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    Der denkwürdige Fall des Mr Poe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Der denkwürdige Fall des Mr Poe

    Netflix' Fanfiction über den Meister des Grauen

    Von Janick Nolting

    Das Herz fehlt. Das titelgebende Organ aus einer der populärsten Kurzgeschichten von Edgar Allan Poe („Das verräterische Herz“) wurde dem Toten aus der Brust geschnitten. So spukt es gleich durch die ersten Bilder des neuen Films von Scott Cooper („Antlers“), der nach einem kurzen Kino-Gastspiel direkt im Angebot von Netflix landet: Aus Nebelschwaden taucht eine Leiche auf, nur schemenhaft zu erkennen, aufgehängt an einem Baum. Sie bildet den unheilvollen Ausgangspunkt für einen Kriminalfilm, der die literarischen Abgründe Poes wiederauferstehen lassen will.

    Der denkwürdige Fall des Mr. Poe“ ist dabei weniger eine direkte Adaption der Texte des Schauerliteraten, sondern eine Annäherung an deren Stimmungen und Motive. Coopers Film orientiert sich an der gleichnamigen Romanvorlage von Louis Bayard. Er changiert zwischen Detektiv- und Horrorgeschichte, Sittengemälde und Psychodrama. Poe tritt dabei zwar als handelnde Figur in Erscheinung – und doch fehlt diesem Film ein echter Antrieb, um all das ambitioniert zusammengefügte Genre-Gewebe mit Blut zu versorgen. Eine gähnende Leere klafft in seiner Brust, um in dem eingangs eröffneten Bild zu bleiben.

    Der Ermittler Augustus Landor (Christian Bale) sichert sich die Unterstützung des jungen Soldaten Edgar Allan Poe (Harry Melling).

     Christian Bale spielt den alteingesessenen Ermittler Augustus Landor, der 1830 an die Militärakademie im Hudson Valley gerufen wird. Er soll den rätselhaften Tod des erhängten und geschändeten Leichnams aufklären. Schnell steht fest, dass es sich um einen Ritualmord handeln muss. Während weitere grausige Funde nicht lange auf sich warten lassen, gerät Landor an den jungen Kadetten Edgar Allan Poe (Harry Melling), der mit seiner Faszination für alles Morbide schon bald eine wichtige Rolle bei den Ermittlungen spielen wird…

    (K)Ein Film über den Schriftsteller

    Edgar Allan Poe selbst auftreten zu lassen, birgt eine große Gefahr: die eines Biopics. Allzu viele Filme haben sich mal mehr, meist aber eher weniger erfolgreich an Biographien berühmter Autor*innen abgearbeitet und sich damit um eine Auseinandersetzung mit deren künstlerischen Schaffen herumgemogelt. Über Poes bewegtes Leben ist viel bekannt und doch hält Scott Cooper glücklicherweise nicht zu verbissen an der historischen Gestalt fest. Er verwandelt sie stattdessen in die fiktionalisierte Hälfte eines Ermittler-Duos.

    Harry Melling, der als Harry-Potter-Sidekick Dudley Dursley berühmt geworden ist, spielt diesen Poe als eine schrullige Gestalt. Bei seinem ersten Auftritt schwadroniert er im Alkoholrausch von der Symbolträchtigkeit des entfernten Herzens. Poe ist einer, der nicht zu seinem Umfeld und dessen Normen passen will und in seiner ganz eigenen Welt zu leben scheint. Aber macht das aus dem realen Autor gleich eine interessante Filmfigur? Viel mehr als eine Gratwanderung zwischen Genie und Wahnsinn angereichert mit Liebessehnsucht fällt Scott Cooper nicht ein, um sich dieser Persönlichkeit zu nähern.

    Toby Jones und Gillian Anderson zählen ebenfalls mit zu den Verdächtigen.

    Was er zudem über das literarische Wirken zu sagen hat, übt sich allein an Mythenpflege. Kunst wird hier in Träumen empfangen, das Tote geistert durch die Köpfe und sucht sich sein Ventil. Was Leser*innen aus späteren Texten Poes kennen, scheint hier indes schon im Alltag verankert zu sein. Die Grenzen zwischen schöpferischer Inspiration und Hommage an das Bestehende sind fließend. Coopers Romanadaption mutet wie eine opulente Fanfiction an. Ein Was-wäre-wenn, das sich eine Fantasie-Version der heranwachsenden Ikone Edgar Allan Poe erschafft, um sie durch deren eigenen erdachten Bilderwelten wandeln zu lassen.

    Frostige Gruselatmosphäre

    Zumindest in dieser Hinsicht gelingen Scott Cooper einige beeindruckend komponierte Szenen. Seine Stimmungsräume orientieren sich wirkungsvoll an Traditionen des Gothic Horrors. „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ spielt in kühlen, nebelverhangenen Winterlandschaften, zwischen Gräbern und Spukhäusern. Morbidität liegt in der Luft. Innen flackert das Kerzenlicht, der Wind heult durch die Dielen. Grimmig dreinblickende Gesichter ringen darum, sich überhaupt von der Dunkelheit abheben zu können. Menschen verwandeln sich teils in pechschwarze Scherenschnitte wie in einem Schattentheater.

    Und doch will sich in dieser einnehmenden Tristesse kein echtes Faszinosum zu erkennen geben. Gerade, weil es dem „denkwürdigen Fall des Mr Poe“ als Gothic-Schauerstück an einer Lust am Fantastischen und Grausigen fehlt. Dafür wird es weder allzu hart noch darf das Gespenstische allzu intensiv gruseln. Coopers Literaturverfilmung hält sich viel zu viel mit zwischenmenschlichen Befindlichkeiten auf, um über das Wundersame und Abgründige in den Köpfen und der Welt noch staunen zu können. Alles will hier irgendwann entzaubert und seiner Leerstellen beraubt werden, ohne damit einen echten Knalleffekt zu generieren.

    Die nebelvergangene Schaueratmosphäre ist die zentrale Stärke des Films.

    Ohnehin ist der ganze Kriminalfall für eine Laufzeit von über zwei Stunden ernüchternd schlicht gestrickt. Seine Mördersuche ist in einem zu eng abgesteckten Rahmen gefangen, um hinterher noch echte Überraschungen und Pointen bereithalten zu können. Natürlich muss nicht jeder Genrefilm alle Krimi-Vielseher mit verblüffenden Twists hinters Licht führen. Aber was bietet Scott Cooper denn stattdessen?

    Abgedroschener Kriminalfall

    Für das Rekonstruieren einer Epoche und eines Zeitgeistes genügt das Schwelgen im frostigen Niemandsland kaum aus. Für eine produktive Auseinandersetzung mit der Gegenwart schon gar nicht. Obwohl da eigentlich Interessantes lauert: Der Umgang mit Wahn als Ausbruch aus der der normalen Ordnung. Die Unsicherheiten eines starren Systems. Dieses präsentiert sich hier mit ganzer militärischer Strenge und Frömmigkeit, um dann vom Verbrechen erschüttert zu werden. Was „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ jedoch verkennt, ist die Tatsache, dass sein wirres Puzzlespiel solchen größeren Fragen fortwährend im Wege steht. Cooper findet zwischen abgedroschenen Täuschungsmanövern und Erzählmustern erst im finalen Akt eine gewisse Größe, weil er dort die ganzen aufgeblasenen Nebensächlichkeiten einmal beiseitelässt.

    Stattdessen gebührt seinen beiden heimgesuchten Protagonisten das Rampenlicht. Wenn sich Christian Bale („Amsterdam“) und Harry Melling in einer Kammer gegenübertreten, dann gibt es da für kurze Zeit echte, getriebene Charakterköpfe zu erleben. Viel zu spät dürfen diese Figuren glänzen, nachdem sie so lange damit beschäftigt sind, dem Publikum bedeutungsschwere Informationen vorzukauen. Scott Coopers wahre inszenatorische Stärken liegen sowieso eher im Schweigsamen und Uneindeutigen. Das hat er schon einmal in seinem Western-Meisterwerk „Hostiles – Feinde“ – ebenfalls mit Christian Bale in der Hauptrolle – bewiesen. Wenn letzterer hier in Eiseskälte und im Zwielicht mit seinen inneren Dämonen ringt, dann blitzen solche Stärken noch vereinzelt durch. Würden sie nicht sogleich wieder von all der bemüht konstruierten, geschwätzigen Spurensuche verschluckt werden, deren Auflösung schon früh aus der Mottenkiste winkt.

    Fazit: Scott Coopers Romanverfilmung überzeugt mit dichter Schaueratmosphäre. Denkwürdig, wie es der Titel verspricht, ist an dem langatmig und zerfasert erzählten Kriminalplot mit Edgar-Allan-Poe-Anleihen allerdings wenig.

     

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