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    Apollo 11
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Apollo 11

    Ein atemberaubendes Doku-Meisterwerk!

    Von Carsten Baumgardt

    Der 20. Juli 1969 ist eine der größten Sternstunden der Menschheitsgeschichte. Um 20.17 Uhr (Greenwich Mean Time) setzte der Astronaut Neil Armstrong als erster Mensch einen Fuß auf den Mond, wobei er die unsterblichen Worte „One small step for man, one giant leap for mankind“ sprach. Dieses historische Ereignis schien dabei eigentlich schon aus allen erdenklichen Perspektiven in Büchern, TV-Beiträgen und Filmen beleuchtet worden zu sein – und doch findet Regisseur Todd Douglas Miller („Dinosaur 13“) in seiner kühnen Dokumentation „Apollo 11“ einen unverbraucht-spektakulären Ansatz, um dem Jahrhundertereignis trotzdem noch etwas völlig Neues abzugewinnen. Miller wühlte sich im Vorfeld durch 11.000 Stunden unveröffentlichtes Audiomaterial und hunderte Stunden Videos aus den NASA-Archiven. Anschließend montierte er das teilweise unveröffentlichte, atemberaubend restaurierte 65- und 70-Millimeter-Filmmaterial ganz ohne klassischen, erklärenden Off-Kommentar, um die Apollo-11-Mission ganz für sich wirken zu lassen.

    Für Raumfahrt-Fans ist „Apollo 11“ nicht weniger als eine Offenbarung und genau der Film, den Damien Chazelle mit seiner technisch brillanten, aber erzählerisch knorrigen Neil-Armstrong-Biografie „Aufbruch zum Mond“ der Space-Gemeinde noch (bewusst) vorenthalten hat. Wo man in Chazelles Drama zwar ansatzweise die dynamische Physik einer Mondlandung, aber wenig von der Mission selbst mitbekam, weil der Regisseur stattdessen vor allem mit dem Charakterporträt von Neil Armstrong beschäftigt war, schließt „Apollo 11“ nun diese Lücke. Diese phänomenal atmosphärische Doku mit ihren majestätisch-authentischen Bildern vermittelt den Eindruck, 1969 direkt an der Startrampe gestanden und später mit im Raumschiff gesessen zu haben. In 93 elektrisierende Minuten geht es um Raumfahrt in ihrer pursten Form.

    Als wäre man selbst dabei gewesen!

    Ein sehr beliebtes - und genauso umstrittenes - Mittel in Dokumentationen sind die sogenannten „Talking Heads“, also die sprechenden Köpfe von Experten und Zeitzeugen, die mit einem angemessenen zeitlichen Abstand über Ereignisse der Vergangenheit reflektieren. Das ist in der Regel zwar sehr effektiv, aber filmisch wenig einfallsreich. Todd Douglas Miller tritt mit „Apollo 11“ den exakt entgegengesetzten Weg an: Warum soll man 50 Jahre nach der Mondlandung die Geschichte der Apollo-11-Mission auch zum x-ten Mal in der herkömmlichen Version erzählen? Das Faszinierende am Stil dieser Doku ist der Live-Reportagen-Charakter. Man glaubt sich inmitten der Zuschauer von Cape Canaveral in Florida, wo Tausende von Schaulistigen auf den Start warten. Die farbecht restaurierten Bilder wirken so frisch und vital, dass man nur anhand der 60ties-Kleidung merkt, 50 Jahre in der Zeit zurückzureisen. Schon die erste Szene nimmt einen direkt gefangen, wenn die mächtige Saturn-V-Rakete in Cape Canaveral mit einer gigantischen Transportraupe in Zeitlupengeschwindigkeit zur Startrampe 39A gebracht wird.

    Die rote Linie der Erzählung ergibt sich aus der Kommunikation zwischen den Astronauten und Mission Control in Houston, wo der Raumflug überwacht wird. Ab und zu ist aus dem Off die News-Ikone Walter Cronkite mit ruhig-sachlicher Stimmer zu hören, wie er für ein Fernsehpublikum Zusammenhänge erklärt. Dazu dienen rudimentäre, skizzenhafte Schwarz-Weiß-Grafiken zur Verdeutlichung von anstehenden Manövern. Mit seiner Detailfülle und dem Technik-Sprech ist „Apollo 11“ natürlich vor allem für Raumfahrtkenner spannend, aber auch interessierte Laien werden nicht im Regen stehen gelassen. Selbst in Kleinigkeiten ist „Apollo 11“ groß: Immer mal wieder vereinen sich Bild und Ton wundersam und die verknisterten Funksprüche führen - oft im Split-Screen-Modus - lippensynchron zu dem verantwortlichen NASA-Techniker: Das hat etwas unbedingt Befriedigendes, wenn aus den Stimmen plötzlich Gesichter werden. Das Sounddesign von „Apollo 11“ ist ein Ereignis und schon für sich absolut oscarwürdig.

    Letzte Vorbereitungen für eine gefährliche Reise.

    Der kühne Mond-Plan der National Aeronautics and Space Administration (NASA), innerhalb eines Jahrzehnts und unbedingt noch in den 60er Jahren einen Mann auf den Mond zu bringen, war mehr als ambitioniert. Viele sagten sogar, es sei unmöglich, weil die Amerikaner im Wettlauf zum Erdtrabanten weit hinter der russischen Raumfahrt hinterherhinkten. Doch nach dem Anschub durch die berühmte We-Choose-To-Go-To-The-Moon-Rede* des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy bündelte die USA alle Kräfte und die NASA holte sukzessive auf. Und dennoch räumten selbst Experten Apollo 11 mit Kommandant Neil Armstrong, Edwin „Buzz“ Aldrin als Pilot der Mondlandefähre und Michael Collins als Pilot des Kommandomoduls nur eine fünfzigprozentige Chance für das Gelingen der Mission ein. Zu ungewiss waren die Gefahren im unerforschten Weltall, zu wacklig schien die Technik – nur knapp zweieinhalb Jahre nach dem verheerenden Feuerunfall, bei dem die Astronauten Edward H. White, Virgil I. Grissom und Roger B. Chaffee bei einem Routinetest in einer Raumkapsel qualvoll verbrannten, weil die NASA vergessen hatte, eine Rettungsluke einzubauen. Dieser Schock der nachträglich Apollo 1 getauften Mission steckte der NASA auch 1969 noch den Knochen.

    Diese unterschwellige Spannung liegt bei „Apollo 11“ immer in der Luft. Der Film transportiert auf der einen Seite diese unwiderstehliche Mischung aus abgeklärter, kaltschnäuziger Professionalität, Mut und Selbstbewusstsein, mit der die Astronauten und die Heerscharen von Technikern in Mission Control in Houston ans Werk gehen. Aber zugleich eben auch die schiere Anspannung, wenn in heiklen Phasen Menschenleben auf dem Spiel stehen. Als Neil Armstrong sich auf seinen historischen Abstieg mit der Mondlandfähre „Eagle“ macht, hat er einen leicht erhöhten Puls von 110, beim Aufsetzen auf dem Mond sind es 156 Schläge pro Minute – das heißt, eine gewisse Aufregung ist selbst bei dem abgezockten ehemaligen Navy-Kampfpiloten zu spüren, aber bei den meisten anderen Menschen wäre das Herz in dieser Ausnahmesituation wohl vor Panik aus dem Hals gesprungen.

    Landung auf dem Mond.

    Der Moment der Landung ist ein weiterer der vielen Höhepunkte – die Abstiegssequenz bietet die wahrscheinlich spannendsten vier Minuten des Kinojahres 2019, wenn sich die Dynamik immer weiter steigert und irgendwann kaum noch auszuhalten ist. Wenn es entscheidend wird, montiert Miller Countdowns, Geschwindigkeitsanzeigen und Höhenangaben im Bild, um ohne Off-Kommentar Orientierung zu geben. Zudem nutzt er die Bilder von starr montierten Kameras, um das Erlebnis noch unmittelbarer zu machen. Denn Armstrongs und Aldrins Abstieg aus dem Columbia-Raumschiff (wo Michael Collins als einsamster Mann im Weltall auf die beiden wartete) Richtung Mond gerät rauer als geplant und wird von Sekunde zu Sekunde dramatischer, was Miller grandios über den treibenden Score und die immer hektischer werdenden Funksprüche zwischen Astronauten und Mission Control einfängt. Der Treibstoff droht auszugehen, die Alarme 1202 und 1201 blinken lichterloh und die Mission steht kurz vor dem Abbruch, der Tank hat lediglich noch Treibstoff für 16 Sekunden. Natürlich weiß man, wie die Sache ausgeht, aber man hat es noch nie so unmittelbar am eigenen Körper gespürt, wenn Regisseur Miller einen hochspannenden Blick hinter die Kulissen der Historie gewährt und uns so einen völlig neuen Blickwinkel eröffnet.

    Fazit: Eine visuell wie akustisch meisterhafte Rekonstruktion der ersten Mondlandung – von Regisseur Todd Douglas Miller im Stil einer intimen Live-Reportage kongenial montiert. Als Zuschauer glaubt man glatt, diesen 20. Juli 1969 noch einmal direkt und hautnah mitzuerleben.

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