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    Tatort: Tschill Out
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: Tschill Out

    Stotternder Neustart für Til Schweiger

    Von Lars-Christian Daniels

    Zu viel Action, zu viel Til Schweiger, vor allem aber viel zu wenig klassischer Krimi: Eine Erfolgsgeschichte ist aus dem Hamburger „Tatort“ mit LKA-Kommissar Nick Tschiller bisher nicht geworden. Vielmehr wandte sich das Publikum zuletzt aus den genannten Gründen zunehmend von den Filmen mit Schweiger ab: Die Einschaltquoten haben sich seit seinem ersten „Tatort: Willkommen in Hamburg“, der 2013 noch mehr als zwölf Millionen Zuschauer vor die TV-Geräte lockte, mehr als halbiert. Den auch im Kino kolossal gefloppten „Tschiller: Off Duty“ wollten im Sommer 2018 bei seiner TV-Erstausstrahlung nur noch gut fünf Millionen „Tatort“-Fans sehen (das war der schwächste Wert einer „Tatort“-TV-Premiere seit mehr als sieben Jahren).

    Spätestens dieser Tiefschlag führte wohl nicht nur beim Hauptdarsteller, sondern auch in der Redaktion des NDR zu einem Umdenken. Da die folgenübergreifende Rahmenhandlung um Tschillers Kampf gegen den Clan von Firat Astan ohnehin zu Ende erzählt war, beauftragte der Sender den Erfinder der populären „Polizeiruf 110“-Folgen aus Rostock mit einem neuen Konzept: Filmemacher Eoin Moore soll dem ungeliebten „Tatort“ aus Hamburg mit einer Kurskorrektur neues Leben einhauchen. In seinem „Tatort: Tschill Out“ werden daher deutlich ruhigere Töne angeschlagen – ob dem Krimi von der Waterkant mit dem durchwachsenen Fall die erhoffte Trendwende in Sachen Zuschauergunst gelingt, darf allerdings bezweifelt werden.

    Til Schweiger versucht den "Tatort"-Neustart auf Neuwerk.

    Nick Tschiller (Til Schweiger) ist wegen zahlreicher Verfehlungen im Dienst beurlaubt worden und wartet auf sein Disziplinarverfahren. Um den Kopf frei zu bekommen, hilft er Patti Schmidt (Laura Tonke), einer ehemaligen Lehrerin seiner Tochter Lenny (Luna Schweiger), in einer Erziehungseinrichtung auf Neuwerk bei der Betreuung von schwererziehbaren Jugendlichen. Doch mit der Ruhe ist es bald vorbei: In Hamburg gerät Tschillers Kollege Yalcin Gümer (Fahri Yardim) bei der Überführung der Kronzeugen Tom (Ben Münchow) und Eddie Nix (Andreas Helgi Schmid) unter Beschuss. Eddie kommt dabei ums Leben – und Gümer bringt Tom, der mit seinem Bruder in einer linksradikalen Punkrockband gespielt hat, nach Neuwerk. Während er anschließend in Hamburg mit seiner Kollegin Robin Pien (Zoe Moore) die Hintergründe des Anschlags ermittelt, sind Eddies Mörder Tschiller und Tom bereits auf den Fersen…

    Der „Tatort“ aus Hamburg litt in den vergangenen Jahren neben den actionlastigen Drehbüchern an einem weiteren Problem: Hauptfigur Nick Tschiller – und damit auch Hauptdarsteller Til Schweiger – stand in den Geschichten so stark im Fokus wie kaum ein zweiter Kommissar der Krimireihe. Nun ist Schweiger, der unter anderem den „Tatort“-Vorspann abschaffen wollte, in den sozialen Medien in peinlichem Tonfall zum Rundumschlag gegen seine Kritiker ausholte und öffentlich über den tollen Wiesbadener „Tatort: Angriff auf Wache 08“ herzog, aber schon lange nicht mehr der Sympathieträger, der er vielleicht noch zu Zeiten seiner Kino-Auftritte in „Der bewegte Mann“, „Barfuß“ oder „Keinohrhasen“ war. Der Gegenwind ist stärker geworden, denn Schweiger polarisiert – und seine Fangemeinde schrumpft eher, als dass sie wächst.

    Trostlose Wiesen statt fulminantes Actionfeuerwerk

    Für den „Tatort: Tschill Out“ ist die ablehnende Haltung vieler Zuschauer ein Dilemma – denn wer Schweiger als Schauspieler und Tschiller als „Tatort“-Kommissar nicht mag, wird auch an der 1115. Ausgabe der Krimireihe wenig Gefallen finden. Den ganz großen Neuanfang hat Eoin Moore, der für seine Rostocker „Polizeiruf 110“-Folgen zu Recht viel Lob erhielt, nämlich nicht in jeder Hinsicht gewagt: Auch beim sechsten Fall dreht sich wieder viel um Tschiller als Person, hinter der der Kriminalfall stellenweise minutenlang hintenansteht. Gleichzeitig stößt Moore auch die Fans von adrenalinschwangeren Folgen wie dem oft unterschätzten „Tatort: Fegefeuer“ vor den Kopf: Den Actionanteil hat er drastisch reduziert und die trostlose Wiesenlandschaft auf Neuwerk bietet nicht die schicken Schauwerte, mit der manch andere „Tatort“-Folge aus Hamburg aufwartete.

    Ob er das Publikum so zurückgewinnen kann, ist fraglich, denn als Kreuzung aus rührseliger Charakterstudie und klassischem Krimi birgt der Film trotz solider Spannungskurve und überzeugender Besetzung Schwächen. Zum Beispiel die realitätsferne Ausgangslage: Welches Heim für Schwererziehbare würde wohl statt eines ausgebildeten Pädagogen oder abgehärteten Sozialarbeiters einen dünnhäutigen Polizisten einstellen, der die Leichenberge hinter sich nur so aufgetürmt hat? Denken wir an Ivan Reitmans spaßige Hollywood-Komödie „Kindergarten Cop“, hätten Tschillers unkonventionelle Methoden zwar viele Pointen generieren können – leider ist hier aber alles bierernst gemeint und mündet bisweilen in zum Fremdschämen schlechte Dialoge. Etwa dann, wenn Tschiller dem labilen Punkrocker Tom vermeintlich wertvolle Tipps zur Trauerbewältigung mitgibt: „Darf ich dir einen Rat geben? Du musst einfach versuchen, nicht dran zu denken.“

    Mal wieder das Beste am Hamburger "Tatort": Fahri Yardim als Yalcin Gümer!

    Mit der ehemaligen Lehrerin Patti, die sich in bester Bond-Girl-Manier gleich in Tschiller verguckt, fehlt es in der Erziehungseinrichtung auf Neuwerk auch an einem selbstbewussten Kontrapunkt, der den egozentrischen Kommissar mal in die Schranken weisen würde: Patti lässt Tschiller praktisch machen, was er will. So lässt der beurlaubte Cop etwa aggressive Jugendliche mit Küchenmessern auf sich werfen oder sie Paintball ohne Schutzhelm spielen. Und nimmt der Kommissar a.D. überhaupt mal einen gut gemeinten Ratschlag der Pädagogin an, wirkt das in den nachdenklichen Momenten des Films einfach wahnsinnig aufgesetzt: „Du hast Recht, in mir steckt noch ganz viel Zeug fest. Gefühle und so.“ Weil auch die Teenager als Figuren links liegen gelassen und ihre psychischen Probleme gar nicht erst eruiert werden, ergibt sich die Spannung in erster Linie aus der Frage, wann die Mörder von Toms Bruder wohl den Weg nach Neuwerk finden werden.

    Immerhin: Mit Spaßvogel Yalcin Gümer, den „jerks.“-Star Fahri Yardim wieder wunderbar schnoddrig spielt, ist zumindest der große Lichtblick im Hamburger „Tatort“ wieder in Top-Form. Gümers Szenen mit Greenhorn Robin Pien bringen ordentlich Dynamik in den Krimi, bergen aber neben beabsichtigter auch unfreiwillige Ironie: Während sich Til Schweiger seit jeher dem Vorwurf ausgesetzt sieht, seine Töchter nicht nur in seinen Kinofilme, sondern sogar in seinen „Tatort“ einzuschleusen, wird Robin Pien von Zoe Moore gespielt, die im selben verwandtschaftlichen Verhältnis zu Regisseur und Drehbuchautor Eoin Moore steht. Ob wir Luna Schweiger, die in ihrer Rolle als Tochter Lenny diesmal nur noch per Videochat zugeschaltet wird, noch einmal im „Tatort“ sehen werden, steht übrigens noch in den Sternen – ebenso wie ein nachhaltig erfolgreiches Comeback der Tschiller-Fälle, die mit diesem halbgaren Neuanfang wohl weiterhin keinen leichten Stand beim Publikum haben werden.

    Fazit: Alles auf Null im hohen Norden – aber wirklich besser ist der Hamburger „Tatort“ nach dem Druck auf die Reset-Taste (noch) nicht geworden.

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