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    Darlin'
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Darlin'

    The Woman is back

    Von Lutz Granert

    Mit seinem Debütroman „Beutezeit“ um einen kannibalischen Familienclan, der an der Ostküste des US-Bundesstaats Maine auf Menschenjagd geht, sorgte US-Autor Jack Ketchum 1979 für großes Aufsehen. Wegen drastischer Beschreibungen von Gewaltszenen zunächst nur in einer zensierten Version veröffentlicht, avancierte sein Horrorthriller zum Bestseller, erwarb Kultstatus und zog zwei Fortsetzungen nach sich. Der 1991 veröffentlichte „Beutegier“ handelt von Vermisstenfällen und Angriffen des Kannibalenclans elf Jahre nach den Geschehnissen des ersten Teils. Dieses zweite Buch wurde dann auch 2009 verfilmt - mit der heute aus „The Walking Dead“ bekannten Pollyanna McIntosh als Kannibalin und nach einem Drehbuch von Jack Ketchum selbst. Dies rief den Filmemacher Lucky McKee („May“) auf den Plan, der die Idee zu einer Filmfortsetzung von „Beutegier“ hatte.

    Mit Jack Ketchum schrieb er so zusammen den Abschluss der Romantrilogie und parallel auch gleich das Drehbuch zur Verfilmung: 2011 erschienen so gleichzeitig Film (Titel: „The Woman“) und Buch (hierzulande „Beuterausch“). Darin konzentriert sich das Duo ganz auf die letzte Überlebende des Kannibalenstammes, die an einen dämonischen Familienvater namens Cleek gerät, der sie im Keller gefangen hält und foltert. In der Verfilmung übernahm abermals Pollyanna McIntosh die Titelrolle. Und diese beschert uns nun mit „Darlin‘“ erneut ein Sequel. Weder der 2018 verstorbene Jack Ketchum noch Lucky McKee sind daran beteiligt, stattdessen ist Pollyanna McIntosh als Drehbuchautorin und Regisseurin die treibende Kraft - und schlüpfte erneut in ihre (wenn auch wesentlich kleiner ausfallende) Paraderolle. Doch ihr Horrothriller reicht in Atmosphäre, Gore-Effekten und schwarzhumorigen Spitzen nur selten an den polarisierenden Vorgänger heran.

    Auch ohne Jack Ketchum blutig: "Darlin'"!

    Eine Kannibalin (Pollyanna McIntosh) hat die junge Darlin' (Lauryn Canny) unter ihre Fittiche genommen. Als das verdreckte und verwilderte Mädchen eines Tages Hilfe in einem Krankenhaus sucht, wird sie von ihrer Beschützerin getrennt. Um sie zu resozialisieren, bieten ein Bischof (Bryan Batt) und die Nonne Jennifer (Nora-Jane Noone) ihre Unterstützung an. Sie hoffen, mit der „Zähmung“ des Mädchens ihre klamme Gemeinde vor der Pleite zu bewahren. Darlin' landet so in einer abgelegenen Klosterschule. Doch ihre wutschnaubende „Mutter“ ist schon auf der Suche nach ihr – und schreckt bei dem verzweifelten Versuch, ihr Kind zu finden, auch nicht vor brutaler Gewalt zurück...

    Als Lucky McKees „The Woman“ 2011 nicht bei einem Genre-Treffen, sondern beim renommierten Filmfestival in Sundance seine Premiere feierte, gab es dicke Schlagzeilen. Viele Kritiker feierten das in der Folge mehrfach preisgekrönte Horrordrama, doch es gab auch einen großen Aufschrei. Misogynie wurde dem Regisseur aufgrund der Darstellung des Martyriums seiner Hauptfigur unterstellt. Berichte von sehr vielfältigen Publikumsreaktionen (von lautem Schreien bis zu einer angeblich ihn Ohnmacht gefallenen Zuschauerin war alles dabei) machten die Runde. Dass über „Darlin‘“ im Anschluss an die Premiere (dieses Mal beim South By Southwest Film Festival, der Abspielstätte für alles, was hip ist oder werden soll) keine vergleichbaren Berichte kursierten, macht schon ein Problem deutlich. Wo „The Woman“ wagemutig war, McKee mit der Gewaltdarstellung Grenzen auslotete, ist einem „Darlin‘ ziemlich egal.

    Zu wenig aufregend

    Zwar metzelt Pollyanna McIntosh als mordlüsterne Kannibalen-Mutter Männer und Frauen, die sich ihr in den Weg stellen, gleichermaßen. Doch die aufs Notwendigste beschränkten, ohne größeren Gore-Effekte auskommenden Angriffe bleiben seltsam blass - obwohl einige Liter an Kunstblut fließen. Auch die eigentliche Geschichte dürfte trotz des kontroversen Themas nicht für große Aufregung sorgen. Dafür weidet sich McIntosh in ihrem Skript zu sehr an abgedroschenen Kirchen-Klischees. Der dubiose Bischof, der Darlin' mit seiner Handykamera immer wieder in kompromittierenden Situationen filmt (etwa, wenn sie in einen Hühnerstall gesperrt wird und panisch reagiert) und des sexuellen Missbrauchs verdächtigt wird, ist dann auch eine viele zu überzeichnete Witzfigur. Da ist Schauspieler Bryan Batt („12 Years A Slave“) machtlos bei der Darstellung dieser Karikatur.

    Wenige Glanzlichter sind es, die „Darlin‘“ dann doch noch sehenswerte Momente bescheren. Die 20-jährige Lauryn Canny ist zum Beispiel eine echte Entdeckung. In der Titelrolle deckt sie zwischen wutschnaubender Aggression, verträumter Entrücktheit und zarter Verletzlichkeit eine große schauspielerische Bandbreite ab. Der augenzwinkernd-pointierte Blick hinter die Heile-Welt-Fassade der Kirche gelingt zudem bei einer Gruppe junger Klosterschülerinnen, die hinter dem Rücken ihrer Lehrerinnen lästern, heimlich rauchen oder – Gott bewahre! - sogar schwanger werden, deutlich besser. Den dadurch erzählten Gegensatz zwischen Schein und Sein fängt Kamerafrau Halyna Hutchins („Snowbound“) auch gekonnt eine: Besonders ihre verklärenden Aufnahmen vom Alltag in der Klosterschule sind mit weißem, teilweise regelrecht glühendem Licht geflutet. In diesem „unschuldigen“ Setting wirken – wie beim großen und blutigen Finale vorm Traualtar – abgebissene Finger und andere, rotgefärbte Wunden umso mehr wie ein harter Kontrapunkt. Auch die Musikuntermalung spielt zwischen unwirklichem Chorgesang sowie schwermütigen und düsteren, basslastigen Streichern mit diesen Gegensätzen.

    Fazit: Pollyanna McIntosh versucht Slasher, schwarzen Humor und Coming-Of-Age-Story unter einen Hut zu bekommen – und scheitert. So vermisst man am Ende dann vor allem den fokussierten und kompromisslosen Schreibstil des verblichenen Jack Ketchum.

    Wir haben „Darlin‘“ auf dem Fantasy Filmfest 2019 gesehen.

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