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    Die Königin des Nordens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Königin des Nordens

    Wie "Game Of Thrones", nur in echt und ohne Drachen

    Von Oliver Kube

    Die seit 1972 zumindest formell regierende Königin Margrethe II. ist die erste Frau an der Spitze des Staates Dänemarks, seit Königin Margrete von 1375 bis 1412 unser Nachbarland angeführt hat. Die unterschiedliche Schreibweise des Namens ist übrigens kein Tippfehler: Tatsächlich hat es nie eine Margrethe I. gegeben. Die aktuelle Monarchin führt das „II.“ stattdessen hinter ihrem Namen, um ihrer Bewunderung für die Leistungen ihrer historischen Vorgängerin Ausdruck zu verleihen. Die schaffte es nämlich mit ihrem diplomatischen Geschick nicht nur auf den Thron ihres Geburtslandes, sondern auch auf den von Norwegen und Schweden. Ohne jemals offiziell gekrönt worden zu sein, gelang es ihr also, Skandinavien erstmals zu vereinen.

    Dabei ist Margrethe II. längst nicht allein mit ihrer Faszination für die mächtigste Frau der damals bekannten, nahezu komplett von Männern dominierten Welt. Auch Regisseurin Charlotte Sieling („Homeland“) beschäftigt sich schon lange mit ihr. Nach Jahren der Recherche hat die Kopenhagenerin nun einen auf wahren Begebenheiten basierenden, in einigen Belangen allerdings auch spannend-fiktionalisierten Mix aus Biopic, Historiendrama und Charakterstudie geschrieben und inszeniert. Der perfekt betitelte „Die Königin des Nordens“ ist vor allem visuell ein Genuss und präsentiert mit Trine Dyrholm zudem eine der vielseitigsten und besten Schauspielerinnen Europas in der Titelrolle.

    Eine weitere starke Rolle für die immer großartige Trine Dyrholm.

    1397 herrscht erstmals seit Jahrhunderten Frieden zwischen den skandinavischen Völkern. Der kriegsfreie Zustand führt zu einem bis dato nie dagewesenen Wohlstand im gesamten nordischen Raum. Ursächlich dafür ist vor allem das diplomatische Geschick von Königin Margrete (Trine Dyrholm), die einen Staatenbund zwischen Norwegen, Dänemark und Schweden geschaffen hat: die Kalmarer Union, die sie praktisch im Alleingang regiert. Aber nur fünf Jahre nach der Gründung droht eine neue Gefahr – dieses Mal allerdings von außen. Denn es mehren sich die Anzeichen, dass ein Angriff durch deutsche Truppen unmittelbar bevorsteht.

    Deshalb plant die Regentin eine Heirat zwischen ihrem Adoptivsohn Erik (Morten Hee Andersen) und der erst achtjährigen Prinzessin Philippa (Diana Martinová). Ein Vertrag mit Philippas Vater, dem König von England, soll den Reichsbund festigen und Feinde abschrecken. Mitten in den Verhandlungen mit dem englischen Gesandten (Paul Blackthorne) taucht jedoch plötzlich ein Mann (Jakob Oftebro) auf, der behauptet, Margretes schon vor langer Zeit für tot erklärter Sohn Oluf zu sein. Wenn das stimmt, wäre er der rechtmäßige König und sämtliche bisher getroffenen Vereinbarungen von Margarete null und nichtig. Ganz Nordeuropa würde ins Chaos stürzen und ein Krieg wäre wohl kaum noch zu verhindern…

    Sieht viel teurer aus als er ist

    „Die Königin des Nordens“ sieht einfach umwerfend aus und kann problemlos mit dem in derselben Ära spielenden „The Last Duel“ mithalten. Die edlen Kostüme, die opulente Ausstattung, die prächtigen Kulissen – all das wirkt sehr authentisch und befeuert die düstere Atmosphäre. Dazu kommen immer wieder epische Panoramaaufnahmen atemberaubender Landschaften, Küstenstreifen und Schlachtfelder. Diese nie überzogen lang eingesetzten Schauwerte geben Sielings Film oft eine ebenso epische Anmutung wie der bereits erwähnte Ritter-Blockbuster. Und das obwohl Ridley Scott bei seiner 100-Millionen-Dollar-Produktion ein Vielfaches an Budget zur Verfügung stand.

    Aber all das ist nur ein opulent-schmückender Hintergrund für die Story einer der faszinierendsten Persönlichkeiten der Geschichte: Dabei bleibt sowohl die Kamera von Rasmus Videbæk („Operation: 12 Strong“) als auch das von Sieling, Maya Ilsøe („Die Erbschaft“) und Jesper Fink („Før Frosten“) verfasste Drehbuch immer ganz nah an der Titelheldin: Es ist ein erstaunlich intimer Blick auf das Leben der über Dekaden hinweg mächtigsten Frau Europas, die von Trine Dyrholm („Königin“) komplett überzeugend als kluge, starke, dann aber auch emotional angegriffene Frau gespielt wird.

    Ist der fremde zerschundene Mann wirklich ihr verschollener Sohn? Das würde Krieg für ganz Skandinavien bedeuten!

    Speziell die Szenen mit Trine Dyrholm und Jakob Oftebro sind mitreißend: Ist dieser vernarbte, vom Leben offenbar hart getroffene Mann wirklich Margretes Sohn? Oder ist er nur ein Betrüger, der von den Feinden der nordischen Staaten beauftragt wurde, Zwietracht zwischen ihnen zu säen? Und selbst wenn er tatsächlich Oluf sein sollte – kann sie wirklich zulassen, dass seine Rückkehr die fragile Union zerstört, bevor sie langfristig Früchte trägt? Dyrholm braucht keine Worte, um diese innere Zerrissenheit ihrer Figur darzustellen.

    Welche Art von Regentin Margrete, die schon als Kind (im eröffnenden Flashback: Nicole Rosney) so viel Blutvergießen gesehen hat, ist, machen zwei Szene besonders eindringlich klar: Bei einer Konferenz mit den mächtigsten Vertretern der nordischen Länder und bei einem deutlich weniger förmlichen Treffen mit einem Piratenanführer (Linus James Nilsson), der aufgrund eines Abkommens mit ihr ausschließlich deutsche Schiffe kapert, droht sie nicht etwa mit Repressalien oder gar Gewalt. Stattdessen überzeugt sie ihre jeweiligen Gegenüber mit klugen Argumenten und Appellen an deren Vernunft, ihrer Vision eines vereinten, friedlich aufblühenden Nordens zu folgen.

    Notfalls auch auf die harte Tour

    Trotzdem ist Margrete keinesfalls soft oder gar schwach. Sie kann auch knallhart sein, wenn es angebracht ist. Das ahnen wir dank Dyrholms Performance schon früh – und werden es im weiteren Verlauf der Handlung dann auch so erleben. Ebenfalls aufgrund der starken schauspielerischen Leistung sind wir als Zuschauer*innen aber selbst in den moralisch ambivalenten Momenten auf Margretes Seite und spüren die Anspannung, die ihre Figur hier plagt, beinahe am eigenen Körper. Da bräuchte der gelegentlich leider etwas arg aufdringliche Score von „Life“-Komponist Jon Ekstrand gar nicht so dick auftragen. Die Musik plus die dünne Zeichnung einiger Nebenfiguren sind dann aber auch die einzigen nennenswerten Schwachpunkte von „Die Königin des Nordens“.

    Fazit: Ein erstklassig aussehendes, spannend erzähltes und sehr atmosphärisches Historien-Drama mit einer brillanten Hauptdarstellerin. Die wahre Geschichte einer faszinierenden Frau, deren Visionen, Taten und Entscheidungen bis heute ihre Spuren in Nordeuropa hinterlassen haben.

     

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