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    Deathcember - 24 Doors To Hell
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Deathcember - 24 Doors To Hell

    Hinter jedem Türchen lauert der Horror

    Von Christoph Petersen

    Nach dem großen Erfolg der Anthologie-Projekte „The ABCs Of Death“ und „The ABCs Of Death 2“ (in Deutschland nach der Zerstückelung für eine FSK-Freigabe erschienen als „22 Ways To Die“ und „23 Ways To Die“) gibt es nun mit „Deathcember“ einen spirituellen Nachfolger – und der stammt sogar aus Deutschland: Wie die „ABCs“-Initiatoren Ant Timpson und Tim League, denen im Abspann auch fair für ihre Inspiration gedankt wird, haben Deadline-Autor Dominic Saxl, Anolis-Entertainment-Produktmanager Ivo Scheloske und Frank Vogt, Geschäftsführer der Postproduktionsfirma Magna Mana, 28 deutsche und internationale Regisseure davon überzeugt, für ein relativ schmales Budget einen drei bis fünf Minuten langen Kurzfilm für das gemeinsame Projekt beizusteuern.

    Präsentiert werden die 26 so entstandenen Horror-Shorts in Form eines filmischen Adventskalenders (nach den Türchen 1 bis 24 gibt es die beiden übrig gebliebenen Beiträge als Extras zur Auflockerung des bei so vielen Beteiligten natürlich nicht gerade kurzen Abspanns). Gelungen ist dabei vor allem die Mischung aus jungen Talenten und alten Hasen wie Lucky McKee („May“) oder sogar Ruggero Deodato („Cannibal Holocaust“). Auch dass sich nicht jeder einzelne Regisseur sklavisch an das Weihnachtsthema hält, tut „Deathcember“ gut. Ansonsten gilt, was auf jede Kurzfilm-Anthologie mit einem solchen Umfang zutrifft: Es gibt gelungene und es gibt weniger gelungene Beiträge – wobei sich die Ausschläge in beide Richtungen in Grenzen halten. „Deathcember“ hat weniger Totalausfälle als die beiden „ABCs“-Teile – aber auch nur drei Beiträge, über die es sich noch über den Abspann hinaus länger zu diskutieren lohnt.

    Auch blutrünstige Weihnachtsmänner gibt es in "Deathcember" nicht zu knapp.

    Der Film hinter dem ersten Türchen, „A Door To Far“ von Mitinitiator Dominic Saxl, in dem ein Junge die Schokolade aus dem Adventskalender seiner kleinen Schwester auffrisst und schließlich eine Bestrafung wie aus dem Struwwelpeter über sich ergehen lassen muss, ist dabei direkt ein passender Gradmesser: eine nette Idee, eine solide Pointe und dabei so kurz, dass diese beiden Dinge auch ohne große inszenatorische Glanzstücke ausreichen, um eine Handvoll Minuten ordentlich zu unterhalten, bis es auch schon direkt mit dem nächsten Türchen weitergeht.

    Auffällig ist dabei allerdings das sehr unterschiedliche Produktionsniveau: Während „A Door To Far“ tatsächlich so aussieht, als hätten ihn ein paar versierte Freunde an einem Wochenende zusammen abgedreht (was anderes kann man bei dem zur Verfügung gestellten Budget eigentlich auch nicht erwarten), muten andere Beiträge doch sehr viel hochwertiger an, was wohl auch damit zu tun hat, dass einige der Filmemacher zusätzlich noch eigenes Geld in ihre Produktionen gesteckt haben – und diese unbedingte Leidenschaft merkt man den entsprechenden Kurzfilmen dann auch an.

    Apropos Leidenschaft: Bevor ich jetzt etliche Filme aufzähle, die ich alle nur okay fand, konzentriere ich mich lieber auf das Trio, das für mich aus den 145 (!) Minuten von „Deathcember“ ganz besonders heraussticht:

    1. "Villancicos" von Isaac Ezban

    Der schon rein produktionstechnisch gelungenste Beitrag stammt aus Mexiko – und zwar von Isaac Ezban, der ja auch in seinen Langfilmen wie „The Similars“ gerne High-Concept-Genre-Ideen mit jeder Menge Stilwillen konsequent durchexerziert: In der schwarzen Komödie „Villancicos“ geht es um eine Familie, die um ihren sterbenden Sohn trauert – bis der Vater feststellt, dass die Lieder der an Weihnachten vorbeischauenden Sternensänger sein Herz offensichtlich am Schlagen hält. Also müssen sie weitersingen und weitersingen und weitersingen...

    Eine ganz und gar simple Idee, aber dafür umso grandioser umgesetzt, auch was Ausstattung, Kostüme und Make-up angeht – ein Kurzfilm wie ein surrealer, absurder, zeitloser Sketch von Monty Python.

    2. "Pig" von Andreas Marschall

    Es hat immer ein Geschmäckle, wenn die erste Reaktion auf #MeToo nicht „Endlich wird den missbrauchten Frauen eine Stimme gegeben“ ist, sondern eher in die „Aber jetzt bloß keinen Mann zu viel beschuldigen“-Richtung geht – und es entbehrt sicherlich auch nicht einer gewissen Ironie, dass bei der Berliner Vorführung von „Deathcember“ bei den Fantasy Filmfest White Nights ausgerechnet eine Schauspielerin aus „Pig“ den Produzenten dafür dankte, dass sie in ihrem Projekt so viel Platz für Missbrauchsgeschichten eingeräumt hätten.

    Schließlich weiß auch Regisseur Andreas Marschall („German Angst“) selbst, dass er sich da auf dünnem Eis bewegt – zumindest wurde er, sonst so forsch und extrovertiert, plötzlich ganz zurückhaltend und leise, als er beim Q&A nach der Aussage seines Beitrags gefragt wurde. Aber das muss er gar nicht: Denn sein Film über eine Gruppe weiblicher Missbrauchsopfer, die bei ihrem Rachefeldzug das rechte Maß (und das eigentliche Ziel) aus den Augen verliert, lässt mehr als genug Platz für Ambivalenzen, um nicht als das Leinwand-Äquivalent von misogynen Kommentarspalten-Trolls durchzugehen. Provokant? Auf jeden Fall – und zwar auf eine spannende, diskussionsstartende Art...

    3. "Crappy Christmas" von Juergen Kling

    Gar nicht zweideutig ist hingegen der Film, von dem die Produzenten selbst sagen, dass er das Publikum bisher am meisten gespalten habe: In seinem Stop-Motion-Animationsfilm „Crappy Christmas“ rechnet Regisseur Juergen Kling gnadenlos mit der katholischen Kirche und pädophilen Pfarrern ab – und zwar mit Knetmassefiguren, die einem im ersten Moment suggerieren, das sei wohl witzig gemeint, aber das ist es dann – zumindest bis zum koffeinhaltigen Schlusstwist – ganz und gar nicht. So einen Film macht man nicht, wenn die Wut und die Verzweiflung der Macher nicht echt sind – und dann muss die katholische Kirche auch damit leben, dass ihre lange Zeit gedeckten Missbrauchspriester zumindest in ihrer Knetmasseform von übergroßen Dildos zersplattert werden.

    Fazit: Trotz der sehr, sehr stolzen Laufzeit von fast zweieinhalb Stunden erweist sich dieser filmische Adventskalender als erstaunlich kurzweilig – zugleich gibt es aber auch nur wenige Türchen, an deren Inhalt man sich auch nach dem Fest noch längere Zeit erinnern wird. Sprich: „Deathcember“ ist eine Horror-Anthologie mit wenigen Rohrkrepierern, aber auch nur wenigen herausstechen Highlights.

    Wir haben „Deathcember“ auf den Fantasy Filmfest White Nights gesehen.

     

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