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    Apocalypse Now
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Apocalypse Now
    Von Ulrich Behrens

    „Krieg ist zunächst die Hoffnung, dass man selbst besser abschneidet; als nächstes die Erwartung, dass der andere schlechter dasteht; dann die Genugtuung, dass der andere nicht besser abschneidet; und schließlich die Überraschung, dass alle schlechter dastehen als vorher.“

    (Karl Kraus)

    Einen animalischen Albtraum hat man Francis Ford Coppolas „Apocalypse now“ einmal genannt, eine Reise in das Innere der menschlichen Hölle, in den Urgrund des Bösen in uns. Der Film ist ein Vietnam-Film und er ist keiner. Es gibt kaum einen Krieg, in dem er nicht hätte spielen können. Es gibt kaum eine Zivilisation, in die die Handlung nicht verankert hätte werden können. „Apocalypse now“ ist ein Kriegsfilm und auch keiner. Er lässt eine Ahnung, eine Spur davon zurück, was das, was wir so unzureichend mit dem Wort „Krieg“ zu beschreiben suchen, zwischen Menschen anrichtet – nicht nur im „wirklichen“ Krieg, sondern ebenso in den „zivilisierten“ und „unzivilisierten“ Formen des Krieges in der Zivilgesellschaft und ihrem Alltag.

    „Apocalypse now“ ist ähnlich dem „Paten“ ein breit angelegtes Epos. Während „Der Pate“ (Teile 1 bis 3) jedoch als eine Reise durch die Verzweigungen einer Familie und einer mafiösen Sozialstruktur konzipiert ist und eine vertikale (historische) wie horizontale (Sozialgeflecht) Dimension sich die Waage halten, scheint in „Apocalypse now“ die Zeit still zu stehen. Obwohl wie ein Reisebericht konstruiert, den uns mit verhaltener Stimme Captain Willard (Martin Sheen) vorliest, wirkt diese Reise mit dem Patrouillenboot zu Colonel Kurtz (Marlon Brando) wie eine Bestandsaufnahme eines Zustands, eines seelischen, brutalen, skrupellosen, erbärmlichen Status Quo. Und hier treffen sich beide Epen. Denn am Schluss des „Paten“ wie am Ende von „Apocalypse now“ schließt sich ein Kreis am selben Punkt, an dem die Reise begann. Den Figuren hinterlassen diese Reisen kaum eine Spur von Hoffnung. Die Epen enden, wo sie begannen. Die Apokalypse nimmt keinen Anfang und kein Ende, sie währt, sie dauert. Coppola erweist sich an diesem Punkt als Pessimist, auch wenn man nicht weiß, was die Überlebenden in beiden filmischen Meisterwerken mit ihrem Leben und vor dem Hintergrund der Geschichte ihrer Familie, ihres Landes, ihrer Freunde usw., in der rückschauenden Betrachtung, anfangen werden. Sicher, es gibt in beiden Epen zarte, vage Hinweise, Andeutungen – mehr allerdings auch nicht.

    Den Auftrag, den Willard von General Corman (G. D. Spradlin) und Colonel Lucas (Harrison Ford) erhält, kommentiert er mit den Worten: „Ich wollte eine Mission, und all meiner Sünden wegen gaben sie mir eine.“ Willard soll mit einem Patrouillenboot die Flüsse hinauf zur kambodschanischen Grenze, um den für verrückt erklärten, hoch dekorierten, aber abtrünnigen Colonel Kurtz zu liquidieren. Die Akte über Kurtz nimmt Willard mit. Nach und nach informiert er sich über diesen Mann, den das Grauen des Krieges offenbar zu einem Psychopathen werden ließ. Willards Crew, gegenüber der der Auftrag lange Zeit geheimgehalten bleibt, besteht aus dem afroamerikanischen Steuermann Chief (Albert Hall), einem ehemaligen Taxifahrer, der das Boot nicht nur sicher durch die Flüsse lenken, sondern auch auf seine drogensüchtigen Kameraden aufpassen muss, nämlich Chef (Frederic Forrest), einen ehemaligen Gourmet-Koch, den jungen Clean (Laurence Fishburne), einen Teenager aus der Bronx, und Lance (Sam Bottoms), einen Sonnyboy aus Kalifornien. Ihre erste Station ist ein Kampfgebiet, in dem Colonel Kilgore (Robert Duvall) die Befehle gibt. Als der erfährt, dass Lance auch Surfer ist, lässt er ihn und andere während des Angriffs auf ein vietnamesisches Dorf nach der Landung dort in den hohen Wellen surfen. Der Angriff selbst, von Hubschraubern aus, wird auf Kilgores Geheiß mit Wagners Walkürenritt musikalisch untermalt. Kilgore liebt den Geruch von Napalm, sagt er, und erweist sich als ebenso psychopathischer Offizier, wie man es von Kurtz berichtet.

    Auch die nächste Station Willards ist eine Station auf einem Weg des Grauens. Mitten im Urwald feiern US-Einheiten zur Musik der Rolling Stones („I can't get no satisfaction“) eine Show mit dancing girls. Das „amerikanische Lebensgefühl“ soll in der Hölle reproduziert werden. Auf ihrer Weiterfahrt knallen sie sinnlos eine ganze vietnamesische Familie auf einem Boot ab. Willard selbst gibt der einzigen überlebenden Frau den Rest, weil er kein Risiko eingehen will, dass die Nordvietnamesen oder der Vietcong ihn an der Erfüllung seines Auftrags hindern. Clean stirbt bei einem Angriff. Sie landen bei einer französischen Einheit, deren Mitglieder, Soldaten wie Zivilisten, auf wundersame Weise an einem versteckten Platz im Dschungel ihre „Heimat“ errichtet haben, wie sie es nennen. Clean wird begraben. In einer langen, erregten Debatte zwischen den Franzosen und Willard, der allerdings fast nur zuhört, kommt es zum Streit. Die schöne Roxanne (Aurore Clément) verführt Willard. Dem „verlorenen Soldaten“ erklärt sie: „Zwei Seelen wohnen in dir, eine die tötet und eine die liebt.“ Ein Speer tötet Chief. Wenig später treffen Willard, Lance und Chef auf einen völlig durchgeknallten Fotojournalisten (Dennis Hopper), der von Kurtz schwärmt wie ein Irrer von einen anderen. Kurtz weiß längst, warum Willard zu ihm geschickt wurde. „Sie sind ein Laufbursche, von Kolonialwarenhändlern geschickt, um die Rechnung vorzulegen.“ Kurtz lebt in einer Gesellschaft des Todes. Überall Leichen, aufgespießte Köpfe. Die Gewalt beherrscht eine Gesellschaft, in der die Vietnamesen sich mit weiß gemalten Gesichtern wie ihre Vorfahren bewegen. Willard scheint keine Chance zu haben, diesen Ort der Welt jemals wieder verlassen zu können, zumal Kurtz Chef den Kopf abgeschlagen und diesen Willard zwischen die Beine geworfen hat ...

    Willard ist letztlich die Hauptfigur in dieser apokalyptischen Fahrt durch die Hölle. Er, längst heimatlos geworden, in seinen Gedanken versunken, auf eine zutiefst erschreckende Weise hilflos, ohnmächtig und verloren und dadurch zugleich immer noch gefährlich und unberechenbar. Als er sieht, dass auf dem Boot eine Vietnamesin noch lebt, nach dem Massaker, die nichts weiter versteckt hielt als einen Welpen, knallt er sie ab. Er beweist das, was ihm Kurtz wenig später in seinem langem Monolog, im Halbschatten, halb im Dunkeln, halb im Licht, zu erklären versucht, ohne es erklären zu können, weil es nichts zu erklären gibt: „Das Grauen. Das Grauen hat ein Gesicht. Und man muss sich das Grauen zum Freund machen. Das Grauen und der moralische Terror sind deine Freunde. Falls es nicht so ist, sind sie deine gefürchteten Feinde“ (der Monolog ist unten vollständig wiedergegeben [1]).

    Willard fährt zu den Quellen des Horrors, des Wahnsinns, der dunklen Seite seiner Seele und der dunklen Seite der Zivilisation. Er sieht, wie Soldaten angesichts des überwältigenden Horrors, zu dem sie selbst maßgeblich beitragen, verzweifelt und ohne irgendeine Chance auf Erfolg eine Normalität des Zu-Hause-Seins inszenieren wollen, wie sie eine Show veranstalten, Willard und seinen Leuten bereitwillige Mädchen zur Verfügung stellen. Er sieht aber auch – als wenn es ein Albtraum im Albtraum wäre – eine Insel der vorherigen Kolonialmacht Frankreich, eine Truppe Heimatloser, die weder weggehen, noch wirklich da bleiben können, die sich einbilden, ein Zuhause in der Verlorenheit errichten zu können, die mit ihrer Vergangenheit nicht fertig werden und sehen, wie ihre Nachfolger, die Amerikaner den gleichen Kreislauf durchlaufen wie sie selbst, nur noch brutaler. Das Lager von Kurtz ist der Höhepunkt der apokalyptischen Vision, die zur Realität geworden ist. Schon der Speer, der Chief tötet, deutet den Rückbezug auf eine Barbarei an, die nichts anderes war als der Beginn der Zivilisation. Ganz anders und doch ähnlich wie Kubrick in der Anfangssequenz von „2001: A Space Odyssey“, „entdecken“ wir und Willard hier die Ursprünge einer Kultur, die das Werkzeug als verlängerten Arm erfand und damit direkt einhergehend als Waffe gegen sich selbst, gegen die eigene Spezies. Die Vietnamesen haben ihre Kleidung, ihre Uniformen abgelegt, sich angemalt wie ihre Vorfahren. „This is the end, my friend“, singen die „Doors“. Das Ende und der Anfang zugleich.

    Die gespenstische Stille im Dschungel, der nicht mehr für sich selbst, sondern für den Dschungel des Lebens steht, in dem Kurtz seine letzten Tage verbringt, drückt die Perversion dessen aus, was Zivilisation ausmacht. Nicht die Menschenrechte, irgendein humaner Forschritt oder dergleichen herrschen hier, sondern der Krieg gegen den Krieg, den Kurtz mit aller Brutalität führt. Die Zivilisation wendet sich gegen sich selbst und erfüllt doch zugleich ihr ureigenes Anliegen: die Herrschaft des Menschen über den Menschen, über die Natur, über das Dasein. Willard ist Augenzeuge, Täter und Opfer zugleich. Er tötet Kurtz wie die Vietnamesen den Ochsen in einer Opferzeremonie, mit einer Machete. Der Mythos des (religiösen) Opfers aber verkommt zum Eingeständnis der völligen Unterordnung unter die Regeln der kriegerischen Gesellschaft, als die sich die Zivilisation letztlich erweist. Aus dem Kult der Vorfahren wird der Kult des Todes. „Apocalypse Now Redux“ besticht noch mehr als die ursprüngliche Fassung durch seine kompromisslose Darstellung dieses Gangs durch die Hölle. Die zivilisationskritische Tendenz des Films schätze ich ebenso hoch ein wie die von Kubricks „2001: A Space Odyssey“. Die zusätzlichen 49 Minuten passen sich meinem Gefühl nach nahtlos in die ursprüngliche Fassung ein, vertiefen die Aussage des Films. Coppola schuf damit neben dem „Paten“ ein weiteres Meisterwerk der Filmgeschichte

    Anhang

    [1] Kurtz Monolog: „Das Grauen. Das Grauen hat ein Gesicht. Und man muss sich das Grauen zum Freund machen. Das Grauen und der moralische Terror sind deine Freunde. Falls es nicht so ist, sind sie deine gefürchteten Feinde. Als ich bei den Green Berets war...

    Wir gingen in ein Lager, um einige Kinder zu impfen. Wir verließen das Lager, nachdem wir die Kinder gegen Polio geimpft hatten. Da kam ein alter Mann hinter uns hergelaufen, und er weinte ... Wir gingen in das Lager zurück. Sie waren inzwischen gekommen und hatten jeden geimpften Arm einfach abgehackt. Sie lagen auf einem Haufen ... Und ich erinnere mich, wie ich schrie, ich weinte wie ein altes Waschweib. Ich wollte mir die Zähne herausreißen, wusste nicht mehr, was ich tun wollte. Und ich will mich daran erinnern. Ich will es niemals vergessen. Ich will niemals vergessen.

    Und dann war mir, als würde ich durchbohrt, durchbohrt von einer diamantenen Kugel, direkt durch die Stirn. Und ich dachte, mein Gott, diese Schöpferkraft, dieses Genie dieser Wille, das zu vollbringen. Vollkommen, unverfälscht, vollendet, kristallen, makellos. Und dann wurde mir klar, dass sie viel stärker als wir waren. Weil sie alles ertragen konnten. Das waren keine Ungeheuer, geschulte Einheiten. Diese Männer, die mit ihrem Herzen kämpften, die Familien haben, Kinder, die erfüllt sind von Liebe. Dass sie die Kraft haben, die Kraft, das zu vollbringen. Wenn ich aus solchen Leuten bestehend zehn Divisionen hätte, dann wären wir unsere Sorgen hier rasch los. Denn dazu gehören Männer, die Überzeugungen haben. Und die dennoch imstande sind, ohne Hemmungen, ihre ursprünglichen Instinkte einzusetzen, um zu töten. Ohne Gefühl, ohne Leidenschaft. Vor allem ohne Strafgericht, ohne Strafgericht. Denn es ist das Strafgericht, was uns besiegt.

    Mich beunruhigt der Gedanke, dass mein Sohn vielleicht nicht verstehen wird, worum es mir wirklich ging. Und falls ich getötet werden sollte, Willard, möchte ich, dass jemand zu mir nach Hause geht und es meinem Sohn erzählt. Alles. Alles, was ich getan habe. Alles, was sie gesehen haben. Denn es gibt nichts, was ich mehr verabscheue als den Gestank von Lügen. Und wenn Sie mich verstehen, Willard, werden sie das für mich tun.“

    [2] Interessant in diesem Kontext ist das Buch des englischen Filmpublizisten Peter Cowie: „'The Apocalypse Now' Book, Faber and Faber, London 2001, das die Produktions- und Wirkungsgeschichte des Films aufarbeitet.

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