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    Tatort: Ausgezählt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: Ausgezählt

    Doping vor der Sommerpause

    Von Lars-Christian Daniels

    Bevor das SRF 2020 mit den Schweizer Schauspielerinnen Anna Pieri Zuercher und Carol Schuler einen Neuanfang in Zürich wagt, hat der Sender mit seinem „Tatort“ aus Luzern nach reichlich durchwachsenen Jahren zuletzt wider Erwarten noch einen Qualitätssprung hingelegt: Der im August 2018 ausgestrahlte, in nur einer Einstellung gedrehte „Tatort: Die Musik stirbt zuletzt“ zählte vor allem handwerklich zu den bemerkenswertesten Sonntagskrimis des Jahres – und auch der kurz vor Silvester gesendete „Tatort: Friss oder stirb“ war eindeutig einer der stärkeren Fälle der Eidgenossen, die hierzulande in der Zuschauergunst – gemessen an den Einschaltquoten – auf dem letzten Platz liegen. Zum Abschluss des ersten „Tatort“-Halbjahres 2019 strahlt die ARD nun wieder einen Schweizer Krimi aus, der nicht mehr an dieses hohe Niveau anknüpft und wie ein Rückfall in alte Zeiten wirkt: Katalin Gödrös‘ „Tatort: Ausgezählt“ ist eine ziemlich bemüht wirkende Kreuzung aus emotionalem Entführungsdrama, knallhartem Knastkrimi und einem halbherzigen Ausflug in die Box- und Dopingszene.

    Als die junge Boxerin Martina Oberholzer (Tabea Buser) ihre Gegnerin krachend zu Boden schickt und diese noch im Ring verstirbt, reibt sich ihr Manager Sven Brügger (Urs Humbel) die Hände: Er will seine Sportlerin fortan als „Tina The Killer“ vermarkten. Was er nicht ahnt: Martinas Gegnerin ist nicht durch den Schlag, sondern an einem Herzinfarkt gestorben. Sie hatte durch Doping ihr Leben riskiert. Für Martina ist das Grund genug, die Boxhandschuhe an den Nagel zu hängen. Sie droht damit, über die Dopingszene auszupacken – was ihren Manager kurzerhand dazu veranlasst, sie zu überwältigen und in einen Keller zu sperren. Kurz darauf wird Brügger erschossen – offenbar von Heinz Oberholzer (Peter Jecklin), dem Onkel der Boxerin, der für die Kripo in Zürich arbeitet und den Mord sofort gesteht. Die Luzerner Hauptkommissarin Liz Ritschard (Delia Mayer), die Oberholzer aus früheren Zeiten kennt, hegt jedoch Zweifel an dieser Geschichte. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Reto Flückiger (Stefan Gubser), Rechtsmedizinerin Corinna Haas (Fabienne Hadorn) und IT-Expertin Deborah Hefti (Chantal Dubs) muss sie allerdings erst die entführte Boxerin finden, die ohne Trinkwasser irgendwo in Luzern eingesperrt ist und nur noch wenige Stunden zu leben hat…

    Bei Martina gehört Doping zum Boxen fest dazu. (© ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler)

    Was heißt DEFINITIV?“ – Wenn eine „Tatort“-Kommissarin energische Zweifel am Tathergang hegt und sogar die Arbeit der stets tadellos arbeitenden Gerichtsmedizinerin infrage stellt, können sich krimierprobte Zuschauer leicht ausrechnen, was später noch auf sie zukommt. Im „Tatort: Ausgezählt“ ist das nicht anders: So vermeintlich eindeutig sich der Mord am exzentrischen Brügger zu Beginn gestaltet, so sicher ist auch, dass bei der Täterfrage das letzte Wörtchen noch nicht gesprochen ist. Nicht zum ersten Mal in der Krimireihe dient der einleitende Todesfall hier aber vor allem dazu, die Ermittler von der Mordkommission überhaupt auf den Plan zu rufen – im Zentrum der Geschichte steht der deutlich komplexere Entführungsfall. Auch sonst ist unter Regie von Katalin Gödrös („Songs of Love and Hate“) im Luzerner „Tatort“ wieder vieles so, wie wir es seit dem Dienstantritt von Flückiger und Ritschard gewohnt sind: Die Synchronisation der schwyzerdütschen Originalfassung gestaltet sich wenig elegant und auch für Journalisten-Bashing und die obligatorischen Reibereien mit dem hoffnungslos überzeichneten Vorgesetzten Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu) haben die Autoren Urs Bühler und Michael Herzig einen Platz im Drehbuch gefunden.

    Ausgerechnet hier ergibt sich diesmal aber ein reizvoller Nebenkriegsschauplatz: Weil Ritschard ihren alten Spezi Oberholzer in eine JVA einschleusen und dort dem kriminellen Pius Küng (Pit-Arne Pietz) auf den Zahn fühlen will, legt sie Mattmann mit einem simplen Trick aufs Kreuz – lässt Flückiger bei diesem Manöver allerdings außen vor, was schon bald in einen handfesten Krach mündet. Bei ihrem vorletzten „Tatort“-Einsatz erhält Ritschard als Figur damit endlich einmal den Raum, der ihr so lange verwehrt blieb. Ihr sturer Alleingang, der auch aus der Vorgeschichte mit Oberholzer resultiert, ist der Charakterzeichnung im Krimi aus der Schweiz jedenfalls dienlicher als die zum Fremdschämen schlechte Pärchenabend-Szene, bei der sich die weiblichen Lebenspartner der Kommissare spontan dazu verabreden, sich gemeinsam „ins Mostfass zu legen“. Auch die Ermittlungen hinter Gittern gestalten sich weniger mitreißend als beispielsweise im tollen Frankfurter „Tatort: Wer das Schweigen bricht“: Außer pseudo-tiefsinnigen Plattitüden und plumpen Drohgebärden kommt den Knastbrüdern wenig über die Lippen, so dass auch ein Anschlag auf das Leben eines Häftlings nicht die Durchschlagskraft entfaltet, die sich die Filmemacher erhofft haben.

    Heinz Oberholzer gesteht den Mord. (© ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler)

    Anders als in die Welt hinter Gittern tauchen die Filmemacher in die Schweizer Dopingszene gar nicht erst ein: Der einleitende Tod der Boxerin, der aus der regelmäßigen Einnahme verbotener Substanzen resultiert, wird von den Kommissaren nicht näher analysiert – stattdessen zitieren die Ermittler einfach ein paar Statistiken und recherchieren sich das nötige Basiswissen über Flüssigkeitsverlust und vergrößerte Organe am Rechner zusammen. Auch die Suche nach der entführten Boxerin, die sich – praktischerweise – über eine vom Entführer installierte Kamera live im Präsidium beobachten lässt, entwickelt bei Weitem nicht die Dramatik, die angesichts des Echtzeit-Charakters (eingeblendeter Countdown inklusive) möglich gewesen wäre: Weil der Zuschauer weder zum dehydrierten Entführungsopfer, noch zu seinem verbissenen Vater Ferdi Oberholzer (Ingo Ospelt) eine Beziehung aufbauen kann, bleibt der flott arrangierte Wettlauf gegen die Uhr auf den zweiten Blick eine ziemlich blutleere Angelegenheit. Bleibt zu hoffen, dass den Schweizer Kommissaren für ihren Abschied in der zweiten Jahreshälfte ein stärkerer Krimi vergönnt ist.

    Fazit: Der „Tatort“ verabschiedet sich mit einem ambitionierten, unterm Strich aber recht enttäuschenden Fall in die Sommerpause 2019.

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