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    Roger Waters Us + Them
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Roger Waters Us + Them

    Bombastisch und politisch!

    Von Björn Becher

    Als Regisseur Alan Parker („Evita“) 1982 das Konzeptalbum „The Wall“ der Rockband Pink Floyd nach den Vorstellungen von Roger Waters fürs Kino adaptierte, revolutionierte er damit das Genre des Musikfilms: Quasi ein einziges durchgehendes Musikvideo in Spielfilmlänge – das gab es bis dahin noch nicht. „The Wall“ zeigte zugleich aber auch, warum Roger Waters überhaupt Musik macht. Nach dem Abgang seines drogensüchtigen Mitgründers Syd Barrett 1968 formte er nämlich Pink Floyd zu einer der politischsten und gesellschaftskritischen Bands im Rockzirkus – mit dem 1979 veröffentlichten „The Wall“ als Höhepunkt. Seit seinem Ausstieg bei Pink Floyd 1985 ist der Musiker solo unterwegs – und zwar so politisch wie eh und je, in den vergangenen Jahren sogar noch zorniger. Das zeigt nun auch „Roger Waters Us + Them“. Als klassischer Konzertfilm sicher nicht so innovativ wie damals „The Wall“, vermitteln Waters und sein Co-Regisseur Sean Evans dennoch die unglaubliche Kraft des Songschreibers, Bassisten und Sängers sowie die sensationelle Inszenierung seiner Bühnenshows.

    Von Mai 2017 bis Dezember 2018 tourten Roger Waters und seine Band im Rahmen der „US + Them“-Tour rund um die Welt und spielten dabei 157 Konzerte mit vielen neuen Songs und all den großen Pink-Floyd-Klassikern. Im Juni 2018 standen sie dabei an vier Abenden vor jeweils mehr als 56.000 Zuschauern im niederländischen Amsterdam auf der Bühne. Aus diesen vier Auftritten entstand ein beeindruckender Konzertfilm, in dem die Kamera immer wieder über den Musikern auf der Bühne kreist, die Reaktionen des begeisterten Publikums einfängt, aber vor allem die Inszenierung des Konzerts in die Kinos holt. Denn auf einer gigantischen Videoleinwand laufen von Waters selbst inszenierte Bilder ab, kleine Filme mit Schauspielern, Fieberträume, wilde Animationen, die sich in den Konzertshows und nun eben auch in „Roger Waters Us + Them“ immer wieder mit der eigentlichen Musik zu einem mitreißenden multimedialen Strudel vermischen.

    Pink Floyd lässt grüßen!

    Unterstützt von einem herausragenden Sounddesign schaffen es Waters und Evans, genau das zu tun, was man sich von einem Konzertfilm erwartet und erhofft: Einen im Kino so mitzureißen, als wäre man selbst in der Arena dabei. Immer wieder nutzen sie die Surround-Soundanlage voll aus, um die Zuschauer aus verschiedenen Richtungen zu beschallen, so bringen sie die volle Wucht der Performance des damals 74-jährigen Musikers und seiner Mitstreiter rüber. Wie schon bei ihrem vorherigen Konzertfilm „Roger Waters The Wall“ erschaffen sie auch diesmal wieder unglaubliche Bilder. Da fängt die Kamera nicht nur wiederholt den Spaß der Frauen und Männer auf der Bühne ein, sondern natürlich auch immer wieder das Publikum: Zu den typischen Großaufnahmen von Menschen, die voller Inbrunst ihre Lieblingshits mitsingen, kommt auch eine wunderbar passende Aufnahme einer jungen Frau, der Tränen über die Wange rollen.

    Wenn Waters und Evans die Visualisierungen auf der Videoleinwand einsetzen, um die Wirkung der Songs zu verstärken oder zu erweitern, wirkt das vor allem auf der Kinoleinwand gigantisch. Ein besonderes Spektakel ist es zudem, wenn sich scheinbar mitten im Publikum plötzlich eine riesige Fabrik aus dem Boden erhebt, aus deren Schloten anfangs giftgrüner Rauch quillt. Die Erde beziehungsweise der Kinosaal bebt in diesem Moment. An einer anderen Stelle verschmelzen die funkelnden Kleider zweier Sängerinnen mit der Weltall-Szenerie auf der Videowand, weshalb es so wirkt, als würden ihre Köpfe schweben. Oder es stehen plötzlich mehr als ein Dutzend Gestalten auf der Bühne, die mit ihren orangenen Jump-Suits (die Aufschrift „Maggie’s Farm“ ist eine Verbeugung vor Bob Dylan) und Säcken über dem Kopf an Guantanamo-Häftlinge erinnern. Als sie die Kapuzen abziehen, sind es Kinder, die uns sofort das legendäre „We don't need no education! We don't need no thought control!“ aus Pink Floyds Klassiker „Another Brick In The Wall“ entgegenschleudern. Das ist der grandiose Höhepunkt eines sensationellen Konzerts, das ab diesem Moment erst so richtig politisch wird.

    Die volle Wucht Wut

    Waren die politischen Einschübe und das Plädoyer für mehr Menschlichkeit vorher noch vergleichsweise subtil eingewoben, wird nun Waters‘ ganzer Zorn spürbar: „Is This The Life We Really Want?“ ist nicht von ungefähr der Titel des Soloalbums, aus dem die meisten Songs bei diesem Konzert stammen. Immer wieder verweist Rogers auch auf das Pink-Floyd-Album „Animals“ aus dem Jahr 1977, auf dem er eine düstere Zukunft prophezeite, die nun genauso eingetreten sei. Subtil ist nichts mehr, wenn Waters „Pigs rule the world! Fuck the pigs!“ schreit, Donald Trump und der G7-Versammlung den Stinkefinger zeigt sowie für ein freies Palästina skandiert. Schon mit Pink Floyd besang er Geld als die Wurzel allen Übels und so darf auch der Song „Money“ gen Ende des Konzerts nicht fehlen, den Waters zusätzlich nun auch noch mit Zitaten des US-Präsidenten, der wenige Monate vor Tourbeginn sein Amt antrat, unterlegt. Man kann Waters Wut verstehen, doch am Ende wird es etwas zu viel, etwas zu direkt, zu sehr mit dem Holzhammer. Groß schaden tut das „Roger Waters Us + Them“ aber nicht mehr – dafür ist dieser Konzertfilm einfach lange Zeit viel zu mitreißend und viel zu sensationell inszeniert.

    Fazit: Ein mitreißender Konzertfilm und ein Kino-Pflichtbesuch für alle Fans von Roger Waters und Pink Floyd.

    Wir haben „Roger Waters Us + Them“ bei den Filmfestspielen in Venedig gesehen, wo er außer Konkurrenz im offiziellen Programm gezeigt wurde.

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