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    Tatort: Niemals ohne mich
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tatort: Niemals ohne mich

    90 Minuten Scheidungskrieg

    Von Lars-Christian Daniels

    Der WDR hat es sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten fast schon traditionell zur Aufgabe gemacht, in seinen populären „Tatort“-Episoden aus Köln auch Gesellschaftskritik und das Anprangern sozialer Missstände einfließen zu lassen. Das allein führte aber nicht immer zu überzeugenden Krimis: Während im gelungenen „Tatort: Wacht am Rhein“ 2017 das rechtspopulistische Gebaren einer Bürgerwehr filetiert wurde, verhoben sich die Filmemacher zum Beispiel im letzten Kölner „Tatort: Kein Mitleid, keine Gnade“ am Thema Cybermobbing und der „Tatort: Ohnmacht“ von 2014 geriet gar zum undifferenzierten Rundumschlag gegen die Regeln des deutschen Rechtsstaats.

    Auch der „Tatort: Niemals ohne mich“ ist wieder einer dieser typischen Themen-Krimis vom Rhein: Unter Regie von Nina Wolfrum („Nord bei Nordwest“), die zum ersten Mal für die Erfolgsreihe der ARD am Ruder sitzt, ermitteln die Kommissare in einem Jugendamt und geraten darüber hinaus gleich reihenweise an getrennt lebende Eltern, deren Kinder unter dieser Situation zu leiden haben. Dabei lernt der Zuschauer viel über deren Sorgen und Alltagsprobleme – kommt aber nur bedingt auf seine Kosten, wenn ihm die Lust nach spannender Krimi-Unterhaltung steht.

    Die langgedienten Kölner Ermittler sind schon auf so viele Leichen gestoßen - da verwundert es fast, dass im Schatten des Doms überhaupt noch Lebende herumlaufen.

    Monika Fellner (Melanie Straub), eine Mitarbeiterin des Jugendamts, wird erschlagen aufgefunden. Bei unterhaltssäumigen Eltern kannte sie kein Pardon – anders als ihre Kollegin Ingrid Kugelmaier (Anna Böger), die hin und wieder auch mal ein Auge zudrückt. Die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) treffen bei ihren Ermittlungen auf getrennt lebende Elternteile, die zerstritten sind: Rainer Hildebrandt (Peter Schneider) lebt von Hartz IV, während seine Frau Katja (Katrin Röver) bei seinem reichen Ex-Chef lebt; Dachdecker Stefan Krömer (Gerdy Zint) sieht seine Tochter nur selten, während seine Ex-Freundin Julia Beck (Karen Dahmen) von der Hand in den Mund lebt – und die junge Tülay Firat (Yeliz Simsek) weiß nicht einmal, von wem ihr Kind ist. Auch der Abteilungsleiter des Amtes, Markus Breitenbach (Christian Erdmann), der mit seiner Frau Evelyn (Henny Reents) drei Kinder großzieht, weckt das Interesse der Kommissare…

    „In Deutschland zahlt nur jeder vierte Unterhaltspflichtige den vollständigen Betrag für die eigenen Kinder“, erklärt Abteilungsleiter Breitenbach ein Dilemma, mit dem er täglich zu tun hat – und es bleibt nicht der einzige Missstand, den die Filmemacher in diesem typischen Kölner „Tatort“ aufarbeiten. Drehbuchautor Jürgen Werner, der in den vergangenen Jahren neben tollen Büchern für den Dortmunder „Tatort“ auch Geschichten für die seichte Nonnenserie „Um Himmels Willen“ oder den Quotenhit „Das Traumschiff“ geschrieben hat, liefert diesmal eine nur bedingt überzeugende Kreuzung aus bitterem Sozialdrama und klassischem Sonntagskrimi. Wie so oft in Köln wird nämlich dermaßen dick aufgetragen, dass für Zwischentöne kaum Platz bleibt. Exemplarisch dafür steht der Kontrast zwischen den getrenntlebenden Hildebrandts: Er ein mittelloser, um seine Kinder kämpfender Hartzer mit Sozialwohnung, sie ein arrogantes Biest, das in eine Villa mit Pool gezogen ist.

    Problemfilm mit ein bisschen Krimi

    Die erste Hälfte ist dabei aber noch besser gelungen als die zweite, weil der 1125. „Tatort“ irgendwann sogar in den Kitsch abdriftet. Der Film beginnt zwar konventionell, aber reizvoll, denn über den Alltag im Jugendamt erfahren wir hochinteressante Details und schon der Prolog gibt einen Vorgeschmack auf die zwischenmenschlichen Trauerspiele, die sich später zwischen den zerstrittenen Verdächtigen und ihren bedauernswerten Kindern ereignen. Es folgen der Leichenfund, die Erkenntnisse der Spurensicherung und die Befragungen im beruflichen Umfeld des Opfers – doch schon bald wird das übliche Abklappern der Sonntagskrimi-Stationen von Ausflügen in die nicht mehr heilen Familienwelten der Tatverdächtigen abgelöst. Wir sind live dabei, wenn sich Kinder in die Hose machen, weil sie den Streit der Eltern nicht aushalten – die Kommissare sind es oft nicht.

    Das führt dazu, dass sich der „Tatort: Niemals ohne mich“ häufig nicht wie ein Krimi, sondern wie ein Episodenfilm über zerrüttete Familien anfühlt – ein Schicksal, das die Folge unter anderem mit dem „Tatort: Familien“ von 2018, dem „Tatort: Durchgedreht“ von 2016 oder dem „Tatort: Trautes Heim“ von 2013 teilt, in denen sich der WDR in Köln ganz ähnliche Themen vorknöpfte. So emotional sich das stellenweise gestaltet, so wenig reißt der Film mit, was auch am häufig wechselnden Erzählton liegt: Wenn der gemütliche Oberkommissar Norbert Jütte (Roland Riebeling) im Präsidium mit der Statik seiner selbstinstallierten Lichtdusche kämpft und einen Augenblick später ein verzweifelter Vater seine eigene Tochter entführt, bleiben dem Zuschauer zwischen Lachen und Bangen kaum 30 Sekunden Zeit. Das nimmt dem Drama die Wucht.

    Die Sozialermittlerinnen wollen einen Vater dazu bewegen, gefälligst den Unterhalt für sein Kind zu zahlen.

    Gerade der Lichtduschen-Gag wird mindestens einmal zu häufig bemüht, doch der „Tatort“ hat neben ermüdenden In-was-für-einer-Welt-leben-wir-eigentlich-Dialogen auch gelungene Pointen zu bieten: Statt der kultigen Feierabend-Stippvisite an der Wurstbraterei verzehren Ballauf und Schenk dort ihr Frühstück – was einem der beiden weniger gut bekommt als dem anderen. Später schmollen die altgedienten Kommissare, die noch immer zu den beliebtesten Ermittlern der Reihe zählen, eine gefühlte Ewigkeit im Oldtimer-Dienstwagen stumm nebeneinander her, während im Autoradio Kerstin Otts Gassenhauer „Die immer lacht“ dudelt – das ist zwar nicht sonderlich subtil arrangiert, aber schlichtweg ein Bild für die Götter. Und dann ist da noch die bitterböse Schlusspointe, die man im „Tatort“ in dieser Konsequenz eher selten sieht – ein spätes, wenn auch nicht mehr sonderlich wirkungsvolles Überraschungsmoment.

    Fazit: Ein „Tatort“ wie 90 Minuten Scheidungskrieg – wütende Eltern, leidende Kinder und ganz viele Probleme.

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