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    Geheimagent
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Geheimagent
    Von Ulrich Behrens

    Schein und Sein. Ein Mann wird für tot erklärt und aufersteht im Auftrag des britischen Geheimdienstes. Aus Edgar Brodie, einem Schriftsteller, wird Richard Ashenden (John Gielgud), ein Spion. Erster Weltkrieg. Briten gegen Deutsche. Schauplatz Schweiz, Umgebung: eine Schokoladenfabrik, Volkstänze, der Genfer See, die Berge – also eine „typische“ Schweizer Umgebung. Holdrio!

    Alfred Hitchcock ließ das Drehbuch zu dem Spionage-Thriller „Der Geheimagent“ aus zwei Erzählungen von Somerset Maugham zusammenschreiben, einer Spionage- und einer Liebesgeschichte, gespickt mit einiger Ironie, mit einigem Charme und einiger Verve in der Handlung, und vor allem mit einer Figur, in der sich Skrupellosigkeit, kindliche Naivität, Sarkasmus, ein gewisses Maß an Verzweiflung und Schläue vereinen: in der Figur des Generals, gespielt von unvergesslichen Peter Lorre mit Lockenkopf, spanischem Kauderwelsch, leicht gebräunter Haut, einem Mann, der mit Mord keine Probleme hat und ständig hinter Frauen her ist, obwohl er nicht gerade eine Ausgeburt an Schönheit darstellt. Der General wird Ashenden zur Seite gestellt, von „R“ (Charles Carson), dem Leiter des britischen Geheimdienstes. Dazu gesellt sich noch eine reizende Lady, Elsa Carrington (Madeleine Carroll), die auf Abenteuer aus ist und daher für den Job eigentlich ungeeignet ist und die als Ehefrau Ashendens fungieren soll. Alle drei sollen sich in der Schweiz treffen, um einen für Deutschland arbeitenden Agenten, den der britische Geheimdienst für besonders gefährlich hält, den aber bislang niemand kennt, auszuschalten, d.h. zu ermorden.

    Eine junge Abenteuerin, ein nicht sehr mordgieriger Schriftsteller und ein absonderlicher General, von dem niemand so recht weiß, ob er jemals General war und der für die Tatausführung prädestiniert scheint – ein haarsträubendes Trio. Als Ashenden im Hotel in Genf ankommt, trifft er in seiner Suite nicht nur seine Pseudo-Ehefrau, sondern auch einen gewissen Robert Marvin (Robert Young), einen charmanten, überaus freundlichen Schürzenjäger, der gerade versucht, Elsa für sich zu gewinnen. Die allerdings – durchaus beeindruckt von Marvin – hält ihn auf Distanz.

    Nachdem der General und Ashenden in dem schönen Nest Langental feststellen müssen, dass der Informant des britischen Geheimdienstes, ein Organist, der sie zu dem Spion führen sollte, ermordet wurde, bleibt ihnen nur noch eine Spur: ein Knopf, den der arme Kerl womöglich seinem Mörder abgerissen hat. Dieser Knopf führt das Trio im Casino beim Roulette zu einem Herrn Caypor (Percy Marmont), einem netten älteren Herrn mit treuem Dackel Fritzchen, dessen Jacke genau diese Art Knöpfe ziert. Man lockt den armen Mann zur einer Bergtour. Und während Ashenden, je näher die entscheidende Tat rückt, Gewissensbisse bekommt, stürzt der General den nichts ahnenden Caypor in die Tiefe, beobachtet von Ashenden durch ein Fernrohr. Doch man hat (natürlich) den Falschen getötet.

    Wie Hitchcock selbst im Gespräch mit François Truffaut erläuterte (1), hatte „Der Geheimagent“ vor allem ein Handicap: die Hauptfigur. Der Held, Ashenden, ist nicht gerade eine Identifikationsfigur. Unentschlossen, kein wirklich eigenes Ziel vor Augen, schwankend zwischen schlechtem Gewissen und Spionageauftrag pendelt er mal hin und mal her. Nach dem irrtümlichen und vor allem auch leichtsinnig (nur aufgrund eines Knopfes) herbeigeführten Mordes an einem Unschuldigen versucht sich Ashenden gegenüber Elsa herauszureden, er habe Caypor schließlich nicht in den Abgrund gestürzt. Danach wird der General für beide, vor allem aber für Elsa, die auch ihren Anteil an dem Mord hat, zumindest als Mitwisserin, zum einzigen Schurken – obwohl der General nie ein Hehl daraus gemacht hat, wie er ist und nach welchen Überzeugungen er handelt. Lorres Rolle ist stringent durchdacht, durchgearbeitet und wird von ihm auch so gespielt.

    Ein Held also, mit dem die Identifizierung schwer fällt. Das Drehbuch hat allerdings noch andere Schwächen. Woher weiß der britische Geheimdienst, dass Caypor der Falsche war? Und: Wieso lässt sich Ashenden, nachdem er weiß, dass man den Falschen ermordet hat, dazu hinreißen weiterzumachen – mit dem Risiko, wieder einen Unschuldigen zu treffen? Überhaupt: Wenn dieser unbekannte deutsche Spion so gefährlich ist, wieso setzt „R“ dann so unerfahrene Leute wie Elsa und Ashenden für diesen Auftrag ein?

    Andererseits benutzt Hitchcock in diesem Film zum ersten Mal den Charakter des sympathischen, vornehmen, freundlichen Bösen. Es ist kaum schwer zu erraten, wer der deutsche Spion ist. Schon zu Anfang ist klar, dass Caypor samt Frau und Dackel kaum in diese Rolle passen und nur einer bleibt: Marvin. Robert Young spielt diesen Marvin in jeder Hinsicht überzeugend: mit Charme, Witz und Eleganz.

    Marvin ist in dieser Hinsicht eher eine Identifikationsfigur als Ashenden. Dass er am Schluss sterben muss, passt aufgrund der Art und Weise der Inszenierung nicht so recht ins Bild. In einer Szene, in der er mit Elsa ins Casino geht, während der General und Ashenden in Langental den Organisten suchen, legt er seine Hand auf ihre Schulter. Sie entzieht sich ihm. Dann legt er die andere Hand auf ihre andere Schulter. Sie entzieht sich wieder. Dann ergreift er von ihr unbemerkt den Schleier ihres Kleides, um wenigstens etwas von ihr in der Hand zu haben. Diese Szene und überhaupt die Szenen mit Elsa und Marvin überzeugen, weil sie Hitchcocks Fähigkeit demonstrieren, Beziehungen, die mit Vorbehalten besetzt sind (Elsa hält sich wegen des Auftrags zurück und muss die Ehefrau spielen, Marvin muss seine wahre Identität verdecken), ironisch und humorvoll zu inszenieren. Auch Peter Lorre überzeugt durch seine – auch aus anderen Filmen bekannte – Darstellung eines in sich widersprüchlichen, aber in seiner Gesamtheit trotzdem homogenen Charakters.

    Hitchcocks Genremix – ein bisschen Thriller, ein bisschen Komödie, ein bisschen Romanze – funktioniert in „Der Geheimagent“ noch nicht so überzeugend wie etwa in dem in mancherlei Hinsicht vergleichbaren Der unsichtbare Dritte, 1959) im Spiel zwischen Eva Marie Saint und Cary Grant, in der Darstellung des eleganten Bösen Vandamm (James Mason) und in der im Hintergrund arbeitenden Agenten des (dort) amerikanischen Geheimdienstes. Dass am Schluss ein Liebespaar und zwei Tote übrig bleiben, ist in „Der Geheimagent“ noch etwas holprig dramaturgisch herbeigeführt und kann letztendlich nicht ganz befriedigen.

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