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    Taurus
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Taurus

    Eine Nabelschau ohne Shitstorm-Anlass

    Von Björn Becher

    Mitten in „Taurus“ schaut Megan Fox für einen kurzen Cameo-Auftritt vorbei. Sie und Hauptdarsteller Colson Baker treffen in einem Tonstudio aufeinander. Aus dem Gespräch entwickelt sich eine hitzige Diskussion, die zwar kurz von einer versöhnlichen Umarmung unterbrochen wird, aber dann doch in einem hitzigen Streit gipfelt. Das Besondere dabei. Man hört keinen einzigen Pieps von der Unterhaltung, sondern währenddessen zwei anderer Figuren Belanglosigkeiten über ihr Dating-Leben austauschen. Dieser Moment ist durchaus sinnbildlich für den ganzen Film …

    … denn zum einen illustriert er die Distanz, die Tim Sutton („Donnybrook“) immer wieder zu eigentlich ganz greifbaren Dramen herstellt. Nicht nur mit dieser Ton-Bild-Schere erschwert er die Zugänglichkeit zu seinem teilweise wie ein surrealer Fiebertraum inszenierten Niedergang eines Rap-Rock-Superstars. Zugleich verschwimmt in diesem Moment aber auch endgültig die Trennung zwischen dem fiktiven Musiker und dem Schauspieler, der ihn spielt.

    Schließlich ist Colson Baker unter dem Künstlernamen Machine Gun Kelly nicht nur selbst ein Rap-Rock-Superstar, sondern macht auch gerade durch seine sehr öffentlich geführte Beziehung mit Megan Fox Schlagzeilen. Damit entkräftet Sutton zumindest ein Stück weit einen Shitstorm, der im Vorfeld der Weltpremiere im Rahmen der Berlinale tobte, weil Familie und Fans des 2018 an einer Überdosis verstorbenen Rappers Mac Miller bereits ein unautorisiertes Biopic hinter „Taurus“ vermuteten.

    Die Selbstzerstörung eines Superstars

    Superstar Cole (Colson Baker) arbeitet an seinem neuen Song. Doch vor allem konsumiert er Drogen und gleitet berauscht durch den Tag. Seine ihn stetig umsorgende Assistentin Ilana (Maddie Hasson) hat also alle Hände voll zu tun, ihn irgendwie pünktlich und halbwegs präsentabel zu Terminen zu bringen – gar nicht so leicht bei einem Star, der so zugekokst ist, dass er die mitten in der Nacht für das Einsingen einer kurzen Passage schnell ins Studio geholte Lena (Naomi Wild) schon nach einer Stunde wieder vergessen hat. Der blutige Mord eines Jungen an seinen Eltern, den Cole mit sich selbst in Verbindung setzt, könnte der nötige Weckruf sein, um ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Oder ist es doch nur der letzte Sargnagel?

    Als Tim Sutton ankündigte, dass er ein vom Leben mehrerer in den vergangenen Jahren verstorbener Musiker inspiriertes Drama machen wird, lief kurz darauf vor allem eine Fangemeinde Sturm. Nachdem der Bruder des Rappers Mac Miller das Projekt öffentlich kritisierte, kassierten Sutton und sein Hauptdarsteller Colson Baker einen wahren Shitstorm. Sie gaben daraufhin den ursprünglichen Titel „Good News“ auf (so heißt nämlich auch eine posthum veröffentlichte Single Millers) und änderten auch weite Teile des Skripts. Mit dem Einstieg von Baker, der auch als Produzent mit an Bord kam und die Komposition der Musik übernahm, orientierte sich Sutton stattdessen mehr an der Vita seines Stars.

    Ein Film über Machine Gun Kelly statt Mac Miller

    So ist nicht nur Megan Fox mit von der Partie, sondern auch Naomi Wild, die den Gesangspart im zentralen, von Schmerz und Selbstmord handelnden Lied des Films übernimmt. Die Sängerin und Machine Gun Kelly kooperierten bereits bei dem Song „Glass House“, in welchem der Rapper nicht nur den Schmerz über den Verlust von Weggefährten wie eben Mac Miller oder Linkin-Park-Frontmann Chester Bennington verarbeitet, sondern auch einen eigenen Suizid-Versuch. Am Ende von „Taurus“ erklingt dann der neue Song das erste Mal in voller Länge. Er hat nicht nur eine gewaltige emotionale Wucht, es ist vor allem auch ein Lied über Cole/Colson und nicht über irgendwelche anderen Musiker.

    Wenn der zugedröhnte Cole auf Instagram live geht und ein paar Klänge spielen will, sind die am Bildschirmrand durchlaufenden Hassnachrichten womöglich eine Anspielung auf den real erlebten Shitstorm. Vielleicht sind sie aber auch einfach nur Alltag. Denn Suttons Film wirkt ohnehin phasenweise wie eine Verteidigung geschundener und von der Öffentlichkeit missverstandener Künstlerseelen, was in einem vielleicht etwas platten aber wirkungsvollen Epilog gipfelt. Da versprechen einige Plattenbosse der aufstrebenden Sängerin Lena, sie zu beschützen. Das ist natürlich der blanke Hohn - gerade nach dem vorherigen Gebaren von Musikmanager Ray (Scott McNairy) und dem Druck, den er auf seinen Star-Künstler Cole aufgebaut hat.

    Colson Baker ist Cole - mit Haut und Haar.

    Sutton macht es uns extrem schwer, Sympathien für seinen Protagonisten aufzubauen. Cole ist über weite Strecken ein egozentrisches und narzisstisches Arschloch, was uns in beiläufig erzählten Episoden immer wieder unter die Nase gerieben wird. Da ist seine Tochter aus einer früheren Beziehung (auch eine Parallele zu Baker) wenige Tage zu Besuch, doch er findet keine Zeit für sie. Irgendwann wundert er sich nur, dass sie schon längst wieder abgereist ist. Als das Luxus-Call-Girl Cassidy (Siri Miller) mit ihrer Musikauswahl überrascht und zum romantischen Tanz bittet, ist das einer von wenigen Momenten, in denen eine andere Seite durchscheint – und wohl auch deshalb direkt eine der besten Szenen des Films.

    Weil das Verständnis für Cole so schwer fällt und auch viel davon abhängt, wie man zu dem sich auch extrem narzisstisch gebarenden Colson Baker steht, ist die stark aufspielende Maddie Hasson („Malignant“) der greifbarere emotionale Ankerpunkt. Ihre Ilana sorgt weit über ihre berufliche Verpflichtung hinaus für Cole, weil sie in ihm etwas zu sehen scheint und es deshalb ruhig erduldet, wie er sie immer wieder zur Sau macht. In einer der stärksten Sequenzen kommt es im Vorfeld eines Interviews zum großen Krach. Vor einer Journalistin und versammelter TV-Crew schreien sich Ilana und ihr Boss an. Er wirft sie raus, sie schmeißt gleichzeitig hin. In der nächsten Szene sehen wir ihn beim Make-Up für das Interview. Ganz selbstverständlich ist sie wie eine große Schwester an seiner Seite. Als wäre nie etwas gewesen, richtet sie ihm liebevoll das Haar, weil die Stylistin nicht die gewünschte Wuschelfrisur hinbekommt.

    Nach jeder Annäherung sorgt ein Bruch für Distanz

    Zu selten lässt uns Sutton aber diese emotionale Bindung spüren. Er arbeitet dazu immer wieder mit radikalen Brüchen, die sein Drama noch weniger greifbarer machen. Da eröffnet er den Film mit einer intensiven (aber auch unnötig schwarzhumorigen) Szene, in welcher ein kleiner Junge seine Eltern erschießt, die sich gerade über das schlechte Internet aufregen. Lange Zeit hat man keinen Schimmer, was das mit der restlichen Handlung zu tun hat. Und wenn Cole nach einer Auseinandersetzung mit Kollege Lil Tjay (spielt sich selbst) spontan das Tonstudio verlässt, steht vor der Tür seine Dealerin (Ruby Rose) im Sportwagen – als würde sie die ganze Nacht dort warten, ob er irgendwann rausstürmt, um dann mit ihr durch Sex-Clubs zu ziehen...

    Während die inhaltlichen Zäsuren in phasenweise surreal anmutenden Szenen einen auch immer wieder rätseln lassen und den Zugang erschweren, sind zumindest die inszenatorischen Brüche vielfach faszinierend. Wenn Cole beim Verlassen des Studios von Fans umlagert wird, beginnt der Moment als Hochkant-Handyvideo mitten im Getümmel. Aber erst wenn Sutton plötzlich auf eine Vogelperspektive wechselt und die volle Breite der Leinwand ausnutzt, ergibt sich ein neues, die wahren Ausmaße des Wahnsinns repräsentierendes Bild des Geschehens.

    Fazit: Vorab gab es reichlich Gegenwind für „Taurus“, weil Tim Sutton und Machine Gun Kelly vorgeworfen wurde, das Drama anderer Menschen auszuschlachten. Am Ende ist es aber vor allem der Hauptdarsteller selbst, der sich hier vor der Öffentlichkeit entblößt. Diese Nabelschau ist nicht durchweg gelungen, aber teilweise extrem faszinierend – und hat zumindest keinen Shitstorm verdient.

    Wir haben „Taurus“ im Rahmen der Berlinale 2022 gesehen, wo er in der Sektion Panorama gezeigt wurde.

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