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    Barbarian
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Barbarian

    Den WTF-Horror der Saison gibt‘s ausgerechnet bei Disney+

    Von Christoph Petersen

    Natürlich gibt es Horrorfilme, die das Publikum mit einem plötzlichen Twist oder einer cleveren Auflösung überraschen – und trotzdem ahnt man in 99 Prozent aller Fälle bereits nach den ersten 15 Minuten, wie der Hase läuft. „Barbarian“, der international zwar mehr als das Zehnfache seines 4,5-Millionen-Dollar-Budgets eingespielt hat, in Deutschland aber trotz dieses Kino-Erfolgs direkt im Streaming-Abo-Angebot von Disney+ erscheint, ist eine der ganz seltenen Ausnahmen. Deshalb ist es auch empfehlenswert, sich den Film mit so wenig Vorwissen wie nur irgendwie möglich anzusehen, also gegebenenfalls auch Kritiken erst nach dem Schauen in voller Länge zu lesen:

    Denn wer hier bereits nach der Auftaktviertelstunde korrekt vorhersagt, in welche Richtung sich der WTF-Horror von Regisseur und Drehbuchautor Zach Cregger („The Civil War On Drugs“) noch entwickeln wird, der muss tatsächlich übersinnliche hellseherische Fähigkeiten besitzen – während sich all die Normalsterblichen unter uns auf eine wahrhaft wilde Achterbahnfahrt freuen dürfen. Der wendungsreiche „Barbarian“ zieht seiner verschreckten Zuschauerschaft immer wieder den Boden unter den Füßen weg – bis er das Publikum mit seinen finalen Szenen endgültig spaltet…

    Bill Skarsgård hat einfach so ein Gesicht, zu dem „perfekter Schwiegersohn“ genauso gut passt wie „serienmordender Psycho“.

    Dabei fängt alles noch ganz simple an: Tess (Georgina Campbell) hat am nächsten Tag ein Vorstellungsgespräch in Detroit – und sich deshalb per Airbnb ein kleines Häuschen in einem der schlechteren Viertels der Stadt gemietet. Als sie dort spätabends eintrifft, ist die Schlüsselbox allerdings leer und im Haus schläft bereits ein Mann namens Keith (Bill Skarsgård). Offenbar wurde die Unterkunft über zwei verschiedene Apps versehentlich doppelt vermietet.

    Weil gerade eine große Konferenz in der Stadt tagt, ist auf die Schnelle auch kein Hotelzimmer mehr zu bekommen. Keith bietet Tess das Schlafzimmer an, während er selbst auf der Couch im Wohnzimmer pennen will. Tess nimmt das Angebot zunächst noch zögerlich an – und ist auch sonst immer auf der Hut: So nimmt sie etwa nur Getränke aus Flaschen an, die vor ihren Augen geöffnet werden. Aber dann steht nachts plötzlich die eigentlich abgeschlossene Tür zu ihrem Zimmer offen – und Keith behauptet, damit nichts zu tun zu haben…

    Volle Kanne "Psycho"

    Zach Gregger spielt vor allem in dieser ersten halben Stunde seine ganze inszenatorische Meisterschaft aus: Aus der simplen Prämisse, das zwei Fremde miteinander Zeit in einem fremden Haus verbringen müssen, zieht er das Maximum an intensiv-verstörender Atmosphäre (obwohl eigentlich gar nichts Schlimmes passiert). Geschickt lockert er die Spannungsschraube dabei immer wieder kurz, nur um sie dann noch fester anzuziehen – so löst sich etwa Tess‘ Argwohn komplett in Luft aus, als sie erfährt, dass Keith zu einem von ihr hochgeschätzten Künstlerkollektiv gehört, bevor die Sache mit der offenen Tür wieder alle Alarmglocken schrillen lässt.

    Wenn es einfach nur so weitergehen würde, wäre „Barbarian“ trotzdem ein richtig schön fieser kleiner Schocker – zumal nicht nur Tess, sondern auch das Publikum komplett daran scheitert, Pennywise-Darsteller Bill Skarsgård („ES“) richtig einzuschätzen. Aber natürlich würde dann nicht die ganze Welt über den Film als angehenden Horror-Klassiker diskutieren: Stattdessen huldigt Zach Gregger dem Master of Suspense persönlich – und zitiert eine zentrale Erzähltechnik aus Alfred Hitchcocks „Psycho“, wenn wir irgendwann plötzlich den Schauspieler AJ Gilbride (Justin Long) in seinem roten Cabrio an der Küste entlangfahren sehen.

    AJ (Justin Long) ist ein richtiges Hollywood-Arschloch – und muss nun mit den Konsequenzen seines toxischen Handelns leben.

    AJ erfährt gerade von seiner Agentin, dass ihn eine Kollegin aus einem gerade abgedrehten Serien-Piloten der Vergewaltigung bezichtigt. Von einem Moment auf den nächsten ist die Karriere des Hollywood-Hotshots gecancelt. Um seine Anwaltskosten bezahlen zu können, muss er all sein Hab und Gut verkaufen – und zu dem zählt auch jenes Airbnb-Haus, das wir bereits aus dem Auftakt des Films kennen. Im Trailer wird „Barbarian“ übrigens als „der gruseligste Film seit Jahren“ angepriesen und zumindest komplett aus der Luft gegriffen ist die Einschätzung sicherlich nicht.

    Aber es ist eben besonders spannend, weil die oft schockierende Wirkung des Films auf eine ganz andere Weise entsteht, als wir es gewohnt sind: Ja, es gibt handwerklich hervorragende Jump – und ja, es gibt auch einige blutig-brutale Einschübe. Aber der Hauptgrund ist, dass sich hier selbst erfahrene Genre-Fans kaum auf die eingeübten Konventionen verlassen können, sondern zur Abwechslung mal wieder ohne Netz und doppelten Boden auskommen müssen – fast so wie damals, als man sich zum allerersten Mal einen Horrorfilm angesehen hat…

    Fazit: Der oft bitterböse „Barbarian“ ist vor allem deshalb so ungemein effektiv, weil selbst ein genreerfahrenes Publikum lange nichts hat, an dem es sich festklammern kann. Eine waschechte Horror-Wundertüte, die einen so wild durchschüttelt wie eine mit Loopings vollgestopfte Achterbahnfahrt.

     

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