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    Freaks - Du bist eine von uns
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Freaks - Du bist eine von uns

    Die drei Superhelden von der Tanke

    Von Daniel Fabian

    „Eine Imbissverkäuferin, ein Nerd und ein Obdachloser treffen sich auf einem Parkplatz...“ Was wie der Einstieg in einen (vermutlich nicht sehr guten) Witz klingt, ist in Wahrheit das entscheidende Ereignis, das die Handlung der deutschen Netflix-Produktion „Freaks – Du bist eine von uns“ überhaupt erst in Gang setzt. Während der Trailer vor allem auf Humor setzt, ist der Film jedoch weder eine traditionelle Komödie noch ein klassischer Superheldenfilm.

    Stattdessen entpuppt sich „Freaks“ in erster Linie als Charakter-Drama – nur eben mit übermenschlich begabten Charakteren, die zudem mit knackigen Onelinern und popkulturellen Anspielungen um sich werfen. „Club der roten Bänder“-Regisseur Felix Binder erfindet das Rad dabei zwar nicht neu, aber das Ergebnis ist dennoch über weite Strecken kurzweilig und charmant geraten – und macht am Ende sogar Lust auf mehr...

    Der typische Superhelden-Job als Aushilfe in der Tankstellen-Kürche.

    Das Geld von ihrem Job im Tankstellenimbiss reicht für die junge Mutter Wendy (Cornelia Gröschel) und ihre kleine Familie kaum zum Überleben. Auch ihr Mann Lars (Frederic Linkemann) verdient nicht die Welt, sodass es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sie ihr Haus verlieren. Als ihre Chefin (Gisa Flake) sie mal wieder auf die Palme treibt, kochen in Wendy ungeahnte Aggressionen hoch, die sie wenig später an ein paar Betrunkenen auf dem Parkplatz der Tanke auslässt.

    Die haben sie immerhin gerade belästigt und es deshalb auch verdient. Von sich selbst und ihrer Kraft geschockt, schleudert sie die Männer dabei meterweit durch die Luft. Aber wie kann sowas sein? Der offenbar unverwundbare Obdachlose Marek (Wotan Wilke Möhring), dem Wendy auf dem Parkplatz regelmäßig Essensreste aus der Küche zuschiebt, scheint mehr über sie zu wissen – und auch ihr Kollege Elmar (Tim Oliver Schultz) verfügt offenbar über ungeahnte Fähigkeiten...

    Die Welt retten? Erst mal die Miete bezahlen!

    Mit der Idee, Leute wie du und ich mit Superkräften zu versehen, gewinnt Autor Marc O. Seng zwar – im Gegensatz zu seiner Arbeit an „Dark“ – sicher keinen Originalitätspreis mehr, dafür haben wir das in den vergangenen Jahren schon zu oft gesehen. Aber „Freaks“ hebt sich trotz des generischen Comic-Posters dennoch angenehm vom Marvel/DC-Blockbuster-Genre ab. Es ist einfach mal was anderes, wenn am Ende eines Superhelden-Spektakels mal nicht eine ganze Großstadt in Schutt und Asche gelegt wird (natürlich nur, um die Welt zu retten). In „Freaks“ geht es stattdessen um das „Umparken“ von falsch abgestellten Autos, das Verbiegen von Küchenblechen und das einhändige In-die-Luft-Halten von bösartigen Chefs.

    Aber das ist ja auch nur logisch, schließlich geht es ja auch nicht um einen milliardenschweren Playboy-Philanthropen, sondern um ganz normale Durchschnittsbürger, die ihr letztes Hemd geben, damit sie sich ihre Miete überhaupt noch leisten können. Bis auf ein paar abgefeuerte Blitze und Kerle, die quer über den Parkplatz katapultiert werden, passiert die meiste Action außerhalb des Bildausschnitts – bevor die Kamera dann zumindest noch auf das Ergebnis schwenkt (wie etwa die Kinderfahrräder, die Wendy verbogen hat, weil ihre Besitzer ihren Sohn drangsalieren). Dass hinter diesen Auslassungen mitunter eher budgetäre als kreative Gründe gesteckt haben dürften, ist dabei gar nicht weiter schlimm. Denn auch wenn Wendy, Elmar und Marek über übermenschliche Fähigkeiten verfügen, geht es in erster Linie eben um ihre menschliche Seite.

    Während Wendy noch mit ihren neuen Kräften hadert, hat sich Elmar bereits den passenden Umhang zugelegt.

    Dass Wendy von Anfang an die Sympathien des Publikums zufliegen, liegt nicht nur an der Rolle der sich abrackernden Mutter, die selbst den miesesten Job unter einer sadistischen Chefin in Kauf nimmt, um ihrem Sohn seinen Batman-Pyjama kaufen zu können. Sondern vor allem auch an „Tatort“-Kommissarin Cornelia Gröschel, die als mit sich selbst ringende und zu sich selbst findende Wendy trotz der plötzlichen Superkräfte immer bodenständig und authentisch bleibt.

    Etwas schwerer hat es da Tim Oliver Schultz, der als von seinen Eltern nie richtig verstandener Elmar eine noch deutlich krassere Wandlung durchmacht. Allerdings wirkt diese doch sehr an den Haaren herbeigezogen und erzwungen, weshalb man ihm den Part auch nie wirklich abkauft – selbst wenn der „Club der roten Bänder“-Star sichtlich Spaß an seiner Rolle hatte, der auch auf den Zuschauer überspringt. Im Gegensatz zu den meisten Netflix-Filmen, die in der Regel (viel) zu lang geraten, hätten dem verhältnismäßig knackig-kurzen „Freaks“ (Laufzeit: 93 Minuten) ein paar weitere Charaktermomente gerade für Elmar doch gutgetan.

    Jede Menge Easter Eggs – und richtig gute Mucke!

    Der im Großen und Ganzen doch ziemlich düstere „Freaks“ macht in einigen Szenen aber auch ordentlich Laune: Irgendwo zwischen Mash-up und Hommage steckt der Film nämlich voller mal gut versteckter, mal offensichtlicher Anspielungen auf Film und Fernsehen – von der jungen Wendy, die als vermeintlich unschuldiges kleines Mädchen mit tödlichen Kräften an Eleven aus „Stranger Things“ erinnert, über den legendären Wilhelm Scream bis hin zu dem Hinweis, dass Wendy Antworten auf ihre Fragen bekäme, wenn sie nur „immer der Meerjungfrau folgen“ würde („Matrix“ lässt grüßen).

    Außerdem gibt es ähnlich wie bei Chris Pratts Star-Lord in „Guardians Of The Galaxy“, der mit seinem Walkman selbst den Soundtrack zum Film liefert, auch in „Freaks“ jede Menge Klassiker auf die Ohren – und zwar von Wendys Discman. Allseits bekannte 80er-Hits wie Roxettes „Listen To Your Heart“ oder Cutting Crews „I Just Died In Your Arms Tonight“ sind zwar nicht ganz so kreativ wie die Musikauswahl von „Guardians“-Mastermind James Gunn, machen aber trotzdem sehr gut Stimmung.

    Fazit: „Freaks“ ist kein Superheldenfilm im Marvel-Stil, sondern vor allem ein (über-)menschliches Drama, das mit seinen zahlreichen Anspielungen zudem eine nerdige Easter-Egg-Suche für Filmfans bereithält. Innovativ ist das zwar nicht immer, Laune macht’s aber trotzdem – nicht zuletzt dank Cornelia Gröschel, der man einfach gerne zusieht, wie sie als Wendy den Alltag meistert.

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