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    Das fliegende Klassenzimmer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Das fliegende Klassenzimmer

    Ein hochaktueller Stoff – nicht unbedingt hochaktuell umgesetzt

    Von Helena Berg

    Erst wenn die Mutigen klug und die Klugen mutig geworden sind, wird das zu spüren sein, was irrtümlicherweise schon oft festgestellt wurde: ein Fortschritt der Menschheit”, schrieb Erich Kästner in seinem 1933 erschienenen Schulroman „Das fliegende Klassenzimmer”. 90 Jahre später startet nun die bereits vierte Verfilmung im Kino - wohl auch, weil die Themen des Stoffs auch heute noch genau so aktuell sind wie damals: Die Kluft zwischen Arm und Reich, Freundschaft, konkurrierende Banden und der Wunsch, klüger oder mutiger zu sein. Der Rahmen dafür: Eine Freundesgruppe im Internat in den Bergen, in dem die Feindschaft zwischen Schüler*innen vor den Ferien für ordentlich Chaos sorgt.

    Einige Änderungen haben Drehbuchautor Gerrit Hermans und Regisseurin Carolina Hellsgård neben englischen Wörtern wie „busy” natürlich vorgenommen. Wo die zentrale Freundesgruppe im Buch und allen vorherigen Filmen nur aus Jungs bestand, wird Martin nun zu Martina und der introvertierte Johnny zur coolen Jo. Der Schulleiter (gespielt von Tom Schilling) und der mysteriöse „Nichtraucher” (Trystan Pütter) bleiben Männer, der Deutschlehrer wird zur Lehrerin (Hannah Herzsprung). Statt Diktathefte zu verbrennen werden Handyvideos gelöscht und die Internatsbewohner*innen haben keinen Zwist mit den Realschülern, sondern mit den „Externen” – also jenen Kindern, die im Dorf bei ihren Familien wohnen.

    Solche Momente sommerlichen Abenteuers kommen in der Neuverfilmung leider zu kurz.

    Während die Entscheidung für mehr Frauenfiguren und moderne Technik absolut Sinn macht, ist die Feindschaft zwischen den Gruppen sehr unglücklich und unsensibel dargestellt: Während die „Externen” als verwöhnte Kinder ohne Probleme rüberkommen, müssen sich die „Internen” ständig anhören, dass ihre (Pflege-)Eltern sie ja eh nicht sehen wollen – verletzend für Jugendliche, die solche Erfahrungen machen müssen und für die der Film eine Identifikationsmöglichkeit hätte sein könnte. Das kann auch die Dynamik zwischen den vier Internatlern nicht auffangen, bei der man sich teilweise fragt, warum die Jugendlichen überhaupt befreundet sind. Genau hierin liegt doch eigentlich die Magie von Kinderfilmen: Der Lust auf Zusammenhalt, Spaß und Abenteuer.

    Spaß und Abenteuer kommen im neuen „Das fliegende Klassenzimmer” deutlich zu kurz. Super schön sind die Bilder der Berge, die Musik und besonders die Filmaufnahmen für das gleichnamige Theaterprojekt, bei dem man selbst Lust bekommt, kreativ zu werden. Hiervon hätte der Film deutlich mehr vertragen können. Stattdessen stehen aber körperliche Auseinandersetzungen im Vordergrund. Die verfeindeten Gruppen prügeln sich samt Boxhieben in die Magengrube und Blutspucken am See, die entführte Jo bekommt Ohrfeigen und der kluge, aber feige Uli fällt von der Stadtmauer und landet im Krankenhaus. Erschreckenderweise realisieren die Jugendlichen erst daraufhin, dass sie zu weit gegangen sind. Wie war das nochmal mit den klugen Mutigen und den mutigen Klugen? Gerade Kinder- und Jugendfilme haben doch die Kraft zu zeigen, woher Konflikte kommen und Wege aufzuzeigen, miteinander klarzukommen und eine Gemeinschaft zu werden.

    Tom Schilling ist als Schulleiter ein klares Highlight des Films!

    Umso schöner ist daher die Geschichte zwischen den Erwachsenen, die inhaltlich deutlich interessanter ist und von Tom Schilling und Trystan Pütter wunderbar getragen wird. Ihr Duett ist wahrscheinlich eines der Highlights des Films: „Denn mit Träumen kann man fliegen.” Der Neuverfilmung fehlt dennoch die Leichtigkeit an schönen Stellen und die Tiefe an den traurigen, sie bedient zu sehr Stereotype und denkt ihre Aktualisierungen nicht zu Ende.

    So wird der Deutschlehrerin beispielsweise von ihrer Tochter vorgeworfen, dass sie ja sowieso nichts mitbekommt, weil sie NIE zuhause ist (wofür es gar keine Anzeichen gibt) – und die gewissenhafte Martina muss sich um ihren Bruder kümmern, weil die Mutter dafür keine Zeit hat (von einem Vater und dessen Verantwortung fehlt jede Spur). Das ist schade, denn die Themen Armut, Überforderung, Einsamkeit, Ausgrenzung und Unzufriedenheit mit sich selbst verdienen auf jeden Fall einen Film mit Mut und Klugheit.

    Fazit: Die vierte Filmadaption von „Das fliegende Klassenzimmer” liefert schöne Bilder und die zeitlosen Sätze von Erich Kästner. Dabei ist das Bemühen zu spüren, den Stoff in die Gegenwart zu transportieren – der Film zeigt jedoch mehr Gewalt und Konflikte als kluge Ansätze und Lust auf Freundschaft und Zusammenhalt.

     

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