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    Tatort: Lakritz
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tatort: Lakritz

    Endlich wieder mehr als platte Pointen

    Von Lars-Christian Daniels

    Axel Prahl und Jan Josef Liefers wurde in den vergangenen Wochen eine ganz besondere Ehre zuteil: Die beiden Quotenkönige der erfolgreichsten deutschen Krimireihe sind nun (wie auch ihre Kollegin Maria Furtwängler) als Wachsfigur bei Madame Tussauds in Berlin zu bewundern – und das natürlich im Kostüm und in der Aufmachung ihrer beliebten „Tatort“-Rollen. In Bezug auf die populären Krimikomödien aus Münster, die in den vergangenen Jahren regelmäßig mehr als 13 Millionen Zuschauer vor die Fernseher lockten, birgt das eine gewisse Ironie – sind die „Tatort“-Figuren aus Westfalen mittlerweile doch so ziemlich zu den künstlichsten verkommen, die man sonntags um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen bekommt.

    Im „Tatort: Lakritz“, bei dessen Vorpremiere in Münster Prahls Wachsfigur erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert wurde, arbeiten die Filmemacher nach Jahren des Stillstands mal wieder erfolgreich gegen diese Künstlichkeit an und nehmen sich Zeit für die Charakterzeichnung: Regisseurin Randa Chahoud, die zum ersten Mal bei einem „Tatort“ am Ruder sitzt, hat eine originelle und dabei nur selten zu alberne Krimikomödie inszeniert. Dass dabei einiges auf Autopilot läuft und einmal mehr keine Spannung aufkommen will, sei zwar fürs Protokoll erwähnt, dürfte angesichts der bombastischen Einschaltquoten und der treuen Fangemeinde aber niemanden wirklich überraschen.

    Boerne und Thiel erweisen sich diesmal als echte Schleckermäulchen.

    Der Marktmeister des Wochenmarkts in Münster, Hannes Wagner (Pierre Siegenthaler), wird tot in seiner Villa aufgefunden. Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers), der bei der Obduktion von seiner Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) unterstützt wird, hat die Todesursache schnell ausgemacht: Wagner wurde mit Zyankali vergiftet, dass der Täter in die Lieblingslakritzmischung seines Opfers gemischt hat. Die Nachforschungen führen Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und seine Kollegin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) auf den Wochenmarkt: Beinahe jeder der Händler hätte einen Grund gehabt, Wagner zu töten. Unter Tatverdacht steht neben dem holländischen Lakritzverkäufer Cornelius Bellekom (Ronald Top) vor allem Monika Maltritz (Annika Kuhl), die eine traditionsreiche Lakritzmanufaktur führt, in der Boerne früher oft selbst eingekauft hat. Grund genug für den Professor, in der eigenen Vergangenheit auf Spurensuche zu gehen…

    „Ach, der Herr Professor, was machen Sie denn hier?“, fragt der just bei Monika Maltritz eingetroffene Thiel den umtriebigen Boerne, der deren Lakritzshop gerade verlässt – und das keine zehn Sekunden, nachdem der neuerdings mit dubiosen Aufputschkeksen und angeblich heilsamen Wundermittelchen dealende „Vaddern“ Herbert Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) zufälligerweise vor genau demselben Laden geparkt hat, bis zu dem er seinen besten Kunden Harald Maltritz (Walter Hess) aus dem Altersheim, in dem zugleich Monikas abgehalfterter Ex-Mann Bernhard Wesskamp (Patrick von Blume) arbeitet, mit dem Taxi verfolgt hat. Klingt kompliziert? Ist es aber eigentlich gar nicht, denn auf den zweiten Blick hängt auch im 35. „Tatort“ aus Münster in der mal mehr, mal weniger originell zusammengeschusterten Geschichte am Ende wieder fast alles mit allem zusammen.

    Nur noch Gemüse

    Vor allem die kleinen Nebengeschichten von Drehbuchautor Thorsten Wettcke, der hier zum zehnten Mal ein „Tatort“-Skript beisteuert, sind dabei überflüssiges Beiwerk: „Vadderns“ Machenschaften sind schon seit Jahren nicht mehr witzig, werden für die Millionen Fans der westfälischen Schmunzelkrimis aber ebenso in den Plot gequetscht wie die qualmende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), die diesmal immerhin auch etwas zum Fall beisteuert. Während Boerne für ein paar billige Lacher volltrunken in den „Tatort“ hineinstolpert, drückt man Thiel einen substanzlosen Running Gag aufs Auge: Der Kommissar und St. Pauli-Fan, der seit 17 Jahren dasselbe Totenkopf-Shirt trägt und auf seinem Smartphone immer noch den monophonen Hans-Albers-Klingelton von 2002 installiert hat, setzt sich selbst auf Gemüsediät – warum er das tut, liegt nahe, warum er sie abbricht, bleibt offen. Ist aber eigentlich auch völlig zweitrangig.

    Viel interessanter gestaltet sich nämlich das, was man im „Tatort“ aus Münster heute nur noch selten zu sehen bekommt: Die Filmemacher investieren Zeit in die Charakterzeichnung, statt die Figuren in abgegriffenen Standardsituationen mit platten Pointen aufeinander loszulassen. Während „Alberich“ nach einem Präsent ihres Chefs zu Tränen gerührt ist und damit einen menschlichen Moment für sich verbucht, stellt sich Boerne einem Trauma aus Kindertagen, das er bis heute nicht verarbeitet hat. Die Aufarbeitung seiner unerfüllten Jugendliebe, die von Regisseurin Randa Chahoud („Bruder – Schwarze Macht“) charmant in Szene gesetzt wird, gerät dabei weitaus weniger albern als manch frühere Folge, in denen Boerne ebenfalls alte Weggefährten aufsuchte, die in Verbindung zum Fall standen. Und wenn der Professor seinem jüngeren Ich (Vincent Hahnen) sogar in Fleisch und Blut begegnet, ist das – zumindest für Münsteraner Verhältnisse – eine geradezu innovative Erzähltechnik.

    Ein guter Lakritz ist wie ein guter Wein!

    Der Schwenk in Boernes Vergangenheit sorgt außerdem für einen hohen Nostalgiefaktor – ältere Zuschauer dürften sich sofort in Zeiten versetzt fühlen, in denen sie selbst noch mit ein paar Groschen zum Tante-Emma-Laden gelaufen sind oder mit großen Augen vor der Süßigkeitenauslage standen, die versierte Bonbonmacher in liebevoller Handarbeit mit leckeren Kreationen gefüllt haben. Mit dem radebrechenden holländischen Marktverkäufer Bellekom („Der Münsteraner Markt ist wie eine Maschine zum Gelddrücken!“) gibt es zudem eine witzige Nebenfigur und auch Fans klassischer Krimis kommen bei diesem vergnüglichen „Tatort“ durchaus auf ihre Kosten: Wenngleich die Spannung einmal mehr gegen den Nullpunkt tendiert, gestaltet sich die die Auflösung der Täterfrage knifflig. Da hat man aus Münster schon Schlechteres gesehen – bleibt zu hoffen, dass der auf den 22. Dezember terminierte „Tatort: Väterchen Frost“ wieder ähnlich bodenständig ausfällt.

    Fazit: Eine nostalgieschwangere Krimikomödie nach bewährtem Rezept – die fehlenden Spannung und ein paar unnötige Handlungsschlenker dürften zumindest das Stammpublikum der Münsteraner Ermittler kaum stören.

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