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    Corpus Christi
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Corpus Christi

    Ein Wolf im Schafspelz

    Von Christoph Petersen

    In Neil Jordans „Wir sind keine Engel“ spielen Robert DeNiro und Sean Penn zwei flüchtige Verbrecher, die sich als Priester ausgeben, um an einer Polizeiblockade vorbeizukommen. Aber damit waren die beiden Oscargewinner 1989 längst nicht die ersten, die sich in einem Film eine Priester-Soutane oder Nonnen-Kutte überwerfen, die ihren Figuren eigentlich gar nicht zusteht. Vielmehr sind religiöse Würdenträger seit jeher eines der Lieblingsziele von Verwechslungskomödien: Steckt der Verbrecher erst einmal in der Sittlichkeit versprechenden Christenkluft, schreiben sich die Gags im Anschluss fast wie von allein.

    Corpus Christi“ von Jan Komasa basiert auf der wahren Geschichte eines jungen Mannes, der sich in einer polnischen Gemeinde drei Monate lang als Priester ausgab und dabei auch alle mit dem Amt einhergehenden Zeremonien durchführte. Dieser Stoff schreit doch regelrecht nach einer erbauenden Komödie – und der Plot von „Corpus Christi“ folgt tatsächlich lange Zeit dem erwartbaren Schema: Daniel (Bartosz Bielenia) soll nach seiner Entlassung auf Bewährung eine Stelle in einem Sägewerk in der Provinz antreten. Dabei will er eigentlich ein katholisches Amt anstreben, nur hat er wegen seiner Vorstrafe keine Aussicht auf einen Platz im Priesterseminar.

    Daniel fühlt sich vor „seiner“ Gemeinde so wohl wie noch nie im Leben!

    Vor Ort gibt sich Daniel deshalb zunächst nur aus Spaß als Mann Gottes aus. Aber nach dem Zusammenbruch des echten Priesters übernimmt der Neuankömmling übergangsweise dessen Amt. Dabei begeistert und inspiriert er die dörflichen Kirchengänger mit seinen Worten, die so viel offener und ehrlicher sind als alles, was sie zuvor in den Predigten gehört haben. Zugleich legt er sich aber auch mit dem Bürgermeister und Sägewerk-Betreiber Walkiewicz (Leszek Lichota) an, weil er die katholische Lehre eben nicht länger so auslegt, wie es den Reichen und Selbstgerechten gerade in den Kram passt...

    Die Überschrift über dieser Kritik lautet „Der Wolf im Schafspelz“. Aber damit ist nicht etwa Daniel gemeint, der sich als Priester ausgibt. Die stechend-blauen Augen von Bartosz Bielenia, denen sich nicht nur der Gläubige während der Predigt, sondern auch der Zuschauer im dunklen Kinosaal nicht länger zu entziehen vermag, strahlen zwar neben purer Güte immer auch eine darunter schlummernde Gefährlichkeit aus, die scheinbar nur darauf wartet, sich mit aller brachialer Gewalt ihren Weg zurück an die Oberfläche zu bahnen. Aber der wahre „Wolf im Schafspelz“ ist der Film selbst, der zwar auf der Handlungsebene den Gesetzmäßigkeiten des Erbauungskinos folgt, aber im selben Moment so viel tiefer vorstößt und so viel weniger harmlos ist als die allermeisten Vertreter dieses sonst so zahnlosen Genres.

    Der polnische "Parasite"

    Es passt, dass der oscarnominierte „Corpus Christi“ bei der diesjährigen Verleihung der Academy Awards in der Kategorie Bester internationaler Film ausgerechnet gegen Bong Joon Hos „Parasite“ den Kürzeren gezogen hat. Schließlich bedienen sich beide Filme komödiantischer Stilmittel, um im selben Moment mit erbitterter Ernsthaftigkeit Gesellschaftskritik zu üben. „Corpus Christi“ kippt dabei allerdings nie in Richtung einer überhöhten Satire, sondern bleibt immer ganz fest mit beiden Beinen auf dem Boden, wenn die Doppelmoral der Am-Sonntag-in-der-ersten-Reihe-Sitzer entblößt wird.

    Dabei ist „Corpus Christi“ – durchaus überraschend – gar keine Abrechnung mit der Religion oder auch nur der Institution Kirche an sich. Vielmehr ist Daniel ja das perfekte Beispiel, welche positiven Auswirkungen auf die Gesellschaft beides haben könnte, wenn von dort oben nur eben jemand predigt, der selbstlos, gütig und offen ist. Aber das ist natürlich eine bloße Utopie – und dass „Corpus Christi“ kein Film ist, der sein Publikum mit einem solch einfachen Ausweg und verlogenen Happy End aus dem Saal entlässt, hat man als Zuschauer zu diesem Zeitpunkt längst verstanden...

    Fazit: „Corpus Christi“ tut nur so, als sei er ein erbaulicher Wohlfühlfilm – entpuppt sich dann aber als erbitterte Abrechnung mit der Verlogenheit angeblich Gläubiger, ohne deshalb gleich die Religion an sich zu verdammen. Kein bloßes Lippenbekenntnis, sondern ein kraftvolles Plädoyer für mehr Menschlichkeit, das seine Message mit einem mächtigen Schlag in die Magengrube verbindet.

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