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    Die stillen Trabanten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die stillen Trabanten

    Verlorene bei Nacht

    Von Janick Nolting

    Thomas Stuber und Clemens Meyer sind zwei der aktuell bemerkenswertesten künstlerischen Stimmen, wenn es darum geht, etwas über den Osten Deutschlands zu erzählen. Das haben sie zuletzt besonders eindrucksvoll mit ihrer Großmarkt-Romanze „In den Gängen” gezeigt – und sie beweisen es nun erneut mit „Die stillen Trabanten”. Es ist nach „In den Gängen“ und dem und dem Kurzfilm „Von Hunden und Pferden“ bereits das dritte Mal, dass Stuber als Regisseur einen Text des Schriftstellers Meyer verfilmt.

    Für „Die stillen Trabanten” haben sie sich nun drei Geschichten aus Meyers gleichnamigem Erzählungsband herausgepickt und adaptiert. Drei Handlungsstränge, die Stuber mit einem hochkarätigen Ensemble in Szene setzt und zu einem herausragenden Stimmungsbild verwebt. „Die stillen Trabanten” ist nicht nur ein umwerfender Leipzig-Film, nicht nur ein Werk über das Leben in der ostdeutschen Stadt im Speziellen, sondern auch über gesellschaftliche Randbereiche in Deutschland im Allgemeinen.

    Nach einem harten Arbeitstag verliebt sich Christa (Martina Gedeck) in die Friseurin Birgitt (Nastassja Kinski).

    Die Reinigungskraft Christa (Martina Gedeck) zieht sich nach ihren beschwerlichen Schichten in eine kleine Bahnhofskneipe zurück, wo sie sich in die Friseurin Birgitt (Nastassja Kinski) verliebt. Woanders in der Stadt fühlt sich der Wachmann Erik (Charly Hübner) zu der jungen Migrantin Marika (Irina Starshenbaum) hingezogen, die auf der anderen Seite des Zaunes in einer Unterkunft für Geflüchtete lebt. Und der Burgerbrater Jens (Albrecht Schuch) nähert sich derweil bei einer Zigarette seiner Nachbarin Jana (Lilith Stangenberg) an, die zum Islam konvertiert ist und sich nun Aisha nennt…

    „Die stillen Trabanten” entwirft ein Porträt urbaner Einsamkeit. Lebenslügen, geplatzte Träume, in sich selbst gefangene Alltagsroutinen, die nun zaghaft beginnen, sich anderen gegenüber zu öffnen und anzuvertrauen. Die Fremdheitsbegegnungen, die Thomas Stuber mit seinem prominenten, durchweg stark aufspielenden Ensemble inszeniert, schwanken zwischen Erotik, Freundschaft, Empathie, dann aber auch Unbehagen, Traurigkeit und Frust. Fast scheint es so, als seien sie für all die Figuren eine letzte Gelegenheit, um ihrer psychischen Krise zu entkommen. Immer in der Angst, das wenige Glück wieder einzureißen.

    Ein Kino der Arbeiter und Ausgestoßenen

    Thomas Stuber und Clemens Meyer ziehen marginalisierte, übersehene Lebensrealitäten aus dem Verborgenen. Sie spielen sich in Plattenbauten, Ruinen, verrauchten Bars, tristen Imbissbuden ab. „Die stillen Trabanten” ist ein Film über Arbeiter*innen, die in prekären Verhältnissen leben und sich gerade so einen minimalen Lebensstandard leisten können. Und über jene, die in Übergangszonen, in Transiträumen verharren oder in ihnen verenden. Auch das gehört zu der gesellschaftlichen Norm, in deren Wunden der Film seine Finger legt.

    Gleich zu Beginn finden Männer (darunter Peter Kurth) eine Gruppe Geflüchteter im Gestrüpp. Ein Mädchen ist tot, vergiftet. Herbstzeitlose hat sie nichtsahnend gegessen. Kurz darauf geht es wieder zurück zur Tagesordnung, Mäharbeiten auf dem Feld stehen an. Kommen und Gehen, Leben und Sterben – und die kurzen Versuche, dazwischen so etwas wie Sinn zu stiften, sich in einem System zu behaupten, das soziale Missstände tagtäglich erduldet, um sich zu erhalten. Dafür interessiert sich dieser meisterhafte Film.

    Wachmann Erik (Charly Hübner) fühlt sich zu der Migrantin Marika (Irina Starshenbaum) auf der anderen Seite des Zauns hingezogen.

    „Die stillen Trabanten” schaut dabei in gezeichnete, sehnsuchtsvolle, nachdenkliche, aufgelöste Gesichter. Ihre Schicksale entspinnen sich in zaghaften Gesprächen und Gesten. Stubers Film erscheint ebenso einfühlsam beobachtet wie rau, trist und ungeschliffen. Er beschönigt wenig, führt schonungslos Arbeits- und Lebensrealitäten vor. In besonders beklemmenden Bildern verfolgt er etwa die von Martina Gedeck gespielte Christa bei der Arbeit. Einst verlor sie ihren Job im prestigeträchtigen Hotel Astoria, das nach der Wende geschlossen wurde. Jetzt befreit sie Züge am Ende des Tages von Müll, Unrat und Fäkalien.

    Poetische Risse im Sozialrealismus

    „Die stillen Trabanten” wühlt jedoch nicht einfach in Schmutz und Tristesse, sondern studiert ebenso Transformationsprozesse, hoffnungsspendende Aufbrüche. Und seien sie noch so kurzfristiger oder unvorhergesehener Natur. So versucht sich etwa Albrecht Schuchs Figur Jens unsicher am Religiösen – ein Fremdwort in der säkularen Ost-Sozialisation. Träume haben sie gehabt, aber geglaubt haben sie nie, wundert sich Jens’ Imbiss-Kollege Mario (Andreas Döhler). Ihr Lebenstraum vom Restaurant ist längst ein Schatten seiner selbst. Der rote Teppich, mit dem man ein glamouröses Ambiente zaubern wollte, wird herausgerissen.

    Nicht jede Charakterstudie mag dabei gleichermaßen komplex gelingen. Das ist die Schwachstelle, mit der „Die stillen Trabanten” zu kämpfen hat. Kein Wunder bei so vielen Figuren! Etwas stiefmütterlich behandelt er den Alltag von Charly Hübners Wachmann und dessen amouröse Gefühle. Vieles will hier nicht so recht über den Eindruck einer Behauptung hinausreichen. Und doch wartet gerade sein Handlungsstrang mit einem der faszinierendsten Momente des gesamten Films auf: Die Erkundung einer alten sowjetischen Kaserne wird da zur Gespensterbeschwörung. Ein Tanz auf der Geschichte.

    Jens‘ (Albrecht Schuch) Nachbarin Jana (Lilith Stangenberg) ist kürzlich zum Islam konvertiert und trägt nun Kopftuch.

    Solche kunstvoll inszenierten Ideen überhöhen den Sozialrealismus poetisch, ziehen Risse ein, die verborgene Wahrheiten durchblicken lassen. Ihre Stimmung trägt man noch viele Stunden nach dem Film mit sich. Thomas Stuber gelingt vor allem eine atmosphärisch ungemein dichte Ästhetik der Nacht. Nach Sonnenuntergang öffnen die Menschen ihr Innerstes, lassen Ängsten und Hoffnungen freien Lauf. Straßenzüge schimmern in den gelblichen Lichtwürfen der Laternen, Details, Silhouetten; Gestalten schälen sich aus der Dunkelheit. Das entfernte Leuchten der Großstadt verschwimmt in Unschärfe. Figuren schauen ins Trübe und Ungewisse, während ihre Persönlichkeiten Konturen gewinnen.

    Nicht nur ein Film über den Osten

    Und wohin schauen wir? Welche Einsichten erwarten wir uns denn von einem Werk, das keineswegs verschleiert, dass allein die Verortung in Leipzig ein Politikum darstellt? Die deutsch-deutsche Geschichte hat unverheilte Wunden geschlagen. Und doch weigert sich „Die stillen Trabanten”, allzu naheliegende Pfade zu gehen. Themen der Radikalisierung und Demokratieverdrossenheit, wie sie Diskurse über das heutige Ostdeutschland prägen, sind hier etwa viel unterschwelliger und komplexer angelegt oder werden gänzlich unterwandert.

    Meyers und Stubers Nachwendegeschichten zeigen zunächst einmal Menschen in Umbruchserfahrungen mit ganz universellen Sehnsüchten. Sie weisen über simple Zuschreibungen von Ost und West hinaus, zeigen Gescheiterte in einem System, in dem kein Aufstieg mehr möglich scheint. Ihr Film ist einer, der nach Solidarität sucht und so wunderbar melancholische, augenöffnende Szenen findet. Einmal erzählt Albrecht Schuchs Figur, wie sie nachts auf dem Balkon zusieht, wie die Lichter in den Hochhäusern nach und nach erlöschen. Dort warten die titelgebenden stillen Trabanten. Ein Blick schweift aus der gesellschaftlichen Peripherie heraus in die weite Ferne. Wo die Welt schon finster ist, wartet einer auf den letzten Rest Dunkelheit.

    Fazit: Nach „In den Gängen“ ein weiterer großer Wurf von Thomas Stuber und Clemens Meyer! „Die stillen Trabanten” schafft auf ergreifende, höchst stimmungsvolle Weise ein Bewusstsein für Großstadt-Milieus und -Biographien, die selten eine solche Beachtung finden.

     

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