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    Master & Commander - Bis ans Ende der Welt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Master & Commander - Bis ans Ende der Welt
    Von Jürgen Armbruster

    Wir schreiben das Jahr 2003. Die Zeit der großen Regisseure neigt sich unter dem immer größer werdenden Einfluss der allmächtigen Produzenten und Studiobosse dem Ende entgegen. Stanley Kubrick ist tot, Steven Spielberg schwankt zwischen eigenem künstlerischen Anspruch und Orientierung am Geschmack der breiten Masse, James Cameron macht sich seit seinem Welterfolg um ein Schiff samt des dazugehörigen Eisbergs ein schönes Leben, George Lucas zog mit seiner „Episode I“ den Zorn seiner Anhänger auf sich und Peter Jackson ist es trotz seiner über jeden Zweifel erhabenen Arbeit an der „Herr der Ringe“-Trilogie noch schuldig, diese Leistung über einen größeren Zeitraum zu bestätigen. Einer der letzten Überlebenden dieser aussterbenden Spezies ist der Australier Peter Weir. Unvergessen sein „Club der toten Dichter“, famos seine „Truman Show“, seit der mittlerweile fünf Jahre ohne jedes Lebenszeichen vergangen sind. Eine enorme Zeitspanne in der heutigen Schnelllebigkeit des Filmbusiness. Doch an der Konkurrenz orientierte sich Weir noch nie. Und das ist auch gut so. Denn nun ist er – Gott sei’s gedankt – mit seinem Hochsee-Epos „Master And Commander“ wieder da.

    Auf einen Prolog verzichtet Weir komplett. Zur Einstimmung dient lediglich ein kurzer Schriftzug, der für den Zuschauer grob die geschichtlichen Zusammenhänge umreißt. Nötig wäre dies jedoch nicht wirklich gewesen. Von der mit „Master And Commander“ angesprochenen Zielgruppe kann man eigentlich erwarten, dass sie sich darüber im Klaren ist, dass während der Zeit Napoleons zwischen Frankreich und England erbitterte Kämpfe tobten. Kapitän Jack Aubrey (Russell Crowe) ist Befehlshaber an Bord des englischen Kriegsschiffs „H.M.S. Surprise“. Als junger Offiziersanwärter diente er einst unter dem Kommando des legendären Lord Nelson, Englands größter Hoffnung im Kampf gegen Frankreich. Aubrey – von seinem Weggefährten ob seines Geschicks in der Schlacht auch liebevoll „Lucky Jack“ genannt – geht die Pflicht über alles. Sein aktueller Auftrag erscheint oberflächlich betrachtet recht simpel und alltäglich: Er soll das französische Schiff „Acheron“ aufspüren und vernichten.

    Doch schon beim ersten Aufeinandertreffen der beiden konkurrierenden Schiffe wird deutlich, dass es sich hier um ein ungleiches Duell handelt. Die Acheron ist das modernste Schiff der französischen Flotte. Dank des mehrere Fuß dicken Rumpfes prallen die Kugeln der Surprise an ihr ab und obendrein verfügt die Archeron aufgrund der größeren Kanonen noch über einen Reichweitenvorteil. Aubrey bleibt nichts anderes übrig, als mit seinem schwer beschädigten Schiff die Flucht anzutreten. Seine Mannschaft rechnete schon damit, dass sie den Heimathafen ansteuern, um die Verwundeten zu versorgen und die Schäden am Schiff zu reparieren, doch Aubrey hat andere Pläne. Er lässt die Surprise notdürftig in Stand setzen und macht sich auf die gefährliche Jagd nach dem unbesiegbar erscheinenden Gegner.

    Die Hintergrundgeschichte ist schnell erzählt und an sich auch nichts besonderes, doch in den Händen des richtigen Regisseurs ist sie ein Quell genialer Ideen. Der Zuschauer verlässt die Crew der Surprise zu keinem Zeitpunkt des Films, was dazu führt, dass die Acheron auch für ihn mehr und mehr zum gefürchteten Phantomschiff wird. Die Leiden der Protagonisten sind beinahe greifbar. Genau so muss das Seefahrerleben einst ausgesehen haben. Hart, schonungslos, rau. Dem jungen Fähnrich Blakeney (Max Pirkis) - eigentlich noch ein Knabe, aber aufgrund seiner Abstammung soll er bereits von Kindesbeinen an zum Kriegsstrategen erzogen werden - wird bereits nach der anfänglichen Schlacht zwischen Surprise und Acheron im Laudanum-Rausch ein Arm amputiert. Diese Szene ist von einer derartigen Intensität geprägt, dass man als Zuschauer eigentlich wegschauen möchte, es aber schlicht und einfach nicht kann.

    Der eigentliche Hauptplot wird durch kleine Episoden aus dem Seefahererleben und der sich daraus entwickelnden Eigendynamik immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Kapitän Aubury ist sich darüber im Klaren, dass der Mikrokosmos eines Schiffes nur dann funktionieren kann, wenn er seinen Männern absoluten gehorsam abverlangt und nötigenfalls die entsprechenden Konsequenzen zieht. So barbarisch und verwerflich das Auspeitschen eines Mannes aus heutiger Sicht auch erscheinen mag, Weir gelingt es tatsächlich glaubhaft zu vermitteln, dass dies in der entsprechenden Situation die einzig logische Reaktion war. Es sind die kleinen Geschichten die „Master And Commander“ auszeichnen. Selbst die zunächst langatmig erscheinende Episode um Mr. Hollom (Lee Ingleby) und ihr tragisches Ende fügt sich nahtlos ins Gesamtwerk ein. Im Mittelpunkt steht jedoch eindeutig die Beziehung zwischen Aubrey und seinem engsten Anvertrauten, dem Schiffsarzt Dr. Stephen Maturin (Paul Bettany). Maturin schwankt zwischen Forscherdrang und Pflichterfüllung. Er würde Aubrey zwar nie im Stich lassen, doch trotzdem ist er auch sein größter Kritiker.

    Ein glückliches Händchen hatte Weir bei der Besetzung seiner Filme schon immer. Wer hätte dem bis dato aufs Komiker-Metier beschränkten Jim Carrey in „The Truman Show“ schon eine derartige Performance zugetraut? War es wirklich kalkulierbar, dass ein Film, der dermaßen von Jungdarstellern wie „Der Club der toten Dichter“ getragen wird, so wunderbar funktioniert? Im Vergleich scheint es fast so, als wollte Weir im Vorfeld zu „Master And Commander“ jedwedes Risiko eliminieren. Wie sonst ist es zu erklären, dass er die Rolle des Kapitän Jack Aubury seinem Landsmann Russell Crowe anvertraute? Man mag vom Privatmann Crowe und den kleinen und großen Skandälchen um seine Person halten was man möchte, doch seine begnadeten schauspielerischen Qualitäten stehen außer Frage. Mit dem hier gebotenen, dürfte Crowe auch bei der kommenden Oscarverleihung ein Wörtchen mitreden. Mal wieder. Neben ihm glänzt wie in „A Beautiful Mind“ Paul Bettany als Dr. Maturin. Beide ergänzen sich optimal, spielen sich gegenseitig munter die Bälle zu und animieren sich so zu Höchstleistungen. Dass es sich bei den beiden um ein eingespieltes Paar handelt, lässt sich in jeder gemeinsamen Szene deutlich erkennen. Aus dem übrigen Cast sticht noch besonders der junge Max Pirkis hervor. Er ist die große Überraschung des Films. Gleichermaßen herzergreifend wie ernstzunehmend. Die Klasse eines Haley Joel Osment erreicht er zwar nicht ganz, aber in seiner Altersklasse gehört er zum Besten, was das bisherige Kinojahr zustande brachte. Einziger, wenn auch kleiner Wehrmutstropfen ist Billy Boyd. Dies liegt jedoch weniger an seiner Leistung, sondern am äußerst subjektiven Eindruck des Rezensenten. Irgendwie will der Pippin-Darsteller aus der „Herr der Ringe“-Trilogie nicht so recht in die Rolle des Seemanns passen. Doch dies ist der Fluch der Rolle seines Lebens. Sieht man ihn, dann rechnet man eben ständig damit, dass demnächst ein schwarzer Reiter durchs Bild huscht.

    An der technischen Umsetzung lässt sich bei „Master And Commander“ nicht das Geringste bemängeln. Die Surpirse und die Acheron sind durchweg bis ins kleinste Detail perfekt gestaltet, das große Unwetter steht dem in Wolfgang Petersens "Der Sturm" in nichts nach und bei den Schlachten werden epische Dimensionen erreicht. Weitaus beeindruckender als die optischen Elemente ist allerdings die Soundabstimmung. Unter der Wucht der gegen den Bug schlagenden Wellen kracht und ächzt das Gebälk permanent, was eine klaustrophobische Grundstimmung erzeugt und dem Zuschauer das Gefühl vermittelt, Teil des Geschehens zu sein. „Master And Commander“ sollte unbedingt in einem Kino mit moderner „Dolby Digital“-Anlage angeschaut werden, wo lästige Nebengeräusche einer analogen Tonabtastung ausgeschaltet werden.

    Unterm Strich ist Weir ein weiterer Geniestreich geglückt, der allerdings nicht ganz die große Klasse, seiner bisherigen Vorzeigefilme erreicht. Manche mögen vielleicht bemängeln, dass dem Film hin und wieder etwas die Luft ausgeht und er unter dem teils sehr behäbigen Erzähltempo leidet. Dem kann klar entgegnet werden, dass Weir keinen Unterhaltungsfilm schaffen wollte. Wer dies erwartet, ist hier definitiv im falschen Film. Weirs Ziel war es vielmehr, das perfekte Abbild einer längst vergangenen Zeit und des dazugehörigen Mikrokosmos auf einem Kriegsschiff zu kreieren. Dies ist ihm zweifelsohne perfekt gelungen. Glaubwürdiger war ein Hochsee-Drama noch nie. „Master And Commander“ ist anders, aber auf eine erfrischende Art und Weise.

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