Mein Konto
    Online für Änfänger
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Online für Änfänger

    Gegen Google, Facebook und Co.

    Von Lutz Granert

    In den Komödien der Filmemacher Benoît Delépine und Gustave Kervern zeichnet sich immer deutlicher ein wiederkehrendes Thema ab: Der kleine Mann kämpft mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen das übermächtig erscheinende System. Gleich in ihrem wunderbar bösartigen Debüt „Aaltra“ (2006) ließen sie zwei eigentlich verfeindete Nachbarn, die nach einem Unfall mit einem fehlerhaften Traktoranhänger an den Rollstuhl gefesselt sind, gegen einen Hersteller von Landmaschinen antreten (bzw. anrollen).

    In ihrem Road-Movie „Mammuth“ (2010) schickten sie Gérard Depardieu als grobschlächtigen Pensionär auf eine Reise quer durch Frankreich, um bei seinen Arbeitgebern fehlende Belege einzufordern, ohne die er keinen Anspruch auf Rente hat. Dieses David-gegen-Goliath-Motiv verfolgen Delépine und Kervern nun auch in der Technologie-Satire „Delete History“, in der drei unbedarfte Franzosen und Internet-Opfer gegen Google, Facebook & Co. zurückschlagen. Dabei sitzt nicht jede Pointe (von denen man viele auch schon kennt) und auch die Gesellschaftskritik wird eher zaghaft angedeutet, aber die Komödie hat dennoch ein solch eng getaktetes Maß an Situationskomik, dass der Film trotzdem eine Menge Spaß bietet - mit einem hohen Wiedererkennungswert der verhandelten Konflikte von der nur vermeintlich kostenfreien Telefonschleife bis zum angedrehten Abo.

    Gemeinsam ziehen drei Franzosen gegen die Internet-Konzerne ins Feld.

    In einem französischen Provinzstädtchen in der Region Hauts-de-France haben drei Nachbarn, die sich bei den Gelbwesten-Protesten angefreundet haben, mit verschiedenen Alltagsproblemen zu kämpfen: Marie (Blanche Gardin) hat in ihrem Leben noch nie wirklich gearbeitet und verdient sich ihren Lebensunterhalt nach dem Auszug ihres Mannes vor allem mit dem Verkauf der Hauseinrichtung im Internet (viel ist nicht mehr übrig). Nach einer durchzechten Nacht konfrontiert sie ein Flirt (Vincent Lacoste) zudem mit einem Sextape – und will 10.000 Euro erpressen, sonst lädt er es auf einer Videoplattform hoch.

    Der Ladenbetreiber Bertrand (Denis Podalydès) hat ebenfalls Geldsorgen, da er bei Werbeanrufen nicht „Nein“ sagen kann und seine Kreditwürdigkeit inzwischen erschöpft ist, während sich seine Tochter wegen eines Mobbing-Videos nicht mehr in die Schule traut. Seine einzige Hoffnung: eine Telefonverkäuferin, in deren Stimme er sich verliebt hat. Christine (Corinne Masiero) hat durch ihre Serien-Sucht ihren Job in einem Atomkraftwerk verloren und arbeitet deshalb als Fahrerin bei einem Mietwagenservice, wo sie allerdings immer nur 1-Sterne-Wertungen von ihren Kunden erhält. Irgendwann ist sich das Trio einig, dass das Internet und ihre Smartphones die Schuld an ihren Miseren tragen – und sie wollen sich ihre Daten mit allen Mitteln wieder zurückholen...

    Tiefgefrorene Passwörter

    „Delete History“ ist am Puls der Zeit – und konfrontiert seine Zuschauer im Minutentakt mit immer anderen Unwägbarkeiten des digitalen Zeitalters. Das Drehbuch von Benoît Delépine und Gustave Kervern ist regelrecht vollgestopft mit digitalkritischen Pointen, sodass auch einige abgestandene oder alberne Gags um Captcha-Codes, von Facebook nicht beantwortete Briefe und ausgebeutete Mitarbeiter von Online-Versandhäusern nicht weiter stören. Marie weiß sich etwa bei dem Wust an Passwörtern nicht anders zu helfen, als diese mit Edding in ihren Kühlschrank zu schreiben – die Türinnenseite ist längst voll, weshalb inzwischen auch das Tiefkühlfach dafür herhalten muss.

    Bertrand versucht unterdessen verzweifelt, ein vor dem Tod seiner Frau abgeschlossenes und inzwischen angemahntes Abo für Bio-Gemüse zu kündigen. Für den größten Lacher sorgt jedoch der Kurzauftritt des zerzausten Bestsellerautors und Provokateurs Michel Houellebecq („Elementarteilchen“), der das digitale Zeitalter ebenfalls endgültig satthat und seinem Leben nun im guten, alten Dieselauto von Bertrand mit eingeleiteten Abgasen ein Ende setzen will.

    "Gott" regelt das schon

    Allerdings enttäuschen die flachen Hauptfiguren. Als Mittfünfziger mit schwierigen Familiensituationen und Geldsorgen unterscheiden sich die spielfreudigen Corinne Masiero („Der Geschmack von Rost und Knochen“), Denis Podalydès („Intrige“) und Blanche Gardin („Die Weissagung“) nur marginal darin voneinander, in welche digitale Falle von vermeintlich kostenfreier Antiviren-Software bis zum Premium-Account eines Streaming-Portals sie genau tappen. Da passt auch ein paranoider, rauschebärtiger Hacker namens „Gott“ (Bouli Lanners) als weiteres Stereotyp hervorragend ins Bild. Er gewährt Marie, Bertrand und Christine nur maskiert und ohne Mitnahme eines Smartphones eine Audienz in seinem kleinen Reich im Inneren eines Windrads – um ihnen dann bedeutungsschwanger etwas von übermächtiger Apple-K.I. vorzufaseln, gegen die nicht einmal er etwas ausrichten kann.

    Besonders entlarvend ist dabei übrigens die Selbstverständlichkeit, mit dem das Trio die ständigen Rückschläge hinnimmt, selbst die Sex-Tape-Erpressung wird einfach so als neue Normalität akzeptiert. Wenn die drei Protagonisten aber schließlich aus ihrem digitalen Alltag auszubrechen versuchen, gerät die angestrebte Abrechnung mit den Tech-Giganten im letzten Viertel des Films leider allzu vorhersehbar. Marie gelingt es logischerweise nicht, in die riesigen Rechenzentren von Google und Apple vorzudringen, und Bertrands Date mit einer netten Telefonstimme auf Mauritius endet ebenfalls mit einer lange vorhergesehen Pointe.

    Eher gefällig als bissig

    Weil die Telefonstimme Bertrand auch als Wichsvorlage dient, gibt es zwischendrin auch eine „Verrückt nach Mary“-Gedächtnis-Szene mit als Kleber fungierendem Sperma auf dem Handy-Display – aber das bleibt zum Glück der einzige Ausflug in den das eine Mal aber tatsächlich ganz amüsanten Vulgärhumor. Aber auch wenn wir davon tatsächlich nicht noch mehr brauchten, hätten Delépine und Kervern ansonsten trotzdem gern noch ein wenig weiter gehen dürfen bei ihrer satirischen Abrechnung – denn letztlich bleibt das Skript doch eher harmlos, man lacht vor allem, weil man die meisten Situationen aus dem eigenen Leben in irgendeiner Form wiedererkennt, und nicht, weil sie mit aller Bissigkeit vorgetragen werden. Ihr politisch zutiefst unkorrektes, grandios garstiges Regiedebüt „Aaltra“ war da noch ein ganz anderes Kaliber.

    Fazit: Benoît Delépine und Gustave Kervern erzählen in „Delete History“ erneut die Geschichte des kleinen Mannes gegen das böse System – und sparen dabei nicht mit zündender Situationskomik, in der sich jeder, der schon mal online gegangen ist, sofort wiederfinden wird. Zugleich bleiben die Charaktere flach und den Spitzen gegen die Fallstricke des digitalen Zeitalters fehlt dann oft doch noch das letzte bisschen Biss.

    Wir haben „Delete History“ im Rahmen der Berlinale gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top