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    Bliss
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Bliss

    "Matrix" trifft "Black Mirror" – mit ganz viel Drogen!

    Von Julius Vietzen

    Mit seinen ersten beiden Spielfilmen „Another Earth“ und „I Origins - Im Auge des Ursprungs“, die beide bei den Filmfestspielen in Sundance mit Preisen ausgezeichnet wurden, hat Mike Cahill nicht nur in der Branche für einiges Aufsehen gesorgt. Er hat sich zugleich auch als Regisseur und Drehbuchautor mit einer klaren Stimme und einem individuellen Stil etabliert: In beiden Filmen kombiniert er ein Science-Fiction-Szenario mit einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte, in deren Mittelpunkt Wissenschaftler*innen stehen.

    Zudem arbeitet sich Mike Cahill immer wieder am Motiv des „Doppelgängers“ ab – und das ist nun auch die deutlichste Parallele zwischen seinen ersten beiden Werken und dem für Amazon Studios gedrehten „Bliss“: Wo es in „Another Earth“ um eine zweite Erde samt identischer Bewohner und in „I Origins“ um Wiedergeburt ging, präsentiert er diesmal zwei verschiedene Versionen seiner Hauptfiguren in zwei sehr unterschiedlichen Welten. Allerdings fühlen sich sowohl der Science-Fiction-Überbau als auch die wissenschaftliche Thematik bei „Bliss“ eher wie eine Pflichtübung an. Spannender ist die zentrale Beziehungsgeschichte über Drogensucht und (Co-)Abhängigkeit.

    Isabel (Salma Hayek) erklärt Greg (Owen Wilson), dass seine Welt nicht real ist.

    Greg Wittle (Owen Wilson) lebt getrennt von seiner Frau, die Beziehung zu seinen erwachsenen Kindern Emily (Nesta Cooper) und Arthur (Jorge Lendeborg Jr.) ist schwierig. Er leidet an körperlichen Beschwerden, die er mit Medikamenten bekämpft. Zudem halten ihn hartnäckige Tagträume von einem anderen Leben auf einer sonnigen Halbinsel vom Arbeiten ab. Als er dann auch noch gefeuert wird, scheint Greg endgültig am Abgrund zu stehen – zumal sein Chef ausgerechnet in diesem Moment tödlich verunglückt…

    Nach seiner Flucht trifft Greg in einer Bar auf Isabel Clemens (Salma Hayek), die ihm eröffnet, dass es sich bei dieser Welt nur um eine Simulation handelt und er zu den wenigen Menschen gehört, die auch ein reales Ich haben, während die meisten anderen einfach nur vom Computer erdacht wurden. Und tatsächlich: Kaum hat Greg einen der gelben Kristalle eingeworfen, die ihm Macht über die falsche Welt und ihre Bewohner geben sollen, verfügt er plötzlich über vermeintlich übernatürliche Kräfte. Trotzdem zweifelt Greg weiter – und so beschließt sie, ihn in die reale Welt mitzunehmen. Dort sind Isabel und Greg angesehene Wissenschaftler, die in dem Haus aus Gregs Tagträumen leben...

    Real oder nicht real – völlig egal

    Die Frage, welche der beiden Welten denn nun die echte ist, wird zwar immer wieder in den Dialogen zwischen Greg und Isabel aufgegriffen. Das größte Problem mit „Bliss“ ist aber: Greg Cahill inszeniert dieses Mysterium längst nicht spannend genug, als dass es den ganzen Film tragen würde. Und nicht nur das: Auch der Regisseur selbst scheint an dem zentralen Geheimnis gar nicht sonderlich interessiert zu sein. Schließlich deutet schon eine vielsagende Kamerafahrt nach gerade mal sieben Minuten (!) an, wo der Hase langläuft. Und auch später platziert Greg Cahill im Hintergrund buchstäblich Hinweisschilder.

    Vor allem, wenn Isabel und Greg in die vorgeblich echte Welt reisen, eine sonnendurchflutete Utopie, in der keine Armut, keine Krankheiten und keine Umweltprobleme mehr existieren, verstrickt sich der Autor und Regisseur zudem in Nebenhandlungsstränge, die oft im Sand verlaufen und „Bliss“ so nur unnötig in die Länge ziehen. Isabel muss etwa kurzzeitig um ihre Anerkennung als Wissenschaftlerin bangen und der an Amnesie leidende Greg erfährt von einem Gerät, mit dem sich Gedanken visualisieren kann und das er offenbar selbst erfunden hat.

    Im Kern ein Suchtdrama

    So gerät der eigentliche Kern des Films mit zunehmender Spieldauer immer mehr in den Hintergrund. Denn vor allem in der stärkeren ersten Hälfte zeichnet Greg Cahill ein faszinierendes Porträt von Drogensucht und was sie mit Menschen anstellt. Dafür ist es eigentlich auch völlig egal, was sich Greg und Isabel da einschmeißen und ob sie dadurch angeblich übermenschliche Kräfte bekommen. Und es ist auch egal, in welcher der beiden in „Bliss“ gezeigten Welten sie es tun.

    Zwischen Isabel und Greg gibt es ein klares Machtgefälle: Isabel hält Greg geschickt bei der Stange und weiß genau, wie sie ihn manipulieren muss, damit er ihr weiterhin aus der Hand frisst. Salma Hayek darf sich hier nach komödiantischen Rollen in Filmen wie „Lady Business“ und „Killer's Bodyguard“ mal wieder von einer anderen Seite zeigen und hält als Isabel geschickt die Balance zwischen geschickter Verführerin, trotziger Aussteigerin und gespielter Verletzlichkeit. Owen Wilson („Die Hochzeits-Crasher“) ist hingegen meistens einfach nur Owen Wilson, darf aber immerhin ganz am Schluss auch noch mal groß aufspielen.

    In wenigen Momenten werden Isabel und Greg ein regelrechtes Rollschuhmassaker anrichten...

    „Bliss“ ist immer dann am besten, wenn Greg Cahill die zerstörerische Beziehung dieser beiden Menschen zeigt und illustriert, was die Sucht mit ihnen anrichtet. In den intensivsten Minuten des Films sehen wir Isabel und Greg in langen Einstellungen auf einer Rollschuhbahn, wo sie sich mit ihren übermenschlichen Kräften zunächst einen Rowdy vorknöpfen, schließlich aber auch eine alte Dame mit Rollator herumschubsen – macht ja nix, sind ja sowieso alles keine echten Menschen. Parallel dazu geschnitten ist eine wilde Sexszene auf dem Rollschuhbahn-Klo. Die beiden Hauptfiguren wirken in solchen Momenten beinahe schon wie psychopathische Serienkiller.

    Dass sich nicht alles so zugetragen hat, wie Isabel und Greg es erleben und wie wir es gerade gesehen haben, wird dann direkt in der folgenden Szene angedeutet: Wie berauscht stürmen Greg und Isabel aus dem Gebäude, während die Polizei heranrast. Doch gerade, als es so aussieht, als würden sie davonkommen, vollzieht der Regisseur einen cleveren Perspektivwechsel, der mit seiner (Alb-)Traumlogik auch aus einem David-Lynch-Film stammen könnte: Greg sieht sich selbst in einem vorbeifahrenden Polizeiauto sitzen und hockt dann nach einem Schnitt auf einmal wirklich in Handschellen auf der Rückbank, während sich die Figuren, die gerade noch Greg und Isabel waren, als zwei Stadtstreicher herausstellen, die unbeteiligt zuschauen.

    Fazit: „Bliss“ ist im Kern ein überzeugendes Suchtdrama mit einigen sehr intensiven Szenen und einer starken Salma Hayek. Das Sci-Fi-Drumherum schadet dem Ganzen allerdings eher, als dass es der Geschichte tatsächlich etwas Spannendes hinzufügen würde.

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