner Verzweiflung wirft er selbst eine der Tabletten ein – und reist so in der Zeit zurück…

    Mit Zeitreisen ist das eben so eine Sache…

    Wer allzu viel über die erzählerische Logik von „Synchronic“ nachdenkt (speziell was den Zeitreise-Aspekt angeht), wird wahrscheinlich wenig Freude an der Sache haben. Denn eine Reihe von Ungereimtheiten und Widersprüchen tut sich im Laufe der 96 Minuten Laufzeit schon auf. Ist man aber bereit, sich vorbehaltlos auf diesen ebenso wilden wie stylishen Genre-Mix aus Neo-Noir, Thriller, Buddy-Movie, Sci-Fi-Drama und Sozialstudie samt einiger schwarzhumoriger Einschübe einzulassen, dann macht der Kino-Trip richtig Spaß und regt dazu noch zum Nachdenken an.

    Der Film lebt neben seinen beiden Hauptdarstellern samt ihrer glaubhaften Beste-Kumpel-Chemie vor allem von der einmaligen und einmalig eingefangenen Kulisse von New Orleans, die stark auf die intensive Atmosphäre des Films einzahlt und vornehmlich abseits der üblichen Standard-Schauplätze beleuchtet wird. Es fällt nämlich angenehm auf, dass es hier zur Abwechslung mal keine Mardi-Gras-Szenen, keinen verräucherten Blues-Club und nur eine ganz kleine Voodoo-Anspielung gibt. Die Action von „Synchronic“ steigt dankenswerterweise auch nicht hauptsächlich im French Quarter oder zwischen den Grabstätten und Mausoleen des Lafayette Cemetery No. 1. Was nicht heißt, dass nicht doch jeweils einige kurze Einstellungen an den spätestens durch Werke wie „The Big Easy“ und „Interview mit einem Vampir“ zu Kino-Monumenten aufgestiegenen Locations spielen.

    Erinnerungen an Scorsese

    Zu Beginn der Story, als wir die von „Fifty Shades Of Grey“-Beau Jamie Dornan und „Avengers 4“-Star Anthony Mackie verkörperten Kumpels gerade erst kennenlernen, kommen dank einiger flapsiger Dialoge und grotesker Situationen schnell Erinnerungen an Martin Scorseses Krankenwagen-Noir „Bringing Out The Dead“ auf. Doch die erschöpften, angesichts des sie jeden Tag erwartenden Chaos deprimierten Kollegen fangen in „Synchronic“ nicht wie damals Nicolas Cage an, langsam dem Wahnsinn anheimzufallen. Dafür hat zumindest der krebskranke Steve auch gar keine Zeit. Denn während die zynischen, desinteressierten Polizisten der Stadt keinen Finger zu viel krumm machen, setzt er alles aufs Spiel, um seinem Freund Dennis zumindest die Chance zu geben, sein Familienglück zu retten.

    Mackie, der oft allein (oder in Gesellschaft seines sehr süßen Hundes) auf der Leinwand zu sehen ist, kommt durchgehend authentisch rüber. Seine Augen und sein bis in die Fußspitzen angespannter Körper vermitteln eine Dringlichkeit, die der kurios anmutenden, aber oft todernsten Situation gerecht werden. Als er sich entschließt, die Droge in einer Reihe fast wissenschaftlich durchgeführter Selbstversuche auszuprobieren, um herauszufinden, wie sie denn nun tatsächlich funktioniert, kann er sich so der vollen Aufmerksamkeit (und Sympathien) des Publikums sicher sein.

    Ästhetische Ausflüge in die Vergangenheit

    Es verschlägt ihn dabei unter anderem für jeweils sieben Minuten – so lang hält eine Dosis an! – in die Tage der Konquistadoren, in die Eiszeit und den Amerikanischen Bürgerkrieg, inklusive der enormen Gefahren, die all die Szenarien bereithalten. Trotz des einmal mehr nicht exorbitant hohen Budgets, das den Machern zur Realisierung zur Verfügung stand, sehen diese Momente dennoch allesamt überzeugend aus. Dazu sind sie dank Moorheads immer starker Kameraarbeit und sparsam eingesetzten Spezialeffekten wunderbar ästhetisch ins Bild gesetzt. Eine mitten im Bayou spielende Szene etwa wirkt mit ihrem vom Schatten der Bäume gedämpften und vom Wasser reflektierten, gelblich-grün schimmernden Gegenlicht zunächst fast wie ein Gemälde. Erst durch flotte Kameraschwenks sowie das Herannahen eines Krokodils wird die Szene doch plötzlich erschreckend greifbar und real.

    Es ist spannend (und macht ein wenig Angst!), mit dem ab einem gewissen Punkt klar zum alleinigen Protagonisten der Geschichte avancierenden Steve die diversen Orte zu besuchen und mit ihm die Wirkung der Droge beziehungsweise ein ihm wie uns unbekanntes Zeit-und-Raum-Konzept zu erforschen, sowie sich vorzustellen, das alles selbst zu erleben. Dabei stellen Benson und Moorhead – wie schon in ihren durch die Bank empfehlenswerten Vorgängern – auf subtile Art immer wieder weit über den Handlungsrahmen hinausgehende, philosophische Fragen. Die sind dann auch der eigentliche Grund dafür, dass der Film nach seinem vielleicht etwas kitschig geratenen, aber clever vorbereiteten Finale sehr viel länger im Kopf des Zuschauers nachhallen wird als die allermeisten Hollywood-Sci-Fi-Kracher mit ihren Blockbuster-Budgets.

    Fazit: Rätselhaft, berührend und visuell beeindruckend! Benson & Moorhead gelingt es ein weiteres Mal, mit ihren starken Ideen und einem sicheren Auge erstaunlich viel aus wenig Geld herauszuholen. Ihr Sci-Fi-Drama lässt das Publikum erst eineinhalb Stunden lang mitfiebern und dann noch einige Tage lang über das Gesehene nachdenken. Selbst wenn die Zeitreiselogik in „Synchronic“ nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt: So geht gutes Mystery-Kino!

    Wir haben den Film bei den Fantasy Filmfest White Nights gesehen.

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