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    Gunpowder Milkshake
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Gunpowder Milkshake

    Ein völlig abgedrehtes Popkultur-Püree

    Von Christoph Petersen

    Der ultranihilistische, dunkelschwarzhumorige Selbstjustiz-Thriller „Big Bad Wolves“ wurde 2013 von niemand Geringerem als Quentin Tarantino persönlich zum besten Film des Jahres gekürt – ein Lob, das der US-Verleih der israelischen Produktion ganz besonders fett aufs Poster drucken ließ. Mit diesen Lorbeeren im Gepäck wollte der inzwischen in Berlin lebende Regisseur Navot Papushado anschließend in Hollywood Fuß fassen – aber gleich mehrere Projekte wie etwa ein US-Remake von Johnnie Tos Rache-Noir „Vengeance“ kamen einfach nicht so recht in Gang.

    Also beschlossen Papushado und sein Co-Autor Ehud Lavski, sich die Wartezeit mit Schreiben zu verkürzen – und zwar mit einem Drehbuch, in dem sie nur ihre verrücktesten Ideen verarbeiten würden. Das Ergebnis ist die popkulturell aufgeladene Profikiller-Action-Komödie „Gunpowder Milkshake“ – und ironischerweise war es am Ende genau das Skript, das eigentlich gar nicht zwingend verfilmt werden sollte, das als erstes in die Produktion ging. Dem fertigen Film merkt man seinen ungewöhnlichen Ursprung übrigens jederzeit an – und zwar im Guten wie im Schlechten.

    Sam (Karen Gillan) steckt echt tief in der Scheiße ...

    Wie ihre bereits vor 15 Jahren untergetauchte Mutter Scarlet (Lena Headey) arbeitet auch Sam (Karen Gillan) als Auftragsmörderin für eine mysteriöse Vereinigung namens „Die Firma“. Aber ihre eiskalte Professionalität endet, als ihre Arbeit das Leben der achtjährigen Emily (Chloe Coleman) gefährdet. Plötzlich sind sowohl ihr alter Auftraggeber Nathan (Paul Giamatti) als auch ein verfeindetes Verbrechersyndikat hinter ihr her.

    In dieser scheinbar ausweglosen Lage bleibt Emily nur noch ein mögliches Versteck, nämlich die von Madeleine (Carla Gugino), Florence (Michelle Yeoh) und Anna May (Angela Bassett) betriebene Bibliothek, die zwar aussieht wie eine altehrwürdige Kultureinrichtung, aber in Wahrheit als Waffendepot für Profikiller*innen dient. Allerdings sind die drei Ex-Partnerinnen von Sams Mutter noch immer stinksauer, dass Scarlet auch sie damals ohne ein Wort des Abschieds zurückgelassen hat…

    Berlin als Popkultur-Märchenland

    „Gunpowder Milkshake“ wurde zwar größtenteils in Berlin gedreht, spielt aber in einer popkulturellen Kunstwelt, die fast ausschließlich aus hochgradig stilisierten Standard-Sets der Genrefilmgeschichte besteht – vom Noir-artigen Hotelzimmer über eine nächtliche Bowlingbahn und eine betont sterile Krankenstation bis hin zum American Diner, dem bereits Quentin Tarantino in der Auftaktszene von „Pulp Fiction“ das ultimative cineastische Denkmal setzte. Dazu kommen massenhaft Anime-Einflüsse samt Panda-Koffer, hinter dem hier alle her sind.

    Karen Gillan („Jumanji“) trägt dabei zunächst noch Trenchcoat und Schlapphut, als würde sie an der Seite von Noir-Privatdetektiv Philip Marlowe ermitteln – und ihr später übergestreiftes Bowling-Trikot erinnert sicher auch nicht von ungefähr an Ryan Goslings Skorpion-Jacke aus „Drive“ (der ja selbst schon ein einziger Retro-Trip war). Währenddessen jongliert Komponist Haim Frank Ilfman („Ghost Stories“) in seinem verspielten Score mit deutlich hörbaren Italowestern-Einflüssen herum – und fertig ist das Popkultur-Püree, bei dem wirklich kaum eine denkbare Zutat ausgespart wurde.

    ... aber zum Glück kann sie auf die Bibliothekarinnen-Freundinnen ihrer verschwundenen Mutter zählen.

    Passt das alles zusammen? Nicht unbedingt. Kann man damit trotzdem Spaß haben? Auf jeden Fall. Das liegt zum einen an der ungebremsten Spiellaune von Karen Gillan und Chloe Coleman, die schon ihren „Der Spion von nebenan“-Co-Star Dave Bautista in Grund und Boden gespielt hat. Dazu kommt die geballte Leinwand-Gravitas des Kult-Quartetts Lena Headey („Game Of Thrones“), Carla Gugino („Watchmen“), Michelle Yeoh („Tiger & Dragon“) und Angela Bassett („Black Panther“). Schon ein bisschen schade, dass die alte Garde erst so spät zum Einsatz kommt – da ist sofort so eine jahrzehntelange Verbundenheit zu spüren, aus der man sicherlich noch mehr hätte rausholen können.

    Aber dafür gibt es auf Sams Weg in die Bibliothek einige wunderbar abwechslungsreiche Action-Einlagen. Während eine 1-gegen-3-Schlägerei im Bowlingcenter noch mit ihrer gradlinigen Härte überrascht, bleibt dabei vor allem eine Auseinandersetzung in der Krankenstation im Gedächtnis hängen: Weil Sams betäubte Arme reglos an ihrem Körper runterhängen, befestigt sie ein Messer und eine Pistole mit Panzertape an ihren Händen. Und da auch ihre Widersacher in einem vorherigen Fight schon reichlich was abbekommen haben, ziehen diese mit Handicaps wie Rollstuhl oder Krücken in die Schlacht. Zusätzlich wird die Invaliden-Prügelei dann auch noch mit reichlich erheiterndem Lachgas angeheizt. Wie gesagt: Die Genrefans Papushado und Lavski haben einfach ungefiltert jede verrückte Idee aufgeschrieben, die ihnen in den Sinn gekommen ist…

    Fazit: Eine feministisch angehauchte Popkultur-Melange irgendwo zwischen Quentin Tarantino und „John Wick“, deren Einzelteile klar besser sind als die Erzählung im Ganzen. Aber Laune macht „Gunpowder Milkshake“ dank der abgefahrenen Action-Setpieces, dem knalligen Soundtrack und den durch die Bank hervorragend aufgelegten Schauspielerinnen trotzdem.

    Wir haben „Gunpowder Milkshake“ auf dem Fantasy Filmfest gesehen, wo er als Eröffnungsfilm gezeigt wurde.

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